Er lag noch immer auf der Liege, hatte sich aber auf seine unverletzte Seite gedreht und schnarchte leise.
Ivy musste bei dem Anblick schmunzeln. Sie griff nach einem Stuhl und stellte ihn neben Armstrong. So konnte sie rasch eingreifen, falls er eine ungeschickte Bewegung machen sollte. Er hatte seine Hand flach unter seine Wange geschoben und sein Mund stand ein wenig offen. Seine Lippen waren voll und ausgesprochen sinnlich, wie sie feststellen musste. So ruhig und entspannt schien er ihr noch schöner. Eine Schönheit, die schmerzte. Sie wollte ihn berühren. Aber das durfte sie nicht. Noch nie hatte sie bei einem Mann das Bedürfnis empfunden, ihn einfach nur anfassen zu wollen, sich zu versichern, dass er wirklich war, dass er keine Fatamorgana war.
Ein Haar spannte sich über seinem geschlossenen Lid. Sie streifte es vorsichtig beiseite. Sein Arm war angespannt und sie sah die Sehnen, die sich unter der Kugel seiner Schulter spannten. Kurz darunter trug er einen tätowierten Phönix, der mit seinem prachtvollen Gefieder aus Flammen stieg. Das war zwar ein gewisser Bruch mit dem Mythos, aber Flammen wirkten einfach besser als Asche.
Kapitel 8
Ivy ertappte sich dabei, nachdem sie das Haar entfernt hatte, dass sie irgendeinen Grund suchte, ihn abermals berühren zu können. Ihn einfach so anfassen, war undenkbar. Was hätte sie sagen sollen, wenn er plötzlich wach geworden wäre?
Mit jeder Sekunde, die verging, hoffte sie mehr, dass er so schnell wie möglich verschwinden würde. Einfach nur weg. Etwas schien unter ihren Füßen zu beben, aber sie konnte es nicht einordnen.
War sie wirklich fünfunddreißig Jahre alt geworden, eine gestandene Ärztin, um sich jetzt wie ein Teenager aufzuführen?
Bitte, wach auf und verschwinde!, dachte sie und wiederholte den Satz wie ein Mantra. Das waren ihre Gedanken, doch ihre Augen gehorchten ihr nicht. Sie wanderten über seinen Körper, prägten sich sogar die kleinen dunklen Löckchen ein, die von seinem Bauchnabel abwärts liefen. Mit erhitztem Gesicht dachte sie daran, wo diese Löckchen endeten ...
Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Schwer atmend hatte sie plötzlich das Bild eines erigierten Penis vor Augen. Was löste dieser Mann nur in ihr aus? Ivy überlegte, wie lange sie schon keinen Sex mehr gehabt hatte ...
Ewig!, war ihr Resultat.
Auf einer Fortbildung hatte sie mit dem Hauptreferenten geschlafen. Einer international bekannten Koryphäe. Natürlich hatte sie damals gewusst, dass sie für ihn nur ein Zeitvertreib gewesen war, aber als er dann nach ein paar Wochen voller Telefonate, SMSen und E-Mails plötzlich nicht mehr auf ihre Nachrichten reagiert hatte, hatte sie sich benutzt und elend gefühlt. Danach hatte sie sich geschworen, keinem Mann mehr zu vertrauen. Ivy hatte sich in ihre Arbeit gestürzt und so versucht, das Thema »Liebe« ein für alle Mal zu begraben. Es hatte sehr schön funktioniert, stellte sie fest. Bis jetzt!
Es ärgerte sie, dass dieser Kerl einfach in ihre Praxis marschierte und kurzerhand alles über den Haufen warf, was sie an Regeln aufgestellt hatte. Zudem war er wohl kein angenehmer Zeitgenosse, wenn sie sich an den Ton erinnerte, in dem er mit ihr gesprochen hatte. Und eine Stichverletzung bekam man nicht unbedingt beim Schafehüten.
Ein Mann wie er hatte sicherlich keinen Mangel an Sex. Sie dachte an all diese Groupies, von denen man las. Und so wie er aussah ...
Ivy ging zum Schreibtisch und nahm sich ein Buch, in dem sie gerade las. Ein neues Werk zur Behandlung von Bandscheibenvorfällen. Die nüchternen Ausführungen würden ihren Verstand wieder einsetzen lassen, so hoffte sie zumindest.
Irritiert blickte sie auf, als er sich, leise ächzend, zu bewegen begann. Sie ließ das Buch beinahe fallen, um bereit zu sein ...
Er drehte sich auf den Rücken und verzog dabei das Gesicht. Dann hob er, noch immer im Halbschlaf, den Kopf, griff in seinen Nacken und zog das Gummiband von seinem Zopf ab, das ihn offensichtlich gestört hatte. Sofort ergoss sich ein Meer aus schwarzem Haar über die Liege.
Ivy hielt den Atem an.
Seine Brust wölbte sich und sein Bauch hob und senkte sich zu den gleichmäßigen Atemzügen seiner Lungen.
Sie kam nicht umhin, festzustellen, dass seine Hose ein wenig gerutscht war und die Spitze seiner Eichel freigab. Die Vorhaut wurde von seinem Gürtel gedrückt und hatte sich in kleine Fältchen gelegt.
Ein heißes Prickeln überzog schlagartig ihren Körper. So konnte es nicht weitergehen, beschloss sie. Einfach nicht mehr hinsehen!, befahl sie sich selber und nahm ihr Buch wieder zur Hand, aber die Sätze ergaben keinen Sinn mehr. Die Buchstaben hüpften vor ihren Augen, ihre Gedanken schweiften ab. Ohne es verhindern zu können, stellte sie sich vor, wie sie seine Hose öffnete und sich über seinen Schwanz beugte. Man brauchte nicht viel, um sich ausrechnen zu können, wie prachtvoll er ausgestattet war ...
Wenn ich noch ein bisschen weitermache, dachte sie, werde ich über ihn herfallen, sobald er wach wird. Ich werde ihn hier auf der Liege vergewaltigen ...
Sie saß neben ihm und musterte ihn. Umso mehr erschrak sie, als er plötzlich seine Augen aufschlug und sie direkt ansah.
Sie waren wahrhaftig so grün ... Es waren keine Kontaktlinsen, stellte sie fest.
»Bin ich eingeschlafen?«, murmelte er.
Ivy nickte und raffte all ihre Reste von Selbstbeherrschung zusammen.
Er räusperte sich. Doch anstatt aufzustehen, wie sie erwartet hatte, drehte er sich auf die Seite und stützte seinen Kopf mit der Hand. Seine Blicke wandte er nicht ab. »Haben Sie bei mir Wache gehalten?«
»Ich wollte nicht verklagt werden, nur weil Sie von der Liege fallen.«
Im ersten Moment schaute er verblüfft, aber dann grinste er breit. »Das ist cool!«, sagte er. »Aus dem Grund ist noch nie eine Frau neben mir wach geblieben ...«
Ivy musste ebenfalls lächeln. »Ich würde jetzt gern den Verband machen?«, sagte sie.
Er nickte und setzte sich auf. »Eigentlich war es sehr gemütlich so«, teilte er zufrieden mit.
»Ja. Nur leider ist die Praxis längst geschlossen ... Und die letzten beiden Patienten habe ich Ihretwegen in meinem Büro behandelt.«
Seine Miene verdüsterte sich. »Sie hätten mich doch wecken können ...«
»Das habe ich ja versucht. Aber Sie waren total weg.«
Er kratzte sich an der Wange. »Verdammt. Das tut mir leid. Nächstes Mal klatschen Sie mir einfach einen nassen Lappen ins Gesicht.«
»Es gibt kein nächstes Mal«, versetzte sie entschieden. Damit hatte sie eine unsichtbare Grenze überschritten, sie sah es an seinen Augen. Schnell griff sie nach der breiten Mullbinde und begann, sie um seinen Oberkörper zu wickeln. Er sollte nicht sehen, wie verunsichert sie war.
»Tsch ...«, machte er, als sie das Ende festklebte.
»Das kann nicht wehgetan haben!«, sagte sie.
»Ich bin eine Memme«, versetzte Armstrong lachend. Er stand auf und sie reichte ihm sein T- Shirt.
»Der Schlaf hat Ihnen aber scheinbar gutgetan.«
Es war ein merkwürdig misstrauischer Blick aus seinen tiefgrünen Augen, der sie traf und den sie nicht verstand. Er durchbrach die plötzlich eingetretene Spannung und sagte: »Ja. Sicher. Das sollte ich öfter machen.« Damit zog er sein Jackett an.
Als Ivy an der Tür stand, griff er mit einer Hand nach hinten und zog seinen Geldbeutel aus der Gesäßtasche und blätterte in den Scheinen. »Was bin ich schuldig?«
Sie schluckte. »Nichts. Das geht auf die Kasse.«
Schweigend gingen sie bis zum Eingang der Praxis.
»Also, übermorgen muss der Verband unbedingt gewechselt werden. Und wenn