»Himmel! Wie sehe ich denn aus?«, murmelte sie und blickte auf ihren bespritzten Rock.
»Geh drüben ins Klo. Vielleicht kannst du ihn rausreiben«, sagte er, während er seine Hose zumachte.
Als sie den Flur überquerten, begegnete ihnen Woodrow, der nur knurrte: »Du hast da ’nen Fleck auf deinem Rock, Lady.«
Als sie im WC verschwunden war, sagte er zu Bones: »Wenigstens die schreibt jetzt sicher was Nettes über euch.«
»Was willst du damit sagen?«, gab Bones lauernd zurück, doch gerade als Woodrow antworten wollte, kam die Journalistin zurück.
»Ich muss wieder in die Redaktion. Man sieht sich Freitag.« Dabei schenkte sie ihrem Liebhaber einen großen Augenaufschlag.
Bones nickte und lächelte.
Kapitel 11
Als sie gegangen war, nahm der Manager ihn am Arm und zog ihn ins Konferenzzimmer. Sofort fiel sein Blick auf die trocknenden Flecken auf der Tischplatte. »Bones, du bist eine Sau!«
Er zog ein Kleenex aus einer Pappschachtel und wischte den Samen weg. Dann warf er das Tuch in einen Mülleimer. Als er sich auf dem Tisch niederließ, achtete er darauf, sich nicht auf die Stelle zu setzen, die er gerade gesäubert hatte. »Hör zu! Eben bei der Pressekonferenz bist du um Haaresbreite an einem riesen Eklat vorbeigeschrammt.«
»Blödsinn«, knurrte Bones.
»Du warst so auf Krawall gebürstet, dass es wirklich jedem aufgefallen ist. Außer dir selbst. Was Miller schreibt, weiß ich jetzt schon. ›Bones schnappt sich den Knochen ...‹ Oder irgend so ’nen Mist.«
»Das ist doch Bullshit und das weißt du auch.«
»Nein, das weiß ich nicht. Du sahst aus, als wolltest du den Kerl mitten im Zimmer verprügeln!«
»Wieso fragt er mich auch so eine Scheiße? Er hat mich provoziert!« Damit nahm er sich eine Zigarette und zündete sie an. Tief inhalierend ging er ans Fenster.
»Hier ist Rauchverbot«, murmelte Woodrow und nestelte an seinen Manschetten.
»Leck mich!«, erwiderte der Sänger.
»Bones, sieh mich an!«
Er reagierte nicht, sondern starrte weiter aus dem Fenster in den herbstlichen Londoner Nachmittag.
»Du bist doch schon wieder breit ...«
»Ich hab nur die Tabletten von der Ärztin genommen. Die knallen eben.«
»M-hm. Vor allem, wenn man sie mit Alk runterspült.« Woodrow nickte heftig. »Du bringst uns alle in Teufels Küche. Nicht nur, dass du all diesen Dreck in dich reinkippst, nein, du vögelst auch noch alles, was nicht bei Drei auf dem Baum sitzt.«
Bones schloss gelangweilt die Augen und presste seine Stirn gegen das kühle Glas. »Drei«, murmelte er.
»Das ist nicht witzig!« Woodrow verlor die Beherrschung. Er sprang von dem Tisch und versetzte dem Schrank einen Tritt. »Was, wenn eine von diesen Schlampen dir was anhängt?«
»Wir müssen alle sterben«, erwiderte Bones.
»Ich rede nicht von irgendwelchen abgefuckten Krankheiten, ich rede von einem Kind. Du fickst ja offensichtlich nicht mit Gummi. Und was machst du dann? Hä? Spielst du dann den liebenden Papa, statt den harten Rocker?«
»Leck mich. Ich habe andere Probleme, als ’ne Tussi mit aufgeblasenem Bauch.«
»Oh – glaubst du, das wüsste ich nicht?« Woodrow zündete sich selbst eine Zigarette an, was ihm einen Seitenblick seines Sängers eintrug.
»Die Verkaufszahlen gehen runter, mein Freund! Und so ein Ding wie die Albert Hall – das ist Prestige. Die ist so teuer in der Miete, dass am Ende unterm Strich kaum noch was bleibt.«
»Heul mir nicht die Ohren mit deinem Kaufmannsgewäsch voll«, brummte Bones.
»Dieser Kaufmann hat dir aber deinen hübschen Arsch gerettet, als du dich von einem kleinen Straßendealer hast aufschlitzen lassen.«
Bones dachte an die Ärztin und fragte sich, ob sie das Ticket nutzen würde. Er schmunzelte bei dem Gedanken, wie sie sich unter all den Gothic-Chicks machen würde. Sicherlich würde sie ein schwarzes T-Shirt anziehen und sich sehr düster dabei vorkommen.
»Was grinst du? Das ist nicht komisch. Ich sag dir eins: Wenn ihr nicht mehr bringt, was die da oben«, er deutete gegen die Decke, »von euch erwarten ... dann seid ihr ganz schnell draußen. Und das ist kein Was-wäre-wenn-Gelaber ... Es gibt schon Gespräche wegen euch.«
Der Sänger stieß sich vom Fenster ab und wandte sich zum Gehen.
»Was tust du? Verflucht, ich rede mit dir!«
»Ich gehe nach Hause«, murmelte Bones.
»Du hast kein Zuhause«, versetzte Woodrow, noch bevor Bones ihm die Tür vor der Nase zuschlug.
Wer hätte das besser gewusst, als er selbst? Er wohnte zur Miete in einem Haus mit möblierten Zimmern. Mehr oder minder Ferienwohnungen. Er hatte auch eine Zeit lang in einem Hotel gelebt, aber das war zu teuer geworden. Aus diesem Haus konnte er von heute auf morgen verschwinden.
Er warf den Schlüssel auf den Tisch und setzte sich vor den Fernseher. Das war der Moment, vor dem er sich bei jedem Atemzug zu Tode fürchtete. Der Moment, wenn all der Trubel weg war. Wenn die Stille kam. Da konnte er den Fernseher Tag und Nacht laufen lassen, oder die Anlage. Die Stille blieb. Er schnaubte kurz auf, als er daran dachte, wie ernüchtert seine Fans sein würden, wenn sie sahen, wie er wirklich lebte. Wirklich! Nicht die Home-Stories, für die Woodrow extra Häuser mietete, gern auch alte Villen, die er dann aus dem Fundus einer Filmfirma bestücken ließ und wo es dann in den Artikeln hieß: »So lebt der Fürst der Finsternis!«
Stattdessen lebte der »Fürst der Finsternis« in einer Bude, in der Möbel aus den frühen achtziger Jahren die ausgebleichten Tapeten verstellten.
Er legte den Kopf zurück und hob ächzend sein Becken an. Ob sie kommen würde?
***
Kapitel 12
Ivy fühlte sich wie von einem schwarzen Meer umwogen. Sie kannte ja die bizarr-skurrilen Aufmachungen der Jugendlichen aus ihrer Gegend um die Praxis herum, aber so viele auf solch engem Raum zu erleben, empfand sie als atemberaubend.
Manche tanzten stumm zur Musik aus ihren Smartphones, während andere umherflanierten, um sich gebührend bewundern zu lassen, während sie darauf warteten, dass sie eingelassen würden. Obwohl es erst dämmerte, war die Albert Hall bereits angestrahlt und wirkte dabei wie ein viktorianisches Nadelkissen im Herzen der modernen Großstadt.
Ivy kam nicht umhin, sich einzugestehen, dass sie nervös war. Es war so viele Jahre her, dass sie auf einem Konzert gewesen war, dass sie nicht einmal wusste, wo sie hin musste ...
Die Menschenmenge wurde mit jeder Minute unübersichtlicher. Alle schienen größer zu sein als sie selbst und sie konnte nicht mehr tun, als den Weg an der Seite der Schlange zu suchen, um überhaupt noch Luft zu bekommen. Es dauerte nicht lange, da begann sie sich selbst zu verfluchen, dass sie überhaupt hergekommen war. Die Leute um sie herum hätten locker ihre Kinder sein können und sie fühlte sich so deplatziert, dass es beinahe körperlich wehtat.
So in ihren Zweifeln versunken, in Gedanken bereits wieder zu Hause, noch vor dem Konzert, erschrak Ivy umso mehr, als ihr jemand plötzlich auf die Schulter tippte.
»Sie haben ein rotes Ticket?« Ein Kerl wie ein Kleiderschrank hatte sich vor ihr aufgebaut.
Ivy nickte verwirrt und hob die Karte wie zum Beweis hoch.
»Dann brauchen Sie hier nicht anzustehen, Miss. Kommen