Der Tod in der Salzwiese. Sibyl Quinke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sibyl Quinke
Издательство: Bookwire
Серия: Krimi
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958131729
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wir eher, was los ist.«

      »Ja, ist jetzt was los oder nicht? Das müsst ihr vor Ort eruieren! Vorher schicken wir keinen zu euch rüber.«

      »Habt ihr mich nicht richtig verstanden? Woher soll ich wissen, dass ich nachschauen soll, wenn ihr euch in Schweigen hüllt …«

      So ging es hin und her. Keiner wollte an den Toten in der Salz­wiese glauben und sich im Zweifel der Lächerlichkeit preisgeben. Für den Fall des Falles wollte auch keiner dafür verantwortlich sein und wegen Inaktivität angeprangert werden, wenn es dennoch etwas Ernstes sein sollte. Bresniak wollte der ineffektiven Unterhaltung nicht länger folgen. Er rief Lilli an.

      »Mann, Charly, nichts passiert. Beinahe hätten wir zwei Leichen. Der Jens, unser Salzwiesenführer, ist wieder zu sich gekommen. Den bringen wir wieder ins Trockene. Der braucht auch frische Klamotten, damit der sich nicht erkältet und sich auch noch den Tod holt. Die anderen haben keine Lust mehr zu warten und wollen gehen. Vielleicht spinne ich ja. Kannst du nicht kommen und dir das anschauen? Ich traue mich nicht mehr, die 112 noch einmal anzurufen, aber trauen tue ich dem Ganzen auch nicht. Bitte Charly … sonst träume ich für den Rest unseres Urlaubes nur noch von Wasserleichen.«

      »Lilli, ganz ruhig. Die anderen können gehen. Niemand zwingt sie, dazubleiben. Wahrscheinlich können die sowieso keinen Beitrag zur Aufklärung bringen, nur euer Führer und du, bitte bleibt vor Ort, und ich komme, so schnell ich kann.«

      Und an den Polizeikommissar gerichtet: »Darf ich mir Ihr Fahrrad ausleihen? Ich fahre zur Salzwiese und schaue mir das einmal an. Ich berichte Ihnen dann.«

      »Sie sind wirklich Kommissar? Oder …«

      »Ausweis habe ich keinen dabei, aber Sie können meine Dienststelle in Wuppertal anrufen und sich vergewissern.«

      Bresniak griff nach dem Fahrrad, und Polizeikommissar Weine – inzwischen hatte er sich auch namentlich vorgestellt – war froh, dass er die Verantwortung für dieses Intermezzo, und für ein solches hielt er diese Aktion noch immer, abgeben konnte. Er beendete das Gespräch mit Wittmund, nicht ohne sich darüber auszulassen, wie mies er diese Zusammenarbeit fand, in der er, der Verantwortliche vor Ort, außen vor gelassen wurde.

      Weine rief direkt die Wuppertaler Nummer, die er von Bresniak erhalten hatte, an. Noch während er den Hörer am Ohr hielt, nickte er ihm zu und signalisierte, dass er sich am Fahrrad bedienen könne.

      Bevor Bresniak sich auf den Drahtesel schwang, hatte er die Handynummer des Polizeikommissars abgespeichert.

      »Ich bleibe in der Dienststelle, falls die aus Deutschland anrufen.« Aber das hörte der Wuppertaler nicht mehr, sondern war davongeradelt.

      Bresniak trat in die Pedale und stellte verwundert fest, dass es gar nicht so einfach war, zügig voranzukommen, wenn ihm der Wind so heftig ins Gesicht blies. Er hatte keine Zweifel, dass sich in den Salzwiesen etwas Ernstes ereignet hatte. Willi würde nicht ohne Anlass die 112 anrufen und schließlich ihn benachrichtigen. Doch warum hatte die Behörde nicht reagiert? Selbst wenn die Angaben von Lilli zu ungenau waren, dann hätte nachgefragt werden müssen. Es ist die Aufgabe der Polizei, solchen Meldungen nachzugehen. Der Kollege auf der Dienststelle hätte genauer nachfragen müssen. Aber solche Gedanken waren müßig. Es war festzustellen, was die Meldung von Lilli nun wirklich beinhaltete. Auch der Kollege vor Ort schien froh zu sein, dass er kollegiale Unterstützung von ihm erhielt.

      Der Weg war nicht weit, sodass Bresniak schon bald seine Lilli würde ausmachen können. So würde sich dieser merkwürdige Sachverhalt bald aufklären – dachte Bresniak.

      Es gab nur eine Richtung: Westen. Es dauerte nicht lange, und er hatte Lilli mitten in der Salzwiese ausgemacht. Sie mit ihrem Adlerblick hatte ihn auch bald erkannt, obwohl sie ihn nicht auf einem Fahrrad vermutete. Schwieriger wurde der Weg in das salzige Habitat hinein. Das Fahrrad stellte er am Deichdurchbruch ab. Nicht alle Exkursionsteilnehmer waren schon gegangen. Eine Gruppe von fünf Touristen hatte es sich in der Sonne gemütlich gemacht und diskutierte. War es jetzt wirklich ein Arm? Dann würden sie echt etwas versäumen, wenn sie jetzt gingen. Außerdem war das Wetter angenehm. Die Sonne streichelte sanft ihren Teint, dabei ein Wind, der es nicht zu heiß werden ließ. Die Salzwiesenbesucher trieb nichts; so konnten sie miteinander fachsimpeln. Bresniak grüßte kurz.

      »Sind Sie von der Polizei? Sie haben gar keine Uniform an!«, bemerkte einer von Ihnen.

      »Glauben Sie mir, auch Polizisten haben mal Urlaub; dass mir dann gleich eine Leiche über den Weg läuft, damit muss ich nicht rechnen.«

      »Laufen ist gut, ha, ha …«, bemerkte einer der Umstehenden, »die läuft nicht mehr.«

      Bresniak ging auf die Bemerkung nicht ein, folgte dem ausgetrampelten Pfad durch die nasse Vegetation und erreichte Lilli mit Jens.

      Jens hatte inzwischen wieder sein Leben zurückgewonnen und versuchte aufzustehen. Obwohl … seine Knie waren immer noch weich, und so war er froh, dass Lilli ihm erneut deutlich zu verstehen gab, er solle besser sitzen bleiben. Bresniak schaute beide neugierig an und fragte dann: »Wo ist das Corpus Delicti, das hier so für Aufregung sorgt?«

      Lilli brachte Bresniak auf den neusten Stand der Ereignisse. Daraufhin näherte er sich dem Ast oder dem Arm, was immer es denn war, was zwischen den Salzpflanzen herausragte.

      »Vorsicht!«, warnte Jens, »testen Sie den Untergrund erst, bevor Sie Ihre Schritte machen! Sonst stehen Sie gleich bis zu den Knien im Salzschlamm!«

      Die Warnung kam zu spät. Die scheinbar stabile Oberfläche, die die verdickten und verholzten Ausläufer von Strandflieder oder Meerstrandbinse gebildet hatten, hielten keinen 90-Kilo-Mann, und schon war Bresniak bis zu dem Knien zwischen Wattschlamm und Sedimente gerutscht.

      »Scheiße«, fluchte er, zog sein Bein heraus, musste aber seinen Schuh verloren geben, »was für ein Tag. Ich dachte wirklich, ich hätte hier Urlaub.« Unbeschuht, zumindest was seinen rechten Fuß anging, bewegte er sich nun vorsichtig zu diesem merkwürdigen Fund. Nein, Lilli hatte nicht übertrieben, wenn sie von einem Arm gesprochen hatte. Es war tatsächlich ein menschlicher Arm, mit Hand. Bresniak war ein erfahrener Kriminalhauptkommissar und arbeitete schon lange in der Mordkommission, doch so etwas hatte er bisher nicht gesehen. Er schaute sich diesen Fund erst einmal an. Die Haut hatte angefangen, sich abzulösen, wie er es bei Wasserleichen gesehen hatte. Außerdem erkannte er Fraßspuren. Offensichtlich hatten schon ein paar Fische daran geknabbert. Er griff nach diesem Leichenteil. Der Fundort selbst, das gab das Ambiente her, war kaum der Tatort und kaum der Ort, wo der Täter den Arm abgelegt hatte. Den musste der Sturm gestern Nacht an das Ufer getrieben haben. Normalerweise hätte sich Bresniak wieder entfernt. Aber bei diesem unzugänglichen Gelände unterdrückte er sein Ekelgefühl, zog sein Oberteil und Unterhemd aus, um Letzteres dazu zu benutzen, nach dem Arm zu greifen und diesen aus dem Salzwiesengestrüpp herauszuziehen, und brachte es zu den beiden Wartenden. Jens und Lilli schauten ihn nur mit großen Augen an.

      »Und jetzt?«, fragte Jens zaghaft. »Was mache ich jetzt damit?«

      Jens fühlte sich für den Fund verantwortlich. Schließlich war es sein Terrain, um das er sich pflichtbewusst kümmerte. Er war der Chef des Nationalpark-Hauses, und es gehörte zu seinen Aufgaben nicht nur, Touristen und andere Interessierte über das UNESCO-Weltnaturerbe zu informieren, er musste alles tun, damit die Natur keinen Schaden nahm.

      »Nichts für ungut. Sie müssen nur wieder Farbe in Ihr Gesicht bekommen und sich für polizeiliche Ermittlungen bereithalten. Alle, die heute Morgen hier waren, kommen als Täter nicht infrage, dafür ist die Leiche, besser das Leichenteil, nicht frisch genug«, ergänzte Bresniak sarkastisch. Während dieser Erklärung fingerte er sein Handy aus der Hosentasche und rief Polizeikommissar Weine an. Er gab einen knappen Bericht und forderte ihn auf, die Informationen zum Festland weiterzugeben und eine Plastiktüte nebst Kühlbox mit Kühlelementen zu besorgen, damit der Arm für einen Transport in die Rechtsmedizin vorbereitet werden konnte. Bresniak stellte sich darauf ein, länger warten zu müssen. Der Kollege vor Ort hatte auf ihn nicht den schnellsten Eindruck gemacht. Zu Jens und Lilli gewandt, ermunterte