Eine dunkle Geschichte. Оноре де Бальзак. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Оноре де Бальзак
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783955014636
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um belauscht zu werden, falls jemand sich zu diesem Zwecke versteckt hatte, und sie konnten das Thema wechseln, wenn Unberufene dazu kamen.

      »Warum sind wir nicht in einem Zimmer des Schlosses geblieben?« fragte Grévin.

      »Hast du nicht die beiden Leute gesehen, die mir der Polizeipräfekt schickt?«

      Obgleich Fouché bei der Verschwörung von Pichegru, Georges, Moreau und Polignac die Seele des Konsulatskabinetts gewesen war, leitete er das Polizeiministerium nicht und war damals einfacher Staatsrat wie Malin.

      »Diese beiden Leute sind Fouchés zwei Arme. Der eine, der junge Stutzer, dessen Gesicht wie eine Flasche Limonade aussieht, der Essig auf den Lippen und Kratzer in den Augen hat, der hat dem Aufstand im Westen im Jahre VII binnen vierzehn Tagen ein Ende gemacht. Der andre ist ein Kind Lenoirs, der einzige, der die großen Traditionen der französischen Polizei im Leibe hat. Ich hatte um irgendeinen untergeordneten Agenten gebeten, der sich auf eine offizielle Persönlichkeit stützen sollte, und man schickt mir die beiden Gesellen! Ach, Grévin! Fouché will mir zweifellos in die Karten sehen. Darum ließ ich die beiden Herren im Schlosse speisen; sie mögen alles durchsuchen, sie werden weder Ludwig XVIII. noch irgendein Anzeichen finden.«

      »Oho!« sagte Grévin, »welches Spiel spielst du denn?«

      »Nun, mein Freund, ein Doppelspiel ist recht gefährlich, aber in Bezug auf Fouché ist es ein dreifaches Spiel. Er hat vielleicht gewittert, dass ich die Geheimnisse des Hauses Bourbon kenne.«

      »Du?«

      »Ich«, entgegnete Malin.

      »Hast du Favras vergessen?«

      Dies Wort machte dem Staatsrat Eindruck.

      »Und seit wann?« fragte Grévin nach einer Pause.

      »Seit dem Konsulat auf Lebenszeit.«

      »Und doch keine Beweise ?«

      »Nicht so viel«, sagte Malin und machte die übliche Gebärde mit dem Daumennagel.

      In kurzen Worten entwarf Malin ein deutliches Bild der kritischen Lage, in die Bonaparte England brachte, das durch das Lager von Boulogne auf Tod und Leben bedroht war. Er erklärte Grévin die in Frankreich und Europa unbekannte, aber von Pitt geahnte Tragweite dieses Landungsplanes, dann die kritische Lage, in die England Bonaparte bringen wollte. Eine gewaltige Koalition, Preußen, Österreich und Russland, sollte, mit englischem Gelde bezahlt, siebenhunderttausend Mann unter die Waffen bringen. Zugleich spannte im Innern eine furchtbare Verschwörung ihr Netz und vereinigte die Bergpartei, die Chouans, die Royalisten und ihre Prinzen.

      »Solange Ludwig XVIII. drei Konsuln sah, glaubte er, die Anarchie gehe weiter und er könne mit Hilfe irgendeiner Bewegung Rache für den 13. Vendémiaire und den 18. Fructidor nehmen«, sagte Malin. »Aber das Konsulat auf Lebenszeit hat Bonapartes Pläne enthüllt; bald wird er Kaiser sein. Dieser ehemalige Leutnant trägt sich mit dem Gedanken, eine Dynastie zu gründen! Nun, diesmal will man ihm ans Leben, und der Streich ist noch geschickter angelegt als der in der Rue Saint-Nicaise. Pichegru, Georges, Moreau, der Herzog von Enghien, Polignac und Rivière, die beiden Freunde des Grafen von Artois, sind beteiligt.«

      »Was für ein Gemisch!« rief Grévin.

      »Frankreich wird heimlich überfallen, man will von allen Seiten anstürmen, man wird kein Mittel unversucht lassen. Hundert Leute, die den Anschlag ausführen, von Georges geführt, sollen die Leibwache des Konsuls und den Konsul Mann gegen Mann angreifen.«

      »Gut, denunziere sie!«

      »Seit zwei Monaten halten der Konsul, sein Polizeiminister, der Präfekt und Fouché einen Teil dieses Riesengewebes in Händen, aber sie kennen seine ganze Ausdehnung nicht, und im Augenblick lassen sie fast alle Verschworenen frei herumlaufen, um alles zu erfahren.«

      »Was das Recht betrifft,« versetzte der Notar, »so haben die Bourbonen wohl eher das Recht, ein Unternehmen gegen Bonaparte anzuzetteln, zu leiten und auszuführen, als Bonaparte das Recht hatte, am 18. Brumaire gegen die Republik zu konspirieren, deren Kind er war. Er mordete seine Mutter, sie aber wollen wieder in ihr Haus. Ich verstehe, dass die Prinzen, als die Emigrantenlisten geschlossen wurden, als die Streichungen zunahmen, der katholische Kult wieder eingeführt wurde und die gegenrevolutionären Erlasse sich häuften, begriffen haben, dass ihre Rückkehr schwierig, ja unmöglich würde. Bonaparte wird zum einzigen Hindernis ihrer Rückkehr, und dies Hindernis wollen sie wegräumen; nichts ist einfacher. Werden die Verschwörer besiegt, so sind sie Räuber. Siegen sie, so sind sie Helden, und deine Ratlosigkeit scheint mir da ganz natürlich.«

      »Es handelt sich darum,« sagte Malin, »den Bourbonen den Kopf des Herzogs von Enghien zuwerfen zu lassen, wie der Konvent den Königen den Kopf Ludwigs XVI. zugeworfen hat, um ihn so tief wie uns in den Strom der Revolution zu tauchen; oder darum, den jetzigen Götzen des französischen Volkes und seinen künftigen Kaiser zu stürzen, um den wahren Thron auf seinen Trümmern aufzurichten. Ich bin der Spielball eines Ereignisses, eines wohlgezielten Pistolenschusses, einer Höllenmaschine der Rue Nicaise, die im rechten Augenblick explodiert. Man hat mir nicht alles gesagt. Man hat mir vorgeschlagen, im kritischen Augenblick den Staatsrat einzuberufen und die Wiedereinsetzung der Bourbonen gesetzlich in die Wege zu leiten.«

      »Warte ab«, entgegnete der Notar.

      »Unmöglich! Mir bleibt nur noch dieser Augenblick, um einen Entschluss zu fassen.«

      »Und warum?«

      »Die beiden Simeuses sind im Komplott und in der Gegend. Ich muss sie entweder verfolgen lassen, damit sie sich bloßstellen und ich sie loswerde, oder ich muss sie heimlich unterstützen. Ich hatte um untergeordnete Leute gebeten; man schickt mir ausgesuchte Luchse, die über Troyes gekommen sind, um die Gendarmerie für sich zu haben.«

      »Gondreville ist das ›Halte fest‹, und die Verschwörung ist das ›So wirst du haben‹«, sagte Grévin.

      »Weder Fouché noch Talleyrand, deine beiden Partner, sind beteiligt: spiele mit ihnen offnes Spiel. Wie! Alle, die Ludwig XVI. den Kopf abschlugen, sind in der Regierung, und Frankreich wimmelt von Aufkäufern von Nationalgütern, und du möchtest die zurückführen, die Gondreville von dir herausfordern würden? Sind die Bourbonen keine Dummköpfe, so müssen sie mit dem Schwamm über alles gehen, was wir getan haben. Warne Bonaparte.«

      »Ein Mann meines Ranges denunziert nicht«, sagte Malin lebhaft.

      »Deines Ranges!« rief Grévin lächelnd.

      »Man bietet mir das Justizministerium an.«

      »Ich begreife, dass dich das blendet, und meine Sache ist es, in diesen politischen Finsternissen klar zu sehen, das Ausgangstor zu wittern. Nun ist es unmöglich vorauszusehen, welche Ereignisse die Bourbonen zurückführen können, wenn ein General Bonaparte achtzig Schiffe und vierhunderttausend Mann hat. Das Schwierigste in der ausschauenden Politik ist, zu wissen, wann eine sinkende Macht stürzen wird. Aber, Alterchen, Bonapartes Macht ist noch im Steigen begriffen... Hat Fouché dich nicht vielleicht sondieren lassen, um dein innerstes Denken zu erfahren und sich deiner zu entledigen?«

      »Nein, des Gesandten bin ich sicher. Übrigens würde Fouché mir nicht zwei derartige Affen schicken, die ich zu gut kenne, um nicht Verdacht zu schöpfen.«

      »Mir flößen sie Angst ein«, sagte Grévin. »Wenn Fouché dir nicht misstraut, dich nicht auf die Probe stellen will, warum hat er sie dir dann geschickt? Fouché spielt einen derartigen Streich nicht ohne Grund...«

      »Das entscheidet die Sache für mich!« rief Malin. »Ich werde vor den beiden Simeuses nie Ruhe haben. Vielleicht will Fouché, der meine Lage kennt, die beiden schnappen und glaubt durch sie bis zu den Condés durchzugreifen.«

      »Ach, Alterchen, unter Bonaparte wird man den Besitzer von Gondreville nicht beunruhigen.«

      Als Malin aufblickte, erkannte er im Laub einer großen dichten Linde den Lauf eines Gewehrs.

      »Ich hatte mich nicht getäuscht; ich hatte das Knacken eines Hahnes gehört, der gespannt wird«, sagte er zu Grévin,