Lebensbilder. Оноре де Бальзак. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Оноре де Бальзак
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783955014735
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alle Journale verschließen, und er war gezwungen, als Tänzer, Notenschreiber, Schauspieler und Fechtmeister seinen Unterhalt zu suchen. Damals fiel er auch der Leipziger Polizei beschwerlich: in den Jahren 1840 und 1841 wurden sub I17887, I20703 und I20994 geringfügige Ordnungsstrafen gegen ihn erlassen. Am schlimmsten war es freilich, daß er nirgends recht seßhaft werden konnte; auch in Leipzig duldete es ihn nicht; nach einer Mitteilung von »Ost und West« vom 4. Oktober 1844, (Seile 327) »hauste der Ruhelose in Reidnitz«.

      Die Nachricht von Schiffs bemitleidenswertem Zustande verbreitete sich damals in ganz Deutschland. Heinrich Landesmann schrieb darüber an Moriz Hartmann 29. September 1844 (vgl. Wittner, Briefe aus dem Vormärz, Seite 267): »... Hermann Schiff hat mir Herzbrechen gemacht, schon als ich in der »Allgemeinen« in einem, ich glaube, von Laube geschriebenen Artikel von seinem seltsam traurigen Schicksal gelesen. Vielleicht bewege ich den Todesco, ihn reich zu machen . . .« Laube scheint von Schiff viel gehalten zu haben. 1845 saßen sie oft zechend im Hotel de Pologne beisammen. Und der Gedanke ist wohl nicht ferneliegend, daß Laube Schiff auf bessere Wege leitete, ihn zur Schriftstellerei zurückführte, sie aber in seinem Sinne nachdrücklichst beeinflußte. Denn aus dieser Zeit stammt das Buch, in dem sich Schiff recht wie ein jungdeutscher Schriftsteller mit dem Katholizismus auseinandersetzte. (1846.) Es enthält zwei »katholische« Novellen: »Das Margaretenfest« und »Des Teufels Schwabenstreich«. In beiden wird der Katholizismus empfindlich lächerlich gemacht. Für den Wunderglauben hat Schiff diesmal nur Worte höhnendster Verachtung: recht im Gegensätze zu »Ohnespaß«, wo er noch in seiner schrankenlosen Verherrlichung schwelgt. Im »Margaretenfest«, der anspruchsloseren der zwei »katholischen« Novellen, wird ein Mönch, der sich für den Teufel Weltis ausgibt und in dieser Gestalt ein junges Mädchen verführen will – von dem Bräutigam des Mädchens jämmerlich geprügelt. Mit breitestem Behagen malt Schiff diese Prügelei aus [* Derartige rohe Szenen finden sich damals auch sonst bei Schiff, z. B. in seiner in Schumachers »Gegenwart« (Wien, 1845, Nr. 8–10) veröffentlichten Novelle, »Spleen und Peitsche«] . Noch entschiedener tritt seine Gesinnnung in »Des Teufels Schwabenstreich« hervor, einer der bedeutungsvollsten Arbeiten Schiffs, deshalb nämlich, weil sie in vielen Zügen ein wichtiges Vorspiel seines Hauptwerkes, »Schief-Levinche«, ist.

      Hier ist ein italienischer Maler in sich gegangen und hat nach einem tollen Jugendleben Aufenthalt in einem schwäbischen Kloster genommen. Der Teufel sieht das nicht gerne und trachtet, dem Maler Possen zu spielen. Er überzeugt die Mönche, daß ihr Konfrater ein junger Maler sei, und auf deren Geheiß muß dieser nun Altarbilder malen. Eines, wie Maria den Teufel mit Füßen tritt, wird ein Meisterstück und veranlaßt die zwanzig reichsten Jungfrauen des Ortes, den Schleier zu nehmen. Die schönste von ihnen, Hulda, ist aber auf das Bild eifersüchtig und weiß, durch List und Gewalt den Bischof zu überzeugen, daß Maria nicht dunkelhaarig, wie die auf dem Bilde dargestellte, sein könne, sondern blond sein müsse wie sie selbst. Der Maler muß das Bild abändern, und nun wird also das Mädchen, das alle leibhaftig kennen, als Gottesmutter verehrt. Bald aber wollen auch die anderen Mädchen als Gottesmütter angebetet werden, und der Maler überzeichnet immer seine eigenen Bilder, bis ihm dies lästig fällt und er aus dem Kloster mit großen Wertgegenständen fliehen will. Er wird aber entdeckt, in den Kerker geworfen, aus dem ihn der Teufel befreit, unter der Bedingung, daß er ihn selbst auf dem Altarbilde liebenswürdiger darstelle. Der Maler tut das. Bald glaubt man im Kloster an seine Unschuld, da sich der Teufel statt des gefangenen Malers in den Kerker begeben hat, wo ihn der Bischof exorzisiert. Der Maler wird Bischof und Erzbischof, alles aber als Freund des Teufels. Und da er als Erzbischof stirbt, setzt ihm der Teufel ein Grabmal mit der Inschrift: »Hier ruht mein bester Freund.«

      Schon aus dieser Schlußpointe läßt sich der christentumsfeindliche Charakter der Absichten Schiffs gut erkennen: wenn das Eingreifen des Teufels und sein steter Beistand einem sehr weltlich gesinnten Maler zu den höchsten Ehrenstellen in der kirchlichen Hierarchie verhelfen kann [* Der Teufel als Helfer auch in »Ohnespaß«] , so liegt darin ebenso eine satirische Spitze, wie in dem Motiv, daß man irgendein beliebiges Mädchen als Modell für ein Marienbild, das dann angebetet wird, verwenden könne. Vor allem zeigt aber der Zug, daß es der Eitelkeit von zwanzig jungen Mädchen sehr schmeichelt, als Gottesmütter dargestellt zu werden, und daß der Maler bei Ausführung eines Bildes nicht von göttlicher Inspiration, sondern von sehr irdischen Wünschen geleitet wird, welch starke Veränderung in Schiffs Anschauung über den Katholizismus jetzt vor sich gegangen war. Denn jetzt stand er ihm durchaus feindlich und ironisch gegenüber. Er blieb auf dieser Stufe nicht stehen, sondern ging noch um einen bedeutsamen Schritt weiter. Charakteristisch hierfür ist es, daß er in demselben Jahre 1846 noch eine antikatholische Dichtung bearbeitete, nämlich Eugen Sues »Ewigen Juden« (ein Lieferungsroman: Leipzig 1846, bei Naumburg: mit zweiundvierzig Stahlstichen). Dazu wird ihn wohl nur der Haß des französischen Dichters gegen den Jesuitismus, den Schiff in seiner Bearbeitung noch verstärkt hat, veranlaßt haben [* Von solchen populären, in Heftform erschienenen Werken lebte Schiff damals. 1846 veröffentlichte er die erste und zweite Lieferung einer volkstümlichen »Geschichte Napoleons« (mit zwei Stahlstichen, Leipzig 1846, Naumburg). Das ganze Werk – in fünf Lieferungen mit sechs Stahlstichen – erschien 1847] . Den Höhepunkt seiner antichristlichen Schriftstellerei erreichte er aber 1848 mit seinem besten und bekanntesten Werke, worin er in gleicher Weise Christentum und Judentum satirisch auf das bitterste verhöhnte. Es ist der komische Roman »Schief-Levinche mit seiner Kalle oder Polnische Wirtschaft«, ein Werk, das wieder bei Hoffmann und Campe erschien, nachdem Schiff 1847 aus Leipzig ausgewiesen worden und in seine Vaterstadt zurückgekehrt war. (Seine anhaltende Subsistenzlosigkeit hatte der Leipziger Polizei den willkommenen Anlaß hierfür geboten; seit 1835 verfuhr sie so mit allen im Verdacht des Liberalismus stehenden Schriftstellern, die nicht den Nachweis eines ausreichenden Unterhaltes erbringen konnten. Ein größeres Vergehen ließ sich Schiff nicht zuschulden kommen.)

      »Schief-Levinche« variiert das Motiv aus: »Des Teufels Schwabenstreich«, daß ein seiner kleinen Gemeinde wohlbekanntes Mädchen als Modell für ein Marienbild dient. Nur geht der Dichter hier insofern weiter, als ein Judenmädchen aus dem Ghetto als Mutter Gottes gemalt wird. Eine arge Blasphemie enthalten beide Wendungen, ob der Maler veranlaßt wird, ein Mädchen, das sich bei einem Bischof in Gunst zu setzen weiß, als Gottesmutter zu malen, oder ob er dies mit einem Judenmädchen tut. Beide Male beabsichtigt Schiff nur, zu zeigen, wie wenig göttlich die Personen seien, die im Bilde angebetet werden. (Noch ein drittes Mal in der »Waise von Tamaris« begegnet dieser Zug in Schiffs Dichtung.) Wie sehr er übrigens im »Schief-Levinche« von »Des Teufels Schwabenstreich« abhängig ist, beweist auch der Umstand, daß die Schönheit der beiden Heldinnen auf dieselbe Weise erhöht wird: Hunger und Mißhandlungen machen sie blasser, dadurch schöner; durchgeistigter, himmlischer. –

      Nun begnügt sich Schiff aber keineswegs damit, den Katholizismus und die Bilderverehrung satirisch zu verunglimpfen; in weit höherem Maße ist es ihm darum zu tun, auch hier die fanatische Unduldsamkeit des Judentums anzuklagen. Ihm erscheint religiöse Beschränktheit bei allen Konfessionen ein arges Übel, das er dadurch, daß er es lächerlich macht, ausrotten will. Deshalb zeigt er in »Schief-Levinche«, in vieler Hinsicht einem Seitenstück zu »Simon Abeles«, welche furchtbaren Mißhandlungen einem armen, gedrückten Judenkinde zuteil werden, wenn es ohne sein Hinzutun in unschuldige Berührung mit Christen komme. Daß darin auch nur die geringste Schuld liegen könne, daß darauf die schwersten Bußen gesetzt sein sollten – dagegen bäumt sich Schiff auf, dafür findet er nur die spöttischesten Worte der Entrüstung.

      Dem Roman liegt das alte Motiv der Gegnerschaft zwischen Vater und Sohn bei der Bewerbung um ein schönes Mädchen zugrunde. Der alte Israel Levin und sein Sohn Levin Israel (Schief-Levinche genannt) sind in die schöne Rabbinerstochter Mariamne verliebt. Da Schief-Levinche für seinen geizigen Vater kein Geschäft mehr machen will, wenn er Mariamne nicht heiraten dürfe, gibt der Vater nach und gestattet die Hochzeit, unter der Bedingung, daß der Brautstand drei Monate dauern müsse. Denn er glaubt nicht, daß zwischen Mariamne und Schief-Levinche je Zuneigung zustande kommen könne.

      Das kontrastierende Paar, die schöne Mariamne und der krummbeinige, schiefgewachsene Levinche, ist ausgezeichnet charakterisiert, wie sich überhaupt Schiffs Kunst der Charakteristik und der Milieuzeichnung hier am besten offenbart. Wie er Schief-Levinches groteske Verliebtheit