»Was für ein reizendes Kind!« sagte Fräulein Thuillier, die aufstand und ihre Schwägerin umarmte.
»Jetzt ist die Reihe an mir!« sagte Colleville und nahm eine Athletenpose an. »Passen Sie auf! Auf die Freundschaft! Ausgetrunken und frisch gefüllt! – Schön! Auf die Künste, den Schmuck des gesellschaftlichen Daseins! Ausgetrunken und frisch gefüllt! – Auf noch ein solches Fest am Tage nach der Wahl!«
»Was ist denn das für eine kleine Flasche? ...« fragte Dutocq Fräulein Thuillier.
»Das ist eine von meinen drei Flaschen Likör von Frau Amphoux; die zweite wird für Celestes Hochzeitstag aufgehoben, und die dritte für die Taufe ihres ersten Kindes.«
»Meine Schwester hat beinahe den Kopf verloren«, sagte Thuillier zu Colleville.
Das Diner wurde mit einem Toaste Thuilliers beendet, zu dem ihn Theodosius veranlasste, als der Malaga in den kleinen Gläsern wie eine Reihe Rubine erglänzte.
»Colleville, meine Herren, hat einen Toast auf ›die Freundschaft‹ ausgebracht; ich trinke mit diesem edlen Weine ›auf meine Freunde‹! ...«
Ein wütendes Hurra begrüßte diese Sentimentalität; aber als Dutocq zu Theodosius sagte:
»Es ist eine Sünde, einen solchen Malaga diesen Zungen gewöhnlichster Sorte vorzusetzen ...«, rief die Bürgermeisterin aus: »Ach, wenn man so was nachmachen könnte, mein Lieber,« und brachte durch die Art, wie sie den spanischen Wein ausschlürfte, das Glas zum Klingen, »was für ein Vermögen ließe sich damit machen! ...«
Zélie war auf der höchsten Stufe des Rotglühens angelangt; sie sah zum Erschrecken aus.
»Unseres ist bereits gemacht!« erwiderte Minard.
»Meinst du nicht auch,« sagte Brigitte zu Frau Thuillier, »dass wir den Kaffee lieber im Salon trinken?«
Frau Thuillier gab sich gehorsam den Anschein, als sei sie die Herrin des Hauses und erhob sich.
»Ach, Sie sind ein wahrer Zauberer«, sagte Flavia Colleville und nahm la Peyrades Arm, als sie aus dem Speisezimmer in den Salon gingen.
»Mir liegt nur daran,« entgegnete er, »Sie zu bezaubern; und glauben Sie mir, ich nehme damit nur Revanche; Sie sind heute bezaubernder als je!«
»Thuillier,« bemerkte sie, um dieser Diskussion aus dem Wege zu gehen, »Thuillier hält sich für einen Politiker!«
»Aber, Beste, der Hälfte der lächerlichen Erscheinungen in der Gesellschaft wird so etwas eingeredet; die Leute selbst sind daran unschuldiger als man denkt. Wie oft sieht man nicht in den Familien, dass der Mann, die Kinder und die Hausfreunde einer ganz dummen Mutter einreden, dass sie geistvoll, einer fünfzigjährigen, dass sie schön und jung sei! ... Daher diese für Unbeteiligte unbegreiflichen Verkehrtheiten. Solche Leute sind lächerlich eitel, weil ihre Mätresse sie anbetet, oder stolz auf ihre Reimkunst, weil andere dafür bezahlt werden, sie glauben zu machen, dass sie große Dichter seien. Jede Familie hat ihren bedeutenden Mann, und daher, wie in der Kammer, das allgemeine Dunkel trotz aller Leuchten Frankreichs ... Geistvolle Leute lachen darüber unter sich, das ist alles. Sie sind der Geist und die Schönheit dieser Kleinbürgergesellschaft; deshalb habe ich mich Ihnen anbetend geweiht; aber mein nächster Gedanke war, Sie hier herauszuziehen, denn ich habe Sie ernsthaft lieb und mit einem Gefühl, in dem mehr Freundschaft als Liebe enthalten ist, wenn auch viel Liebe sich dabei meldet«, fügte er hinzu und drückte sie im Schutze der Fensternische, in die er sie geführt hatte, ans Herz.
»Frau Phellion wird den Klavierpart übernehmen«, sagte Colleville; »heute muss alles tanzen: die Flasche, die Zwanzigsousstücke Brigittes und unsre kleinen Mädels! Ich werde meine Klarinette holen.«
Und er übergab seine leere Kaffeetasse seiner Frau, indem er darüber lächelte, dass er sie in so gutem Einvernehmen mit Theodosius sah.
»Was haben Sie denn mit meinem Manne gemacht?« fragte Flavia ihren Verführer.
»Müssen wir uns alle unsre Geheimnisse anvertrauen?«
»Haben Sie mich denn nicht lieb?« erwiderte sie und warf ihm einen Blick mit der koketten Verschmitztheit einer Frau zu, die sich beinahe schon entschieden hat.
»Oh, da Sie mir die Ihrigen anvertrauen,« begann er wieder und ließ sich zu der erregten Lustigkeit der Provenzalen hinreißen, die anscheinend so reizvoll und so natürlich ist, »will ich Ihnen doch nicht verhehlen, was mir das Herz bedrückt ...«
Er führte sie wieder in die Fensternische zurück und sagte lächelnd:
»Colleville, der gute Kerl, hat in mir die von diesen Kleinbürgern unterdrückte Künstlernatur erkannt, die vor ihnen sich schweigend verhalten muss, weil sie sich nicht verstanden, falsch beurteilt und zurückgestoßen sieht; aber er hat die Glut des heiligen Feuers, das mich verzehrt, verspürt. Ja, gewiss,« sagte er mit tiefster Überzeugung, »ich bin ein Künstler des Wortes, wie Berryer; ich könnte die Geschworenen zum Weinen bringen und selber dabei weinen, denn ich bin nervös wie ein Weib. Er, dem diese ganze Kleinbürgergesellschaft grässlich ist, hat sich also mit mir über sie lustig gemacht; wir haben zuerst gelacht, und als wir uns dann ernsthaft aussprachen, hat er gemerkt, dass ich ebenso klug bin wie er. Ich habe ihm meine Absicht, aus Thuillier etwas zu machen, mitgeteilt und habe durchblicken lassen, was für Vorteile er sich durch einen solchen politischen Strohmann verschaffen könne. ›Und sei es auch nur‹, habe ich ihm gesagt, ›damit Sie Herr von Colleville werden und Ihre reizende Frau auf den Platz bringen können, auf dem ich sie sehen möchte, in einer völlig gesicherten Lebenslage, in der Sie selbst sich zum Deputierten wählen lassen könnten; denn um das zu erreichen, worauf Sie Anspruch haben, genügt es, wenn Sie für einige Jahre in die Gegend der Hoch- oder Voralpen in irgendein kleines Nest ziehen, wo alle Sie gern haben werden, und wo Ihre Frau allen den Kopf verdrehen wird ... Und das‹, habe ich hinzugefügt, ›kann nicht fehlschlagen, besonders dann nicht, wenn Sie Ihre liebe Celeste einem Manne zur Frau geben, der imstande ist, sich eine einflussreiche Stellung in der Kammer zu verschaffen ...‹ Mit der Vernunft im Gewande des Scherzes erreicht man bei gewissen Naturen mehr als ohne dieses: daher sind Colleville und ich jetzt die besten Freunde von der Welt. Er hat bei Tisch sogar schon zu mir gesagt: ›Du Schuft, du hast mir meinen Toast weggenommen!‹ Heute abend noch werden wir auf Du und Du miteinander sein ... Dann werde ich ihn noch zu einem Fest mitnehmen, wo die Künstler, soweit sie verheiratet sind, sich immer kompromittieren, und das wird uns vielleicht zu noch intimeren Freunden machen, als er und Thuillier es sind, denn ich habe ihm außerdem erzählt, dass Thuillier vor Neid wegen der Rosette in seinem Knopfloch platzt ... Sie sehen, teuerste geliebte Frau, was man, von einer tiefen Empfindung beseelt, zu leisten vermag! Müsste mich Colleville nicht adoptieren, damit ich mit seinem Einverständnis bei Ihnen sein kann? ... Aber Sie, Sie könnten von mir verlangen, dass ich Aussätzige küssen, lebende Kröten verschlingen oder Brigitte verführen soll; ja, ich würde mein Herz von dieser langen Latte aufspießen lassen, wenn ich mich ihrer als Krücke bedienen müsste, um mich zu Ihren Füßen hinzuschleppen!«
»Heute morgen,« sagte sie, »haben Sie mir einen Schreck eingejagt ...«
»Und heute abend sind Sie über mich beruhigt! ... Ja, niemals wird Ihnen etwas Böses von meiner Seite widerfahren.«
»Ich gebe es zu, Sie sind wirklich ein ungewöhnlicher Mensch! ...«
»Ach nein; meine geringsten und meine heißesten Bemühungen sind nur der Reflex der Flamme, die Sie in meinem Herzen entzündet haben, und ich will Ihr Schwiegersohn werden, damit wir uns niemals zu trennen brauchen .. Meine Frau, mein Gott, die kann mir nichts anderes sein, als eine Maschine, um Kinder zu erzeugen; aber das erhabene Wesen, meine Gottheit, das wirst du sein«, flüsterte er ihr ins Ohr.
»Sie sind ein Teufel!« sagte sie mit einem Anflug von Schrecken.
»Nein, ich bin nur ein wenig Poet, wie alle meine Landsleute. Seien Sie gut, seien Sie meine Josephine! ... Morgen um zwei Uhr komme ich zu Ihnen; ich habe das heiße Verlangen, zu sehen, wo Sie schlafen, wie die Sachen in Ihren Zimmern stehen, die Perle in ihrer Muschel zu bewundern!«