Du wirst sagen, Ausweisungen aus Republiken sind klassisch. Themistokles, Miltiades, Cimon, Aristides usw. wurden aus Athen verwiesen, weil sie der Freiheit der Völker gefährlich schienen. Ich kann dir aber wirklich versichern, daß ich mich schämen würde, auf irgendeine Weise der Hamburger Freiheit gefährlich zu sein. Auch hat meine Ausweisung wenig Klassisches. Es wurde mir nicht einmal gestattet, Rekurs zu nehmen. Alle mir zustehenden Rechtsmittel wurden mir abgeschnitten mit dem Befehle: ›sofort Hamburg zu verlassen‹ und der Rekurs, den ich vom Auslande durch einen hiesigen Advokaten einreichen ließ, ward ignoriert.
Es gibt nuch mittelalterliche Ausweisungen, namentlich von Gelehrten, und auch dazu ist die meinige leider nur ein seltsames Widerspiel.
Leibniz zum Beispiel wurde aus Leipzig verwiesen, denn der dortige Magistrat fand, daß er gefährliche Ideen habe.
Leibniz war damals, was man nach unseren heutigen Begriffen nennt, ein der Obrigkeit mißliebiges Subjekt.
Nun kann ich mich allerdings von dem Verdachte nicht reinbrennen, daß ich nicht bisweilen auch Ideen habe. Es sind aber nicht die Ideen der Zeit, diese sind gefährlich. Diese Ideen haben sich am sechsten März achtzehnhundertachtundvierzig bei dem Magistrate sehr mißliebig gemacht. Der Hamburger Senat müßte nach meinem Dafürhalten eher die Zeit mit ihren Ideen vom Hamburger Territorium verweisen als mich mit den meinigen.
Thomasius wurde ebenfalls aus Leipzig verwiesen, denn er schrieb gegen Hexenprozesse. Er eiferte wider das Bestehende.
Thomasius war damals, was man nach unseren heutigen Begriffen nennt, ein Wühler.
Ich aber bemühte mich, dem Bestehenden aus dem Wege zu gehen. Es ist mir zu langweilig, ich befasse mich lieber mit Luftschlössern, und Gedanken sind ja zollfrei. – Auch habe ich ein sehr zartes politisches Gewissen. Es gibt Stunden, wo ich es mir zum Vorwurf mache, in einer Stadt, die eine republikanische Verfassung hat, das erste Tageslicht erblickt zu haben. Mein Trost ist dann nur, daß ich, in einer jüdischen Familie geboren, mithin bescheidentlicherweise ohne Ansprüche auf Staatsämter zur Welt gekommen bin. Als am neunundzwanzigsten September achtzehnhundertneunundzwanzig das dreihundertjährige Jubiläum der Reform unserer republikanischen Verfassung gefeiert wurde, fühlte ich mich bewogen, Hamburg auf vierundzwanzig Stunden zu verlassen, um jeder Freude an republikanischen Formen aus dem Wege zu gehen.
Auch den Philosophen Wolf laß mich erwähnen, der aus Halle verwiesen wurde, weil man dem Könige Friedrich Wilhelm I. vorgestellt hatte, seine Lehren könnten die Potsdamer Grenadiere zur Desertion verleiten.
Wolf war damals in den Augen des Königs in Preußen, was man nach heutigen Begriffen einen Militäraufwiegler nennt.
Aber Novellen sind keine dogmatischen Sätze. Der Dichter schildert, aber lehrt nicht, und sämtliche Militärärzte des zehnten Armeekorps mögen meine Novellen prüfen, ob sie auch nur einen einzigen Hanseaten zum Desertieren verleiten können.
Kurz, meine Ausweisung hat auch nicht einmal etwas Mittelalterliches. Sie ist durchaus spezifisch-hamburgisch und unterscheidet sich von den Ausweisungen früherer Zeiten und fremder Staaten dadurch, daß der aus Hamburg verwiesene Hamburger gezwungen ist, in Hamburg zu bleiben ...
Du wirst aber fragen: ›Woher kann man Hamburg als ausgewiesener Hamburger nicht verlassen?‹
Es hat damit folgende Bewandtnis. Als ich um einen Paß bat, um augenblicklich abzureisen, nicht um einen Kanzleipaß, wie ihn der geborene Hamburger erhält, sondern um einen Polizeipaß, den man jedem Fremden gibt, erhielt ich zur Antwort: »Ausgewiesene erhallen keine Legitimationspapiere.«
Da es mir unmöglich war, meiner Obrigkeit zu gehorchen, mußte ich allerdings bitten, meinen loyalen Gehorsam und guten Willen durch Zwangsmittel zu unterstützen.
Mein nächstes Ausland heißt Altona. Und bis dahin gab man mir einen einzigen Polizeidiener mit, der an der Grenze kehrt machte und wieder nach Hause ging. Als ich aber von der Altonaer Polizei eine Aufenthaltskarte verlangte, weil ich aus Hamburg verwiesen sei, wurde ich ausgelacht und augenblicklich wieder mit der Polizei zurückgeführt. Ich habe noch ein zweites Ausland, welches Harburg heißt, ein drittes Namens Wandsbeck, ein viertes Eimsbüttel und mehr dergleichen Ausländer. Auch nicht verwiesene Hamburger gehen bei schönem Wetter nach allen diesen Ausländern spazieren; mir aber wurde ein für allemal verboten, mich in den Ausländern blicken zu lassen, wenn ich nicht augenblicklich mit der Polizei nach Hamburg zurücktransportiert werden wollte.
Die Zwangsmaßregeln, welche meine Regierung in Anwendung brachte, waren offenbar viel zu schwach. Ein einzelner Polizeidiener, der mich bis an die Grenze bringt, ist zu wenig. Die ganze Bürgergarde, die ganze hanseatische Garnison, die Artillerie vom Dammtorwall und eine gefüllte Kriegskasse, dann könnte ich dem Beschluß meiner Obrigkeit im Auslande Anerkennung verschaffen.
Wie du weißt, lieber Heine, hat jeder Deutsche zweierlei Patriotismus. Einen allgemeinen für das große deutsche Vaterland und einen speziellen und konzentrierten für das engere spezifische, wenn dieses Vaterland auch nur eine Vaterstadt ist.
Nun glaubst du nicht, lieber Heine, was ein aus Hamburg verwiesener Hamburger bei diesem Konflikt des doppelten deutschen Patriotismus zu leiden hat. Ich bin ja nicht bloß der Obrigkeit meines engeren Vaterlandes meinen treuen Untertanengehorsam schuldig, sondern auch allen Obrigkeiten meines größeren, des gesamten deutschen Vaterlandes. Auf Befehl der Obrigkeit meines engeren deutschen Vaterlandes verlasse ich Hamburg mit aller Rührung, allen Dankgefühlen, mit der man aus solch einer von sechsundzwanzig Herren vortrefflich regierten Stadt scheidet. Und mit dem Stolz eines Deutschen, der noch einige dreißig andere Herren hat, betrete ich mein größeres und Gesamtvaterland, Altona. Dort wird mir befohlen, umzukehren und der Obrigkeit meines engeren Vaterlandes ungehorsam zu sein, hier wird mir befohlen, in mein größeres Vaterland zurückzukehren, um irgendeiner meiner vielen Obrigkeiten Gehorsam zu leisten. Kann man das von einem Deutschen verlangen?
Und ach! Hier in diesem Zimmer sitze und schreibe ich, ohne polizeiliche Erlaubnis dazu zu haben. Unter einem unlegitimen Obdach begebe ich mich nachts zu Ruhe, in ein unlegitimes Bette lege ich mich schlafen. Und ach! wie greift es meine Loyalität an, wenn ich Miete zahle. Dieses Sündengeld, womit ich mir Ungehorsam gegen meine Obrigkeiten erlaube! – Richard III. ist ein Knicker. – Ein einziges Königreich für ein Pferd! – Fünfunddreißig Bundesstaaten für eine Quadratelle deutschen Bodens, wo ein gewissenhafter Deutscher sich hinstellen kann, um sich auf dem Boden des Rechtes und Gesetzes zu erhalten.
Schon aus diesen Zeilen kannst du ersehen, welch ein Lokalschriftsteller aus mir geworden ist. Die Luftschlösser sind noch aus der früheren Periode. Bei der jetzigen trübseligen Jahreszeit und dem unwirtbaren geschichtlichen Boden ist fast nichts anderes als Luftschlösser zu haben.
Die sogenannte große deutsche Zeit, was hat sie anderes hervorgebracht als Luftschlösser?
Selbst das unbedeutende Portugal hatte seine große Zeit, die freilich auch nur sehr kurz war und spurlos dahinschwand, wie die große deutsche Zeit. Aber es hatte doch einen Dichter, der die Helden- und Kriegstaten seiner Völker besang.
Ich schildere nur Luftschlösser und Friedenstaten. Ich bin kein Camoens, und das ist ein Glück.
Wenn ich die schleswig-holsteinischen Feldherren, die deutschen Grundrechte, den Gothaer Mittelmäßigkeitsverein, die deutsche Flotte, die Helden des passiven Widerstandes und der friedlichen Demonstrationen besingen sollte, es würde eine schreckliche Lustade werden.«
So heiter wie hier Schiff seine Ausweisung 1854 schilderte, war sie nicht. Da er sich dem Senatsdekrete nicht fügte, wurde er am 12. April 1852 verhaftet, weil er sich unberechtigt in Hamburg aufhielt. In einem Bericht an Sr. Hochweisheit Herrn Senator Meier, Dr. p. t., Patrono der Vorstadt St. Pauli, heißt es, »daß Schiff (51 Jahre alt), der von hier verwiesen ist, in der Gegend des Aktien-Theaters verhaftet wurde. Er wollte seine Wohnung nicht angeben, um die Leute, bei denen er sich heimlich aufhielt, nicht in Verlegenheit zu bringen.« Entscheidung: Verbot an den Arrestaten, sich wieder in Stadt und Geblet betreten zu lassen, welcher versprach, mit I.F. Richter vor dem Altonaer Magistrate zu erschein