Hillmoor Cross. Shannon Crowley. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Shannon Crowley
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958130425
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Blick ging zu dem Stuhl, der an der Wand gegenüber dem Bett stand. Darauf lag die Kleidung des Patienten. In den Zimmern der Überwachungsstation gab es keine Kleiderschränke. Lacey begann, die Taschen von Jacke und Hose zu durchsuchen. Sie fand einen Geldbeutel mit vierzig Euro in Scheinen sowie etliche Münzen. In den Steckfächern befanden sich ein Personalausweis, eine Kreditkarte der Anglo Irish Bank, ein Studentenausweis der Uni Galway und ein Ausweis für eine Leihbücherei. Er war also Student. Lacey schob das Portemonnaie zurück in die Hosentasche. In der inneren Brusttasche der Jacke des Mannes befand sich ein Handy. Es war zufällig das gleiche Modell, das auch Lacey besaß, jedoch war ihres von dunkelroter Farbe und dieses hier schwarz. Neugier durchzuckte sie, gepaart mit der Furcht, es könnte gerade jetzt jemand ins Zimmer kommen oder der Patient aufwachen. Doch wer hätte schon kommen sollen? Sie war im Augenblick die einzige Schwester auf Station. Erst musste die Nachtschicht übergeben werden, Visite war sowieso erst in zwei Stunden. Jake Almond regte sich noch immer nicht. Lacey berührte den Touchscreen. Das Mobiltelefon hatte keinen Passwortschutz. Ungehindert öffnete sich das Menü. Der Telefonnummernspeicher war leer; es gab einige wenige Kurznachrichten an einen Justin mit banalem Inhalt wie »Sorry, wird etwas später« und Ähnlichem sowie einen unbeantworteten Anruf.

      Sie klickte auf den Menüpunkt Bilder. Ein kleiner Junge in blauer Badehose erschien auf dem Display. Er stand an einem felsigen Strand und blickte aufs Meer. Auch auf dem nächsten Foto war ein Junge zu sehen. Er spielte im Sand, neben sich Eimer und Schaufel. Lacey hätte nicht sagen können, ob es sich um das gleiche Kind handelte, da beide Bilder in einigem Abstand aufgenommen worden waren. Vom Flur her ertönte das gleichmäßige Brummen des Schwesternrufes. Sie schloss das Menü des Mobiltelefons, schob es zurück in die Jackentasche und warf einen letzten Blick auf den Patienten. Ob der Junge sein Kind war? Dann gab es eine Mutter dazu. Oder der Kleine war sein Neffe? Das war herauszufinden. Vielleicht war Jake Almond alleinstehend. Angehörige hatten sich jedenfalls bisher nicht gemeldet, und laut der Oberschwester war auch niemand auffindbar beziehungsweise erreichbar gewesen, den man hätte verständigen können. Dann konnte er ein wenig Aufmerksamkeit gebrauchen, wenn er wieder zu sich kam. Lacey zog die Tür von Zimmer 14 hinter sich zu und sah nach der Patientin, die nach ihr gerufen hatte.

      Kapitel 3

      Katie Ward fuhr zusammen, als habe sie der Stich eines Messers in den Bauch getroffen, als das Telefon klingelte. Sie riss den Hörer von dem altmodischen Festnetz-Apparat, das kein Display besaß.

      »Finn? Verdammt noch mal …«, setzte sie an. Es war neun Uhr abends. Er hatte sich verteufelt viel Zeit gelassen, sich bei ihr zu melden.

      »Finn? Welcher Finn? Ich bin es nur, Maya. Hast du schon wieder einen neuen Liebhaber? Ich wollte mich erkundigen, ob Sebastian wieder aufgetaucht ist. Ich hab heute Mittag schon mal bei dir angerufen. Im Kindergarten war er nämlich nicht, sagt Robin. Und Laura hat mich auch nach ihm gefragt.«

      Mayas Redeschwall schwappte durch den Hörer. Katie war danach, den Apparat an die Wand zu klatschen. Mittags war sie kurz Zigaretten holen gewesen, da hatte sie den besagten Anruf offensichtlich verpasst.

      »Was hast du Laura gesagt?«, fuhr sie Maya an, ohne auf ihre anderen Fragen einzugehen. Die unverfrorene Erzieherin hatte schon einmal ihre Nase in Katies Angelegenheit gesteckt, weil Sebastian einige Male mit ein paar blauen Flecken im Kindergarten erschienen war. Sie hatte ihr doch tatsächlich das Jugendamt auf den Hals gehetzt, dessen Mitarbeiter aber nach einem Gespräch mit Katie und einem weiteren mit Sebastian unverrichteter Dinge abgezogen waren. Gut, ihr war hier und da die Hand ausgerutscht. Aber den ganzen Tag mit so einem kleinen Monster alleine, da konnten einem schon mal die Nerven durchgehen. Es hatte ihr ja auch hinterher immer leidgetan, und nach der Sache mit dem Jugendamt war es nicht mehr vorgekommen.

      »Dass ich von nichts weiß. Was ist denn nun mit Sebastian?«, bohrte Maya weiter.

      »Nichts.«

      »Wie: Nichts? Ist er wieder da? Wo war er denn?«

      »Er ist nicht da. Ich nehme an, er ist bei seinem Vater.« Gluthitze durchjagte Katie. Von Sebastians Vater hatte sie Maya gegenüber noch nie gesprochen. Sie sprach überhaupt nie über Finn Brady, denn würde bekannt, wer der Vater ihres Kindes war, würde er seines Postens enthoben, und ihre Geldquelle versiegte.

      »Bei seinem Vater? Ich dachte den gibt’s gar nicht.« Mayas ironischer Tonfall machte sie immer wütender. Außerdem wollte sie die Leitung freihaben, damit Finn durchkam, wenn er endlich anrief.

      »Natürlich gibt’s den. Was dachtest du denn, wie ich zu dem Kind gekommen bin? Wir haben aber nur wenig Kontakt«, antwortete sie, klemmte den Hörer zwischen Ohr und Schulter und nahm sich eine Zigarette.

      »Und wer ist Finn? Bist du nicht mehr mit Ben zusammen?«

      Katie schob den Glimmstängel zwischen die Lippen.

      »Wie man es nimmt. Er lässt sich zurzeit selten blicken. Finn ist Sebastians Vater.« Das Feuerzeug schnappte auf, und die winzige Flamme, die erschien, verglomm sofort wieder. Sie brauchte mehrere Versuche, ehe die Zigarette endlich glühte. Katie nahm einen tiefen Zug.

      »Hör zu, Maya, ich kann dir das jetzt nicht erklären. Ich bin sicher, Sebastian ist bei seinem Vater, und deswegen will ich die Leitung freihaben. Ich kenne Finn. Er ruft mit Sicherheit bald an. Er hat den Kleinen geholt, um mich zu schikanieren, aber das lass ich mir nicht bieten.«

      »Du musst die Polizei verständigen. Du hast das Sorgerecht. Das ist Kindesentzug«, ereiferte sich Maya. Katie schnaubte.

      »Bin ich bescheuert? Alleine dadurch, dass er es geschafft hat, den Kleinen mit zu sich zu nehmen, hab ich schlechte Karten. Mir ging es gestern Mittag nicht gut. Ich hab ihn alleine zum Kindergarten geschickt. Ist ja kein weiter Weg. Da muss er ihn abgefangen haben. Wenn Laura das spitzkriegt, hetzt sie mir wieder die Behörden auf den Hals und ich hab nix wie Ärger. Nein, nein. Ich regle das mit Finn unter vier Augen.«

      »Und du bist sicher, dass er bei ihm ist? Ich meine, es kann ja auch was passiert sein.« Maya klang, als mache sie sich wirklich Sorgen. In Katies Bauch begann es unangenehm zu ziehen. Ein wenig hatte der Gedanke inzwischen auch in ihr genagt. Doch was, bitte schön, sollte auf den 800 Metern zwischen hier und dem Kindergarten passieren? Sebastian nahm immer den Fußweg von der Haustür aus, bog einmal links und einmal rechts ab und lief dann über die Sackgasse, die in einen sandigen Fußweg mündete, und kam direkt am Hintereingang des Kindergartens an. Der war verschlossen, aber er konnte um das Gebäude herumlaufen und stand dann sofort vor der Eingangstür. Selbst wenn er trödelte, dauerte es keine fünf Minuten, bis er dort war.

      Katie sah das Wäldchen vor sich und die verlassene Baustelle, die den Weg säumten, den ihr Sohn genommen haben mochte. Das Ziehen in ihrem Bauch wurde stärker. Und wenn er Unfug gemacht hatte? In den Wald gelaufen war und sich verirrt hatte? Oder über den Zaun geklettert war, um die Baustelle zu erkunden?

      »Ich muss Schluss machen Maya. Ich melde mich, sobald ich etwas Neues weiß«, beendete sie unvermittelt das Gespräch. Ehe Maya protestieren konnte, drückte sie auf die Gabel. Sie würde jetzt sofort Finn anrufen.

      *

      Um ihn herum war es dunkel. Monotone piepsende Geräusche drangen qualvoll in seine Ohren, und ein wahnsinnig pochender Schmerz in seinem Schädel zerrte ihn aus einem gnädigen Schlaf. Ein Brechreiz plagte ihn und sein Magen hob sich. Die Bewegung drohte seinen Kopf explodieren zu lassen.

      »Mister Almond? Hallo? Hören Sie mich?« Es war ein Mann, der mit ihm sprach. Almond? War er das? Dieser Höllenschmerz im Hirn löschte alles aus.

      »Mister Almond?« Und er hatte unglaublichen Durst. Ehe er nicht eine riesige Menge Wasser bekommen hatte, konnte er sowieso kein Wort sagen. Kühles klares Wasser, literweise.

      »Lassen Sie mich bitte, Doctor«, hörte er eine Frauenstimme. Wo zum Teufel war er? Was war passiert?

      »Jake? Können Sie die Augen öffnen?«, fragte die Frauenstimme. Sie klang ganz nahe, als hätte sich ihre Besitzerin zu ihm gebeugt. Eine warme Hand legte sich auf seine. Die Hand war groß und vermutlich dicklich. Er wunderte sich, dass er das wahrnahm, trotz aller Pein