»Jetzt schauen wir uns noch mal die Seite mit den Accessoires an. Ich hätte gern die passende Federboa, eine lange Zigarettenspitze und eine typische Kopfbedeckung aus dieser Zeit«, sagte Sari und öffnete die Seite.
Nach einer weiteren Viertelstunde hatten die beiden das komplette Outfit zusammen und strahlten sich gegenseitig an.
»Ich würde das alles gern sofort bestellen«, sagte Sari. »Machst du uns inzwischen bitte einen starken Kaffee. Ich glaube, wir beide brauchen das jetzt. In der roten Dose sind deine Lieblingskekse. Ich komme gleich nach.«
Ina spürte, wie erleichtert ihre Freundin war, und lief bestens gelaunt die Treppe hinunter in die Küche. In diesem Kleid würde Sari eine klasse Figur abgeben. So, wie Sari es ihr erzählt hatte, würde diese Gala bestimmt ein außergewöhnliches Erlebnis für alle werden. Drei ihrer lieb gewonnenen Freundinnen freuten sich ebenso auf dieses Wiedersehen an alter Wirkungsstätte.
»Ich bin richtig neidisch!«, rief Ina Sari entgegen, als diese die Treppe herunterkam.
Der Duft von Kaffee empfing Sari.
»Aber natürlich gönne ich dir das von Herzen!« Ina füllte die Tassen, öffnete die Dose mit den Keksen. »Du kennst mich, das mit dem Skifahren wäre jetzt nicht so mein Ding. Après-Ski schon eher. Aber danach auf dem Schloss, das wird bestimmt der Hammer. Allein schon das Thema des Abends finde ich super. ›Burlesque-Gala 1929‹! Und das findet auch noch in einem historischen Schloss statt. Wie geil ist das denn!«
Sari schaute ihre Freundin belustigt an. »Seit wir mit Alexandre in Paris waren, verwendest du das Wort ›geil‹ in jedem dritten Satz. Da muss etwas in deinem Gehirn passiert sein. Ich gebe ja auch zu, es war eine verdammt geile versaute Nacht!« Sari lachte und Ina fiel mit ein.
Als sich beide beruhigt hatten, wurde Ina etwas sentimental. »Du hast recht, Sari. Alexandre würde ich liebend gern einmal wiedertreffen. Versprich mir hiermit hoch und heilig, ihm besonders liebe Grüße von mir auszurichten. Wie gern erinnere ich mich an unser gemeinsames Abenteuer in Paris. Das war einfach nur g… äh, super!«
»Gerade noch!« Sari lachte. »Aber im ernst. Wo du recht hast, hast du recht! Ich bin mir absolut sicher, dass wir mit Alexandre noch einmal etwas gemeinsam unternehmen werden. Er ist ein verdammter Genießer und hat diese Tage auch mit dir, als die Neue, die Unbekannte, ausführlich genossen. Ich habe das gefühlt, das kannst du mir glauben. Als Gentleman, der er ja tatsächlich ist, spielt er immer etwas den Coolen. Aber du hast schon Spuren bei ihm hinterlassen. Ich werde ihn ganz persönlich von dir grüßen, und in einem bin ich mir sicher, er wird sich herzlich darüber freuen. Floskeln oder einfach so dahingesagte Komplimente, sind nicht sein Ding. So gut kenne ich ihn.«
Ina schaute ihre Freundin mit strahlenden Augen an, freute sich über ihre Einschätzung. »Um ehrlich zu sein, das ging mir gerade runter wie Öl. Rede ruhig so weiter.«
Sari sah Ina ernsthaft an, unterstrich dann noch einmal das eben Gesagte. »Ich meine das wirklich so. Wir Frauen haben eine Antenne für solche Dinge. Aber jetzt zurück zu meinem Outfit.«
Beide nahmen noch einen Schluck Kaffee, bevor sie wieder hoch in Saris Büro gingen.
Sie schauten sich Fotos von Veranstaltungen aus Ende der Zwanzigerjahre an. Das Make-up für Sari sollte natürlich passend sein.
Beide waren fasziniert von der lockeren Eleganz, die diese Zeit hervorbrachte. Ina und Sari waren sich bewusst: Für die Masse der Bevölkerung war es eine Zeit des Hungerns, der Armut und der puren Verzweiflung. Viele lebten bei Hitze und Kälte auf der Straße. Während man im Saal ausgelassen Charleston tanzte, ging es draußen ums blanke Überleben. Beide hatte die Fernsehserie »Babylon Berlin« gesehen, die im Berlin des Jahres 1929 spielte. Ina kannte und liebte die Volker Kutscher Romane um Kommissar Rath.
Sie tippte Sari auf den Oberarm. »Schau dir diese Frau hier an. Perfekt geschminkt. Die nimmst du dir als Vorbild.«
Ina hatte recht. Sari schaltete den Drucker ein, um sich dieses Gesicht als Vorlage auszudrucken.
Es blieb nicht bei der einen Tasse Kaffee, als sie in die Küche zurückkehrten.
»Du schaust mich so an …« Ina seufzte. »Nein, es gibt nichts Neues mit Lorenz und mir. Es dauert ja nicht mehr lange, dann beginnt ein neues Jahr. Sollte sich in unserer Ehe nichts ändern, werde ich eine Entscheidung treffen. Wir vertragen uns ja, leben aber viel zu häufig einfach nebeneinander her. Deshalb … ach, es wäre schön, gemeinsam mal wieder etwas zu erleben. Du weißt, was ich meine. Mit euch beiden. Oder mit Alexandre. Ich bin bereit.« Ina erhob ihre Hand und schon klatschte Sari sie lachend ab.
»Mach dir keine Sorgen, mir fällt schon etwas ein. Darauf kannst du dich verlassen, Ina! Wozu hat man Freunde!«
Das Treffen
Kurz nach achtzehn Uhr hatte Sari einen guten Platz ergattert. Sie hatte fast freie Sicht über das gut besuchte Restaurant im fünften Stock des weithin bekannten Möbelhauses.
»Ich hätte gern den Salat mit Putenstreifen und eine Cola Zero mit Eis und Zitrone.«
Die Bedienung tippte Saris Bestellung in ihren PDA.
Vollkommen entspannt sah sich Sari um. Was sollte passieren! Sie war sich sicher, dass der Unbekannte sie beobachtete. Eine weitere Aktion erwartete sie nicht von ihm.
Einige Minuten nach Sari, hatte auch Ina das Haus betreten und wartete, wie abgesprochen, in der großen Küchenabteilung.
Kurz nahm Sari Ina wahr, die es nicht lassen konnte, von außerhalb einen kleinen Blick in das Restaurant zu werfen. Hier war ordentlich was los. Jeder freie Tisch war schnell wieder belegt. Es war preiswert und das Essen schmackhaft. Mit dem Restaurant wollte man mehr Kunden anlocken. Es war ein stetiges Kommen und Gehen.
Natürlich schweifte Saris Blick in alle Richtungen des Restaurants. Manche der Männer schaute sie sich etwas genauer an. Das konnte schon zu Missverständnissen führen, aber es war ihr egal. Keiner fiel ihr besonders auf.
Eine halbe Stunde später bezahlte sie. In Gedanken war sie schon wieder bei Ina. Gemeinsam würden sie noch einen Bummel durch das Haus machen. Sie wollte ein paar neue Weingläser kaufen und sich die neuesten Mikrofaser-Badetücher ansehen, die sie für ihren Sport bräuchte. Sie ging in Richtung Ausgang des Restaurants.
»Hallo! Einen Moment bitte!«
Sari drehte sich um.
Eine Bedienung hielt ihr einen Umschlag entgegen. »Sie haben das liegen lassen! Der Umschlag lag auf ihrem Tisch.«
Sari schüttelte reumütig ihren Kopf. »Wo habe ich nur meine Gedanken. Vielen Dank! Sehr aufmerksam von Ihnen. Nochmals danke.«
Ina sah man die Erleichterung an, als sie Sari auf sich zukommen sah. »Alles in Ordnung? Hast du den von ihm?« Ina deutete auf den Umschlag.
Sari erklärte ihr kurz, wie sie ihn erhalten hatte.
»Irgendwie muss ich dem Kerl doch Respekt zollen«, sagte Ina. »Das ist schon ganz schön clever gemacht. Und ich bewundere dich, dass du das alles so leicht nimmst.«
»Ich nehme es, wie es kommt. Noch ist nichts Dramatisches passiert.« Sie riss den Umschlag auf, legte die Fotos auf einer Arbeitsplatte ab. »Aha! Kein Schreiben, nur Fotos.« Doch etwas verblüfft schaute Sari auf die Bilder. »Woher kannte der Herr Fotograf die Bedeutung der Residenz in Bezug auf mich? Wie kommt er zu der Information, dass ich mich ab und zu dort aufhalte? Was will er mir mit diesen Fotos beweisen oder unterstellen?« Sari atmete tief durch. »Ich habe das fast genauso erwartet. Er steigert immer mehr den Druck auf mich. Mein Bauchgefühl war richtig. Jetzt wird er die Schraube weiter anziehen. Er will mich! Warum auch immer! Demnächst kommen spannende Tage auf uns zu. Ich brauche deine Hilfe mehr denn je.«
***
Als Sari die neuen Weingläser auspackte, war sie in Gedanken bei den Fotos. Warum diese Hinweise auf die Residenz? Auf was wollte er