Mein Blick schweifte zur Wanduhr. In einer halben Stunde würde man mich im Gerichtssaal erwarten. Zu meiner Begeisterung würde Jayson die Verteidigung des Angeklagten übernehmen. Wir würden also wieder einmal ein Kopf-an-Kopf-Rennen vor dem Richter veranstalten, denn Jayson war unberechenbar, man konnte nie wissen, mit welchen Geschützen er auffahren würde, doch am Ende würde sich herausstellen, wer gewonnen hätte.
Ich seufzte. Mein bester Freund suchte sich immer die kniffligsten Fälle aus und das konnte er, denn er war einer der begehrtesten Anwälte in London. In letzter Zeit hatte er sich oft die Zähne daran ausgebissen, aber er kämpfte bis zum bitteren Ende und teilweise gewann er auch gegen mich. Kaum zu glauben, dass wir während unserer Studienzeit mal ein Paar gewesen waren. Wir hatten eine wirklich schöne Zeit gehabt, doch wir waren immer schon beruflich so sehr verflochten gewesen, dass das auf Dauer nicht gut gehen konnte. Also beschlossen wir, einfach nur Freunde zu bleiben, was uns anfangs nicht immer gelungen war, doch inzwischen verstanden wir uns wieder prima und waren füreinander da, wenn es mal brannte. Wer aber heute als Sieger aus dem Gerichtssaal hervorgehen würde, war noch nicht ganz klar. Obwohl ich mir meiner Sache fast sicher war, doch im Gerichtssaal wusste man nie, was sonst noch alles aufgedeckt werden würde.
Ich erhob mich aus meinem Chefsessel und steuerte auf den Kleiderständer zu, an dem meine Staatsanwaltsrobe sorgfältig aufgehängt war. Kurzerhand zog ich mir mein elegantes Kleid über den Kopf, schlüpfte in meinen schwarzen Talar und knöpfte ihn zu.
Es war zehn Minuten vor zehn, also höchste Zeit, mich in den Gerichtssaal zu begeben. Schnell schnappte ich meine Akte und klemmte sie unter den Arm. Tabitha hatte die Kopfhörer auf und tippte in einem rasanten Tempo die Protokolle herunter. Sie streckte mir zwei aufstrebende Daumen entgegen, was so viel wie toi, toi, toi bedeuten sollte. Das machte sie vor jeder Verhandlung. Ich zwinkerte und zog die Tür hinter mir zu.
Mein Schritt war selbstbewusst und meine High Heels klackerten über den Steinboden, bis ich die doppelflügelige Eichentür erreicht hatte. Energisch drückte ich die Klinke hinunter und trat ein. Freundlich, aber bestimmt begrüßte ich das Richterkollegium und nahm meinen angestammten Platz an der Fensterseite ein. Jayson nickte mir zu, er hatte sich bereits auf der gegenüberliegenden Seite eingefunden und wartete vermutlich schon darauf, dass man den Gefangenen hereinbrachte. Die Schöffen saßen neben dem Richter.
Wenig später wurde der Angeklagte in Handschellen vorgeführt. Unsere Blicke trafen sich sofort. Sein Gesichtsausdruck war starr, verriet keinerlei Gefühlsregung. Also kein Anschein von Reue, dachte ich zänkisch und war bereit, in die Offensive zu gehen. Richter Berkley eröffnete die Verhandlung und stellte die Personalien des Angeklagten fest.
»Mr John Blackford, Sie sind Mitglied des Londoner Stock Exchange?« Er bejahte. »Was verdienen Sie monatlich?« Blackford kniff die Augen zusammen und setzte ein schiefes Lächeln auf.
»Zweitausend Pfund pro Telefonanruf, das ist ein üblicher Fünf-Minuten-Lohn«, entgegnete er sarkastisch.
»Sind Sie vorbestraft, Mr Blackford?«, fragte Berkley unbeirrt weiter, dabei ließ er ihn nicht aus den Augen.
»Nein«, erwiderte Blackford mit einem Hang zum Hohn und schniefte einmal kräftig durch seine Nase, als wolle er sich seinem Kokainkonsum hingeben. Unsympathischer, widerwärtiger, ekelhafter und verhasster Kerl, dachte ich. Der glaubt wohl, er hat die Welt erfunden. Dir werde ich heute mal zeigen, wer hier der Top ist. Richter Berkley war auch nicht besonders angetan von ihm und wandte sich nun mir zu.
»Die Anklageschrift bitte, Miss Cooper.« Mit herablassendem Blick stand ich auf und verlas die Anklageschrift. »Dem Angeklagten John Blackford wird Folgendes zur Last gelegt: Am 28. März 2017 besuchte der Angeklagte eine geschlossene Gesellschaft, um sich an einer Orgie zu beteiligen.« Kurz sah ich von meinen Unterlagen auf und blickte einem widerlichen Grinsen entgegen. Arschloch, dachte ich und las weiter. »Dabei lernte er die dreiundzwanzigjährige Sarah Woods kennen, mit der er eine sexuelle Handlung vollzog.« Das war noch milde ausgedrückt. »Das Opfer wurde seitens des Angeklagten so schwer misshandelt, dass es wenig später den Verletzungen erlag. Wäre das Opfer rechtzeitig einer ärztlichen Behandlung unterzogen worden, hätte man vielleicht das Schlimmste verhindern können. Da diese Hilfeleistung seitens des Angeklagten und der anderen Beteiligten unterlassen wurde, verstarb das Opfer an den Folgen der schweren Misshandlung noch an Ort und Stelle. John Blackford wird daher wegen schwerer Körperverletzung mit Todesfolge sowie unterlassener Hilfeleistung angeklagt.«
Verächtlich schob ich die Akte zur Seite und setzte mich. Ich würdigte ihn keines Blickes mehr. Richter Berkley begann mit der Befragung und rief den Angeklagten dazu in den Zeugenstand. Tiefe Abgründe eröffneten sich uns und am liebsten hätte ich ihm dafür ins Gesicht geschlagen.
Auf das Abnehmen der Handschellen hatte man aufgrund der Fluchtgefahr verzichtet und als ich ihn so dasitzen sah und ihm nun doch wieder ins Gesicht blickte, wurde mir mit einem Mal bewusst, wie sich diese junge Frau wohl gefühlt haben musste. Als sie ebenfalls mit Handschellen an eine Eisenstange gefesselt gewesen war, sich nicht hatte wehren können, die Augen verbunden, einen Mundknebel erhalten und absolut keinen Handlungsspielraum mehr gehabt hatte. Gnadenlos seinem Willen ausgesetzt, wenn anfangs vielleicht auch ganz freiwillig, doch sterben hatte sie mit Sicherheit nicht gewollt.
Ihn jetzt in Handschellen vor mir sitzen zu sehen, sodass er nun am eigenen Leib spüren musste, wie es war, wenn man sich seiner Haut nicht mehr erwehren konnte, weil man seiner Freiheit beraubt worden war, war mir ein Genuss. Der einzige Unterschied war, dass er keinerlei Schmerzen ausgesetzt war. Und wenn im Vereinigten Königreich die Folter noch erlaubt gewesen wäre, hätte ich sie garantiert anordnen lassen! Es widerte mich an, wenn ich daran dachte, wie sehr er die Demut seiner Sub ausgenutzt hatte. Sie hatte sich ihm vertrauensvoll hingegeben und er sich ihrer schändlich bedient. Richter Berkley war sichtlich erleichtert, als er an mich abgeben konnte.
»Ihr Zeuge, Miss Cooper.«
»Danke, Euer Ehren.« Hocherhobenen Hauptes schritt ich auf den Angeklagten zu, baute mich vor ihm auf und verschränkte meine Arme. Selbstsicherer hätte ich nicht wirken können. »Sie geben also zu, an dem besagten Tag Gast dieser zwielichtigen Party gewesen zu sein?« Der Typ war dermaßen eingebildet und überheblich, das konnte ich schon an seiner Visage sehen, dass mir das Kotzen kam.
»Ja, Miss Cooper.« An seinem hochnäsigen Gesichtsausdruck konnte ich erkennen, dass Frauen seiner Ansicht nach keine Rechte hatten und dass ihn nun eine Frau in der Verkörperung der Staatsanwaltschaft befragte, ging ihm vermutlich völlig gegen den Strich. Ich fuhr fort.
»Ist es richtig, dass Sie an diesem Abend die Bekanntschaft mit dem Opfer Sarah Woods gemacht haben?«
»Ja, Miss Cooper.« Er wackelte ein paarmal mit den Augenbrauen. Mistkerl. Ich beugte mich jetzt nach vorn, lehnte mich herablassend auf das Pult des Zeugenstandes und begutachtete ihn in einer siegessicheren Manier.
»Und ist es auch richtig, dass Sie mit dem Opfer an diesem besagten Abend den Geschlechtsverkehr vollzogen haben?« Er atmete tief aus und sah mich unbeirrt an.
»Jaaa, Miss Cooper.«
»Und ist es ebenfalls richtig, dass Sie das Opfer so misshandelt haben, dass sie am Ende daran sterben musste?« Nun funkelte ich ihn an und wartete fieberhaft auf seine Antwort.
»Nein! Miss Cooper, ich habe sie nicht gegen ihren Willen misshandelt! Sie wollte es so!« Ich warf ihm ein schändliches Lächeln zu.
»Sie wollte es so. Natürlich!« Mit Schwung holte ich aus und ließ meine Hand auf den Tisch sausen, sodass es im Gerichtssaal ordentlich nachhallte. Unwillkürlich zuckte er zusammen. Na also, geht doch, dachte ich ironisch und freute mich, dass ich ihn wenigstens etwas in die Schranken weisen konnte. Nun wurde ich lauter und schrie ihn förmlich an. »Das wollte sie sicher nicht! Und sterben wollte sie sicher auch nicht! Existiert im BDSM nicht die goldene Kardinalsregel, ein Codewort zu benutzen, um den sofortigen Abbruch einer sexuellen Handlung zu garantieren, wenn etwas aus dem Ruder läuft?«, trieb ich ihn weiter in die Enge.
»Ja, Miss Cooper, das ist völlig richtig. Sie hat es aber nicht gesagt!«,