Eine dunkle Geschichte. Оноре де Бальзак. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Оноре де Бальзак
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783955014636
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pfiff seinem Sohn und lud seine Büchse weiter. Corentin blickte Martha gleichgültig an, während sein Gefährte entzückt schien. Aber er bemerkte an ihr Spuren von Angst, die dem alten Wüstling entgingen. Hatte ihn doch selbst die Büchse erschreckt. Beider Wesen spiegelte sich vollkommen in dieser bedeutsamen Kleinigkeit. »Ich habe ein Stelldichein jenseits des Waldes«, sagte der Verwalter. »Ich kann Ihnen diesen Dienst nicht selbst leisten; aber mein Sohn wird Sie zum Schloss führen. Von wo kommen Sie denn nach Gondreville? Wohl über Cinq-Cygne?«

      »Wir hatten wie Sie im Walde zu tun«, sagte Corentin mit unmerklicher Ironie.

      »Franz!« rief Michu, »führe die Herren auf Fußwegen zum Schloss, damit man sie nicht sieht.

      Sie gehen nicht auf der großen Straße ... Erst komm mal her!« setzte er hinzu, als er sah, dass die beiden Fremden ihm den Rücken gekehrt hatten und im Gehen leise miteinander sprachen.

      Michu packte den Knaben und küsste ihn fast andächtig, mit einem Ausdruck, der die Befürchtung seiner Frau bestätigte. Es lief ihr kalt über den Rücken und sie blickte ihre Mutter mit tränenlosem Blick an, denn weinen konnte sie nicht.

      »Geh!« sagte Michu zu seinem Sohne und blickte ihm nach, bis er ihn ganz aus den Augen verloren hatte.

      Couraut bellte in der Richtung nach dem Pachthof Grouage.

      »Oh, das ist Violette«, fuhr Michu fort. »Seit heute morgen kommt er zum drittenmal vorbei. Was liegt denn in der Luft? ... Genug, Couraut!«

      Gleich darauf hörte man den kurzen Trab eines Pferdes. Violette ritt einen Klepper, wie ihn die Pächter in der Umgegend von Paris benutzen. Unter einem runden, breitkrempigen Hut erschien sein holzfarbenes, faltiges Gesicht noch finstrer als sonst. Seine grauen, boshaften, blitzenden Augen verrieten sein falsches Gemüt. Seine dürren Beine hingen in weißen, bis zum Knie reichenden Leinengamaschen ohne Steigbügel herab und schienen von dem Gewicht seiner groben, eisenbeschlagenen Schuhe gehalten zu werden. Über seinem blauen Kittel trug er einen groben, weiß- und schwarzgestreiften Wollmantel. Sein graues Haar fiel im Schöpfe in Locken herab. Dieser Aufzug, das graue Pferd mit den kleinen, kurzen Beinen, die Art, wie Violette daraufsaß, den Leib vorgeschoben, den Oberkörper zurückgelegt, die grobe, rissige, erdfarbene Hand, die einen elenden, angefressenen und schadhaften Zügel hielt, das alles verriet einen habsüchtigen, ehrgeizigen Bauern, der Land besitzen will und es um jeden Preis kauft. Sein Mund mit den bläulichen Lippen, der wie vom Messer eines Chirurgen gespalten war, die unzähligen Runzeln in Gesicht und Stirn hinderten das Spiel der Gesichtszüge, deren Umrisse allein Ausdruck hatten. Diese harten, feststehenden Linien schienen zu drohen, trotz des bescheidenen Wesens, das sich fast alle Landleute geben und unter dem sie ihre Erregung und ihre Berechnungen verbergen wie die Orientalen und die Wilden, die ihre unter unerschütterlichem Ernst verhehlen. Vom einfachen Tagelöhner hatte er es durch ein System zunehmender Niedertracht zum Pächter von Grouage gebracht und er setzte dies System noch fort, als er eine Stellung errungen hatte, die seine ersten Wünsche übertraf. Er wünschte dem Nächsten Böses, und zwar leidenschaftlich. Konnte er dazu beitragen, so tat er es gerne. Violette war ein erklärter Neidbold; aber bei all seinen Tücken blieb er in den Grenzen des Gesetzes und übte nicht mehr und nicht minder als eine parlamentarische Opposition aus. Er glaubte, sein Wohlstand hinge vom Ruin der andern ab, und alles, was über ihm stand, war für ihn ein Feind, gegen den jedes Mittel gut sein musste. Dieser Charakter ist unter den Bauern ziemlich verbreitet. Gegenwärtig lag ihm vor allem am Herzen, von Malin eine Verlängerung seiner Pacht zu erlangen, die nur noch sechs Jahre lief. Er war eifersüchtig auf den Wohlstand des Verwalters und passte ihm scharf auf. Die Leute der Gegend feindeten ihn wegen seiner Beziehungen zu den Michus an; doch in der Hoffnung, seine Pacht auf zwölf weitere Jahre verlängern zu lassen, spähte der schlaue Pächter nach einer Gelegenheit, der Regierung oder Malin, der Michu misstraute, einen Dienst zu leisten. Mit Hilfe des Wächters von Gondreville, des Feldhüters und einiger Holzhacker hielt Violette den Polizeikommissar von Arcis über Michas geringste Handlungen auf dem Laufenden. Dieser Beamte hatte vergebens versucht, Marianne, Michus Magd, für die Interessen der Regierung zu gewinnen; aber Violette und seine Getreuen erfuhren alles durch Gaucher, den kleinen Knecht, auf dessen Treue Michu sich verließ und der ihn doch für Kleinigkeiten, für Westen, Schnallen, baumwollene Strümpfe und Leckereien verriet. Violette schwärzte alle Handlungen Michus an, machte sie durch die unsinnigsten Unterstellungen zu Verbrechen, ohne dass der Verwalter etwas ahnte, obgleich er wusste, welche erbärmliche Rolle der Pächter bei ihm spielte, und sich einen Spaß daraus machte, ihn zum besten zu halten.

      »Sie haben wohl viel in Bellache zu tun, dass Sie schon wieder da sind?« fragte Michu.

      »Schon wieder! Das ist ein Vorwurf, Herr Michu ... Mit der Tonart kommen Sie mir nicht! Die Büchse da kannte ich bei Ihnen noch nicht ...«

      »Sie stammt von einem meiner Felder, auf dem Büchsen wachsen«, entgegnete Michu. »Da, sehen Sie, wie ich sie säe.«

      Der Verwalter nahm auf dreißig Schritt eine Schlangenblume aufs Korn und schoss sie glatt ab.

      »Haben Sie diese Banditenwaffe, um Ihren Herrn zu beschützen? Er hat sie Ihnen wohl geschenkt?«

      »Er ist extra aus Paris gekommen, um sie mir zu bringen«, antwortete Michu.

      »Allerdings schwatzt man rings im Lande von seiner Reise. Die einen behaupten, er sei in Ungnade und ziehe sich von den Geschäften zurück. Die andern sagen, er wolle hier klar sehen ... Nun ja, warum kommt er denn, ohne ein Wort zu sagen, genau wie der Erste Konsul? Wussten Sie, dass er kam?«

      »Ich stehe mich nicht so gut mit ihm, dass er mir etwas anvertraut.«

      »So haben Sie ihn noch nicht gesehen?«

      »Ich erfuhr seine Ankunft erst, als ich von meinem Rundgang im Walde zurückkam«, entgegnete Michu und lud seine Büchse wieder.

      »Er hat nach Arcis geschickt, um Herrn Grévin zu holen. Sie werden etwas Tribun spielen.«

      Malin war Tribunatsmitglied gewesen.

      »Wenn Sie in der Richtung nach Cinq-Cygne reiten,« sagte der Verwalter, »so nehmen Sie mich mit; ich will dorthin.«

      Violette war zu ängstlich, um einen Mann von Michus Kraft hinter sich aufs Pferd zu nehmen, und ritt fort. Der Judas warf seine Büchse über die Schulter und eilte nach der Allee.

      »Auf wen hat es Michu denn abgesehen?« fragte Martha ihre Mutter.

      »Seit er Herrn Malins Ankunft erfahren hat, ist er recht finster geworden«, entgegnete sie. »Aber es ist feucht, wir wollen ins Haus gehen.«

      Als die beiden Frauen unter dem Kaminmantel saßen, schlug Couraut an.

      »Da kommt mein Mann!« rief Martha.

      In der Tat kam Michu die Treppe herauf; seine Frau ging besorgt zu ihm in ihr Schlafzimmer.

      »Sieh nach, ob niemand da ist«, gebot er Martha mit bewegter Stimme.

      »Niemand«, entgegnete sie. »Marianne ist auf dem Feld mit der Kuh. Und Gaucher ...«

      »Wo ist Gaucher?« fragte er.

      »Ich weiß nicht.«

      »Ich misstraue dem kleinen Schlingel. Geh auf den Boden, durchstöbere ihn und suche in den kleinsten Winkeln des Pavillons.«

      Martha ging und suchte. Als sie zurückkam, fand sie Michu kniend und betend.

      »Was hast du denn?« fragte sie erschrocken.

      Der Verwalter fasste seine Frau um die Hüften, zog sie an sich, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und antwortete mit bewegter Stimme:

      »Wenn wir uns nicht wiedersehen, so wisse, arme Frau, dass ich dich recht lieb hatte. Befolge Punkt für Punkt meine Anweisungen. Sie stehen in einem Briefe, den ich am Fuß der Lärche dort in der Baumgruppe vergraben habe«, setzte er nach einer Pause hinzu und wies auf einen Baum. »Er steckt in einem Blechrohr. Rühre ihn erst nach meinem Tode an. Kurz, was auch geschehen möge, bedenke, dass mein Arm trotz der Ungerechtigkeit der Menschen der Gerechtigkeit Gottes gedient hat.«

      Martha