In den letzten neun Monaten ist sie zu meiner Dauerbegleitung geworden und ich habe sie nie länger als eine Stunde abgegeben, und dann auch nur an Sven. Bereits bei dem Gedanken daran, allein mit Sven loszuziehen, fühle ich mich unvollständig. Mein Magen rebelliert, am liebsten würde ich mich übergeben, um dieses widerwärtig zwiespältige Gefühl loszuwerden.
Irgendetwas muss sich ändern, hallen Svens Worte laut in meinen Ohren wieder. Ich nicke langsam und schaue meiner Mutter fest in die Augen. »Würdest du Leonie mal für ein paar Stunden zu dir nehmen?« Auch wenn es im Moment nicht immer so erscheinen mag, liebe ich Sven, und ich muss verdammt noch mal endlich damit anfangen, an unserer Partnerschaft zu arbeiten.
»Aber natürlich!« Meine Mutter dreht Leonie auf dem Schoß zu sich herum und knuddelt sie. Die Kleine quietscht fröhlich und zwickt ihrer Oma in die Nase. »Wir würden schon zurechtkommen, nicht wahr Süße? – Wie du ja jetzt weißt, habe ich jede Menge Zeit am Wochenende«, sagt sie zu mir, ohne den Blick dabei von ihrer Enkelin zu nehmen.
Ich atme tief ein und aus. Es ist einfach nötig. Nicht darüber nachdenken, Augen zu und durch. »Wie wäre es gleich mit nächstem Samstag?«
***
Als wir wieder zu Hause ankommen, fühle ich mich um Längen besser. Tatkräftig stürme ich in das Büro, in das Sven sich nach dem Mittagessen wieder verzogen hat. Ich kann es gar nicht erwarten, ihm von meinen Plänen zu berichten. Er sitzt wieder an seinem Ballerspiel und dreht sich nicht mal nach mir um.
»Halt dir den nächsten Samstag frei«, fordere ich ihn auf, kaum dass ich die Tür aufgestoßen habe.
»Mache ich doch sowieso, damit du in Ruhe einkaufen gehen kannst«, erwidert er säuerlich. Ein zufriedenes Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht. Das fühlt sich so verdammt gut an, ihm einen Schritt voraus zu sein. »Diesmal werden wir gemeinsam einkaufen gehen, nur wir zwei. Besser noch: Wir können machen, was wir wollen, denn ich habe mit meiner Mutter vereinbart, dass sie auf Leonie aufpasst. Wenn es gut läuft, dann haben wir den ganzen Tag für uns.«
Stille.
Dann dreht Sven sich ganz langsam auf dem Schreibtischstuhl zu mir herum. Seine Augen kneift er misstrauisch zusammen. »Ist das dein Ernst? Was ist aus deiner Philosophie geworden, die Kleine vor dem Kindergartenalter bei keinem anderen als mir zu lassen?«
Mein Lächeln verwandelt sich in ein genugtuendes Grinsen. »Hab ich durch eine neue Philosophie ersetzt: Eltern brauchen auch mal Zeit für sich, und das, ohne ständig auf Abruf zu sein. Außerdem ist meine Mutter ja auch Teil dieser Familie, ich habe meine Grenzen also nur etwas erweitert. Was hältst du davon?«
Sven betrachtet mich nachdenklich und verschränkt die Arme vor der Brust. Er scheint mir nicht über den Weg zu trauen. »Wenn du das wirklich durchziehst, finde ich, dass das ziemlich gut klingt.« Er kann jedoch nicht vor mir verbergen, dass seine Augen erfreut blitzen. Das kann ich zumindest kurz sehen, ehe er mir wieder den Rücken zudreht.
Kapitel 3 Shopping mit gewissen Vorzügen
Samstagmorgen, neun Uhr. Ich springe hektisch im Wohnzimmer auf und ab und schnappe mir Leonies Lieblingskuschelente. Sie schaut mir verwundert hinterher, als ich damit in die Küche verschwinde, und widmet sich dann wieder ihrer Rassel. In der Küche stopfe ich die Ente in die bereits übervolle Wickeltasche, überlege es mir doch noch mal anders und packe alles wieder aus, um zu checken, ob ich auch wirklich an alles gedacht habe.
Wechselklamotten, Windeln, die mindestens für drei Tage reichen müssten – aber man weiß ja nie – Spielsachen, Breigläschen und eben das ganze andere Zeug, das man für einen Tag mit Baby benötigt. Alles da. Zufrieden verstaue ich die Sachen wieder in der Tasche und werfe einen Blick auf die Uhr am Herd. Kurz nach neun. Mit meiner Mutter habe ich vereinbart, dass wir Leonie gegen halb zehn bei ihr abliefern und ich wäre jetzt eigentlich startklar. Eines fehlt jedoch noch: Sven.
Missmutig tappe ich in den oberen Stock, um nach ihm zu sehen. Die Wohnzimmertür lasse ich offen, damit ich Leonie höre, sollte sie nach mir rufen. Im Bad ist er nicht, meine aufgekratzte Stimmung sinkt. Da haben wir schon mal einen ganzen Tag für uns und er liegt noch in den Federn. Doch heute muss einfach gut werden nach dieser unangenehmen Woche, in der wir nur das Nötigste miteinander geredet haben.
Ohne die Zeit mit Höflichkeiten wie Anklopfen zu verschwenden, stoße ich die Tür des Gästezimmers auf. Sven ist nicht zurück in unser Schlafzimmer umgesiedelt, obwohl Leonie wieder prima schläft. Noch ein Umstand, der mir sagt, dass wir dringend an uns arbeiten müssen.
»Steh auf, wir warten schon auf dich!« Ich schnappe mir die Bettdecke und ziehe sie Sven vom Körper. Nur in Shorts bekleidet blinzelt er mich an und dreht mir dann mürrisch den Rücken zu. »Wozu? Ich will ausschlafen, die Woche war richtig anstrengend.«
Ich runzle irritiert die Stirn. Ist es ihm wirklich entfallen? Ungehalten tippe ich mit dem Fuß auf den Boden, um seine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Die Decke habe ich ihm ja schon weggenommen. »Tut mir leid, aber das geht jetzt nicht. Meine Mutter wartet auf Leonie.«
Mit einem Ruck dreht Sven sich wieder zu mir herum. »Du hast das mit keinem Wort mehr erwähnt, da dachte ich –«. »Denk nicht, steh lieber auf und geh duschen. Ich hab dir doch gesagt, dass wir eine feste Vereinbarung getroffen haben. Ich –«. Weiter komme ich nicht. Sven schnappt sich meine Hand und zerrt mich mit einem Ruck zu sich ins Bett. Mit einem überraschten Uff lande ich direkt auf seinem warmen Körper. Er nimmt mein Gesicht in beide Hände und ich sehe in seine bewegten Augen. »Es ist dir wirklich ernst.« Ein vorsichtiges Lächeln erscheint auf seinen Lippen.
Ich räuspere mich, um den dicken Kloß in meinem Hals loszuwerden, und nicke bedeutungsvoll. »Natürlich ist es mir ernst damit, dass ich unsere Beziehung retten will.« Sven legt seine Lippen auf meinen Mund, die Worte gehen in einem vorsichtigen Kuss unter. Als er sich wieder von mir löst, ist er wie ausgewechselt. Er schiebt mich von sich herunter, springt aus dem Bett und sammelt die Klamotten vom Boden auf, die er am Vorabend achtlos dort hingeworfen haben muss.
»Wir haben noch nicht mal darüber nachgedacht, was wir unternehmen sollen. Wie wäre es mit Frühstück in dem Bistro, in dem du früher so oft mit Chrissi warst? Oder wir informieren uns besser erst, was im Kinopalast läuft, und richten uns dann danach. Wir könnten auch bei Giovanni eine Pizza essen gehen …«
Ich drehe mich auf die Seite und beobachte Svens hektisches Treiben. Jetzt ist er genauso, wie ich ihn haben wollte. Voller Vorfreude auf die Zeit mit mir. Das ist doch ein guter Anfang, oder?
»Wie wäre es, wenn du dich erst einmal fertig machst? Ich rufe Mama an und sage ihr, dass es etwas später wird.«
Sven hält inne und nickt, seine Wangen sind eifrig gerötet. Ein warmes Gefühl steigt in mir auf. »Vielleicht lassen wir das mit dem Kino. Ich würde viel lieber etwas unternehmen, bei dem wir nicht schweigend in einem dunklen Raum nebeneinandersitzen«, überlege ich laut. Mit einem großen Schritt steht Sven wieder neben dem Bett, lässt sich auf die Knie sinken und schenkt mir einen weiteren, hingebungsvollen Kuss. Seine intensive Reaktion auf unsere Pläne ist beinahe beunruhigend. Es ist etwas ganz Großes für ihn, mich ganz für sich zu haben. In meiner Magengrube ballt sich ein harter Klumpen zusammen. Ich ignoriere ihn und grinse Sven ausgelassen an. Positiv denken.
»Du solltest vor allem nicht vergessen, dir die Zähne zu putzen.« Mit der Zungenspitze lecke ich über meine Lippen und verziehe angeekelt den Mund. »Biest«, knurrt Sven und kitzelt mich so lange, bis mir die Puste ausgeht. Die ungewohnte Leichtigkeit und Svens Hände auf meinem Körper fühlen sich gut an, ein heißes Kribbeln rieselt durch mich hindurch, bis in meinen Schoß. Ganz automatisch beschleunigt sich meine Atmung. Sven beugt sich über mich, schiebt mein Haar beiseite und benetzt meinen