So war ihm also wieder eine Türe verschlossen worden. Mit vollem Unrecht, kann man heute wohl sagen. Gewiß war der Angriff auf Heine sehr stark und vielleicht manchmal sogar übertrieben streng. Aber Schiff konnte nicht lügen, und als Rezensent am allerwenigsten. Hier kam noch dazu, daß er in jüdischen Fragen seine unantastbaren Grundsätze hatte, an denen er nicht rütteln ließ. Er war kein blinder Anbeter und Bewunderer des Judentums und verargte es Heine immer, daß dieser trotz seiner Taufe innerlich Jude geblieben war. Gewiß war Schiff (wie dies »Johann Faust in Paris« bewiesen hat) damals kein rückhaltsloser Verehrer des Christentums mehr; aber sein Haß, wo sich dieser offenbarte, war immer ein Haß der Liebe; er fühlte, daß er trotz eventueller Konversion niemals als vollwertiger Christ angesehen werden würde, und das allein rief gelegentliche Ausfälle auf das Christentum hervor, dem Schiff immer noch wohlwollender gegenüberstand als seiner eigenen Religion. Er war kein Judenfeind, wie etwa im 16. Jahrhundert der getaufte Jude Pfefferkorn, der gegen seine früheren Glaubensgenossen in seinen Schriften mit Feuer und Schwert wütete. Aber er übersah niemals die schweren Gebrechen, die dem Judentum seiner Zeit anhafteten, das zwischen Assimilation und Aufrechterhaltung der angeborenen Stammeseigenart haltlos einherging. Namentlich gegen die jüdische Orthodoxie, die er für weit unduldsamer hielt als die christliche, wandte er sich immer wieder in der auffallendsten Weise. Ihm war jede Spur einer spezifisch jüdischen Sentimentalität, wie sie etwa Leopold Kompert eigen ist, völlig fremd. Er scheute sich nicht, auf Wunden im Leben seiner jüdischen Zeitgenossen unbarmherzig die Finger zu legen, aber bloß deshalb, um den Weg zur Heilung zu weisen. Natürlich konnte dieser nach Schiffs Auffassung nur der des vollständigen Aufgehens im deutschen Volke sein, dem er selbst seinen köstlichsten intellektuellen Besitz verdankte, und dem zu dienen, er sich mit seinen leider zu schwachen Kräften emsig bemühte. Deshalb war ihm jede Verherrlichung des Judentums, die notwendigerweise zu dessen dauernder Erhaltung führen mußte, gründlich verhaßt. Denn er sah nur zu gut, daß damit von selbst auch der feste Bestand seiner schlimmen Eigenschaften – vor allem seiner zelotischen Unduldsamkeit – gegeben war. Von diesem Standpunkte aus betrachtete er denn auch das Shakespearebuch Heines, der aus blindem Glaubenseifer eine Ehrenrettung des Judentums dadurch zu vollbringen glaubte, daß er Schiffs Abgott, wenn auch nur in der Kommentierung der einzigen Gestalt des Shylock, nahetrat.
Folgerichtig ergab sich aus diesen Grundsätzen Schiffs auch seine eigene Darstellung jüdischen Lebens und jüdischer Charaktere. Immer wieder begegnet man bei ihm fanatischen Juden, die noch immer in dem Wahne, die Verehrer der alleinigen wahren Religion zu sein, dahinlebten, denen jeder Blick für die Fortschritte der Zeit und Kultur fehlte, und die in einem erstarrten religiösen Konservativismus den Pferch des Ghettos jeder anderen freieren und freundlicheren Behausung vorzogen. Für solche Selbsterniedrigung und Selbstzurücksetzung fehlte Schiff der Sinn. Er kämpfte eigentlich für dasselbe, wofür sich die Zunz, in dessen Haus er in Berlin auch verkehrt hatte, Moses Moser, Immanuel Wolf vergeblich exponiert hatten. Von Bestrebungen für eine Reform des Kults erwartete er ebensowenig wie Heine, nur daß sich bei Schiff niemals eine so ausgesprochen christenfeindliche Tendenz, wie etwa im »Almansor«, findet. Denn er war zu sehr in den Segnungen der deutschen Kultur und Literatur aufgewachsen, als daß er die Vorteile übersehen hätte, die sich für die Juden durch das unbedingte Aufgehen in der deutschen Nation ergeben mußten. Wer die Juden ob ihrer Besonderheiten, die er niemals als Vorzüge anerkannte, verherrlichte, gegen den trat er in die Schranken. So tadelte er es an Herder in seiner ersten Sammlung, die jüdische Sujets enthält, in »Hundert und ein Sabbath oder Geschichten und Sagen des jüdischen Volkes« (Leipzig 1842)[* Eine Geschichte daraus »Simon Abeles« ist bereits 1840 in der »Zeitung für die elegante Welt« (Nr. 24ff.) veröffentlicht und erschien noch einmal, 1851 im Hamburger »Freischütz« (Nr. 144–152; hier aus »Hundert und ein Sabbath« auch »Die Geschichte von dem Fisch des Josef Moker Schabbes«); 1858 findet sich in einem »Novellen-Bukett«, das Fr. Wilibald Wulff zugunsten Schiffs herausgab »Das Tollhaus«. Von »Hundert und ein Sabbath« (Goedeke sagt fälschlich »Tausend und ein Sabbath«) ist leider nur das erste Bändchen erschienen] , daß ihm die Poesie an sich nicht Tendenz genug war und er noch eine besondere Tendenz haben mußte, weshalb er nur solche jüdische Sagen bearbeitete, die zufällig einen moralischen Sinn haben. Das erschien Schiff nicht objektiv; er verlangte, daß man alle Sagen erzählen müsse, denn was sich von Geschlecht zu Geschlecht forterbe, habe seine Bedeutung als Volkspoesie. Deshalb spottete er auch über alle von Judenfreundlichkeit überfließenden Emanzipationsnovellen, die ja seit der jungdeutschen Bewegung beängstigend um sich gegriffen hatten.
Auch nur einen beiläufigen Überblick über diese ganze Judenliteratur vor Schiff und zu seiner Zeit zu geben, wäre ein vergebliches Beginnen. Nur die bedeutendsten Produkte dieser Art (Tendenzschriften für und gegen das Judentum, sowie Belletristica) seien hier angeführt:
Für Schiff von der größten Bedeutung waren zwei Werke: »Die Sagen der Hebräer. Nebst einer Abhandlung über den Talmud« von Hurwitz, (Leipzig 1826, bei Engelmann) und »Eine gründliche Darstellung über das Erziehungswesen der Juden und ihren moralischen Standpunkt«. Von einem Glaubensgenossen der Juden (Marburg,1827). Hier wird Verbesserung der jüdischen Schulen und Entgegenwirken gegen den Einfluß der hartnäckigen Rabbiner gefordert. Ob Schiff eine Schrift »Das Judentum und seine Reform« von J. L. Glaser (Bayreuth, 1828), die viel Aufsehen machte, kannte, bleibt zweifelhaft. Auch hier wird die Abstellung von Mißbräuchen unter den Juden gefordert. Die jüdische Kirche solle eine ähnliche Verfassung wie die protestantische erhalten, der Klingelbeutel statt der öffentlichen Versteigerung der Thora eingeführt werden usw. Für ein bekanntes Werk von Joel Jacoby »Zur Kenntnis der jüdischen Verhältnisse« hatte Schiff wohl nichts übrig. Jacoby polemisierte gegen eine Schrift von Streckfuß, der für die Einführung einer strengen Judenordnung plädiert hatte. Joels Widerlegung schwelgte stark in süß-schmeichelnder Hegelscher Romantik, die Schiff keineswegs zusagte. Auch von Berthold Auerbachs Judenromanen »Ephraim Moses Kuh« und »Dichter und Kaufmann« (1836, beziehungsweise 1840; über das letztgenannte Werk vgl. besonders »Hallische Jahrbücher«, 1840, Seite 325–328 und Bettelheims Auerbachbiographie, Seite 125) wird Schiff nicht sehr erbaut gewesen sein. Die modischen Judenromane, die stark in wässeriger Sentimentalität herumplätscherten, behagten ja auch Auerbach nicht, der deshalb in seinem »Spinoza« eine Reihe historischer Zeit- und Sittengemälde nach der Natur beginnen wollte. Diese zahllosen judenfreundlichen Romane setzten bald nach der extrem antisemitischen dramatischenLiteratur ein, die mit Maertens »Unser Verkehr« (vgl. darüber meine Ausführungen im »Anzeiger für deutsches Altertum«, 1902, Seite 90) anhob, größtes Gefolge und nur in Michael Beers »Paria« Widerspruch fand; dagegen sind die Romane überladen tendenziös, was verstimmend wirkt. Sie wollen für das Judentum Propaganda machen, gehen aber dabei über das Maß des dem guten Geschmacke Erlaubten weit hinaus, so z. B. die aus dem Dänischen von J. P. Sternhagen übersetzte Novelle »Der alte Israelit« (von B. S. Ingemann, Lesefrüchte, 1828, I. Band, 1. Stück), »Die Jüdin« von Eugenie Foa (Leipzig 1835), die zahlreichen Judenromane von dem Wiener Eduard Breier, »Jenny« von Fanny Lewald (von Levin Schücking in der Beilage der »Allgemeinen Zeitung«, 1845, Nr. 11, mit Recht als verlogen in der Emanzipationsidee bezeichnet), Ernst Ortlepps »Israels Erhebung und der ewige Jude«, Spindlers »Der Jude«, Sternbergs »Die Jüdin«, Heinrich Königs »Regine«, L. Buttlers »Kosciusko und der Jude« (Lesefrüchte 1847, IV. Band, Seite 225 ff.), Robert Saltgirts »Der Jude und die Christin« (ib. Seite 145 ff.), Elijas »Nur ein Jude« (Leipzig 1847), »Die Jüdin und der Großinquisitor« (Spanische Erzählung von Charles Rowley, Lesefrüchte 1848, Seite 1 ff.), »Des Juden Tochter« (von Gräfin Blemington, ib. Seite 209 ff.), »Nathanael, der Jude« (nach dem Schwedischen von Hans Wachenhusen, 1852 im »Freischütz« Nr. 136 ff.), »Der alte Rabbiner« von B.S. Ingemann (Lesefrüchte, 1857, I. Band, Seite 257 ff.), Romane von Ludwig Horwitz, der Chézy, Gundling, Caspari, Philippsohn, Wangenheim, Tauber, Formstecher, August Becker, Isidor Heller, Siegfried Kapper, Aron Bernstein u. v. a. Dagegen können Gutzkows »Sadducäer von Amsterdam« und sein »Uriel Acosta« schon teilweise als objektivere Darstellungen jüdischen Lebens gelten. Eine anscheinend scharf oppositionelle Judennovelle von David Russa rühmt Börne im 57. Pariser Brief (Ausgabe von Klaar, V, 268). Sie heißt »Jom Kippur, der Versöhnungstag« und »soll das Herz der Juden auflockern, damit man nach ausgejäteten