Naïs dankte Châtelet mit einer Neigung des Kopfes und blieb in Nachdenken versunken. Sie war bis zum Ekel des Provinzlebens überdrüssig. Beim ersten Wort Châtelets hatte sie an Paris gedacht. Das Schweigen der Frau von Bargeton setzte ihren klugen Anbeter in Verlegenheit.
»Verfügen Sie über mich,« sagte er, »ich wiederhole es Ihnen.«
»Danke«, antwortete sie. »Was denken Sie zu tun?«
»Ich werde sehen.« Langes Schweigen. »Lieben Sie denn diesen kleinen Rubempré so sehr?«
Sie lächelte hochmütig, kreuzte die Arme und betrachtete die Vorhänge ihres Boudoirs. Châtelet ging, ohne dieses stolze Frauenherz enträtseln zu können. Als Lucien und die vier getreuen alten Herren, die zu ihrer Kartenpartie eingetroffen waren, ohne sich über diese zweifelhaften Lästerreden aufzuregen, sich wegbegeben hatten, wandte sich Frau von Bargeton an ihren Mann. Er war gerade im Begriff gewesen, schlafen zu gehen, und hatte schon den Mund geöffnet, um seiner Frau gute Nacht zu wünschen.
»Komm mit mir, mein Lieber, ich habe mit dir zu sprechen«, sagte sie mit einer gewissen Feierlichkeit. Herr von Bargeton folgte seiner Frau in das Boudoir. »Mein Lieber,« sagte sie zu ihm, »Ich habe vielleicht unrecht gehabt, in meine Sorge und Protektion für Herrn von Rubempré eine Wärme zu legen, die die dummen Menschen ebenso schlecht verstanden, wie er selbst. Heute morgen hat sich Lucien mir zu Füßen geworfen und fing an, mir eine Liebeserklärung zu machen. Stanislaus trat in dem Moment ein, wo ich den jungen Menschen aufhob. In Missachtung der Pflichten, die die Courtoisie einem Edelmann gegen eine Frau in jeder Lage auferlegt, hat er behauptet, er habe mich in einer zweideutigen Situation mit diesem jungen Menschen überrascht, den ich übrigens behandelte, wie er es verdient. Wenn dieser junge Hitzkopf die Verleumdungen kennte, zu denen seine Torheit Veranlassung gibt, würde er, ich kenne ihn, Stanislaus beschimpfen und ihn zwingen, sich mit ihm zu schlagen. Dieser Schritt käme einem öffentlichen Zugeständnis seiner Liebe gleich. Ich brauche es dir nicht erst zu sagen, dass deine Frau rein ist; aber du wirst der Ansicht sein, es liege für dich und für mich etwas Entehrendes darin, wenn Herr von Rubempré sich zu ihrem Verteidiger aufwirft. Geh also jetzt sofort zu Stanislaus und verlange von ihm ernstliche Genugtuung für die beschimpfenden Reden, die er über mich geführt hat; vergiss nicht: du darfst nicht dulden, dass die Sache beigelegt wird, wenn er nicht in Gegenwart zahlreicher und gewichtiger Zeugen alles zurücknimmt. Du gewinnst auf diese Weise die Achtung aller Ehrenmänner; du benimmst dich als Mann von Geist und Mut, und du hast Anspruch auf meine Achtung. Ich werde Gentil nach l'Escarbas reiten lassen, mein Vater soll dein Zeuge sein. Trotz seines Alters weiß ich, dass er der Mann ist, der diese Puppe zu Boden tritt, die den guten Ruf einer Nègrepelisse anzutasten wagt. Du hast die Wahl der Waffen, schlage dich auf Pistolen, du triffst vorzüglich.«
»Ich gehe hin«, antwortete Herr von Bargeton und nahm Stock und Hut.
»Schön, mein Freund,« sagte seine Frau, »so liebe ich die Männer, du bist ein Edelmann.«
Sie bot ihm ihre Stirn zum Kuss dar, und der alte Mann küsste sie ganz glücklich und stolz. Diese Frau, die eine Art mütterliches Gefühl für dieses große Kind hegte, konnte eine Träne nicht unterdrücken, als sie hörte, wie das Portal sich hinter ihm schloss.
»Wie er mich liebt!« sagte sie zu sich selbst. »Der arme Mann hängt am Leben, und trotzdem würde er es ohne Besinnen für mich hingeben.«
Herr von Bargeton beunruhigte sich weiter nicht darüber, dass er sich am nächsten Tage mit einem Manne schlagen, dass er, ohne zu zucken, die Mündung einer Pistole auf sich gerichtet sehen sollte; nein, nur eine einzige Sache brachte ihn so in Verwirrung, dass er zitterte, als er zu Herrn von Chandour ging.
»Was soll ich sagen?« dachte er, »Naïs hätte mir die Sätze sagen sollen!« Und er zermarterte sich das Hirn, um einige Sätze, die nicht lächerlich wären, zusammenzubringen.
Aber Menschen, die, wie Herr von Bargeton, in einem Schweigen leben, das ihnen die Enge ihres Geistes und ihr beschränkter Gesichtskreis auferlegen, haben in den großen Augenblicken des Lebens eine ganz vollendete Feierlichkeit. Da sie wenig reden, entschlüpfen ihnen natürlich wenig Dummheiten. Und dann denken sie viel über das nach, was sie sagen müssen, und ihr großes Misstrauen gegen sich selbst bringt sie dazu, ihre Reden so wohl vorzubereiten, dass sie sich vermöge eines Vorgangs, der Ähnlichkeit mit dem hat, der Bileams Eselin die Sprache gab, ganz wunderbar ausdrücken. Und so benahm sich Herr von Bargeton wie ein überlegener Mann. Er rechtfertigte die Meinung derer, die ihn für einen Philosophen aus der Schule des Pythagoras hielten. Er trat um elf Uhr abends bei Stanislaus ein und fand da zahlreiche Gesellschaft vor. Er grüßte Amélie schweigend und hielt der ganzen Gesellschaft sein nichtssagendes Lächeln entgegen, das unter den jetzigen Umständen den Eindruck tiefer Ironie machte. Es trat nun ein großes Schweigen ein, wie beim Herannahen eines Gewitters in der Natur. Châtelet, der zurückgekehrt war, sah mit einem bedeutsamen Blick hintereinander Herrn von Bargeton und Stanislaus an, dem sich der beleidigte Gatte höflich näherte.
Châtelet verstand den Sinn eines Besuchs, den der alte Mann zu einer Stunde machte, wo er sonst zu Bett lag: Naïs setzte offenbar diesen schwachen Arm in Bewegung; und da seine Stellung bei Amélie ihm das Recht gab, sich in die Angelegenheiten des Hauses einzumischen, erhob er sich, nahm Herrn von Bargeton beiseite und sagte zu ihm:
»Sie wollen mit Stanislaus sprechen?«
»Ja«, antwortete der Gute, der glücklich war, einen Vermittler zu finden, der vielleicht das Wort für ihn führte. »Gut, gehen Sie in das Schlafzimmer Amélies«, entgegnete ihm der Steuerdirektor. Er war zufrieden mit diesem Duell, das Frau von Bargeton zur Witwe machen konnte und es ihr dann doch unmöglich machte, Lucien, der die Veranlassung zu dem Duell war, zu heiraten. »Stanislaus,« sagte Châtelet zu Herrn von Chandour, »Bargeton kommt ohne Zweifel, um Sie wegen der Reden, die Sie über Naïs geführt haben, zur Rechenschaft zu ziehen. Kommen Sie ins Zimmer Ihrer Frau und benehmen Sie sich beide als Edelleute. Machen Sie keinen Lärm, seien Sie recht höflich zueinander, beweisen Sie die ganze Kälte britischer Würde.«
Im nächsten Augenblick waren Stanislaus und Châtelet bei Bargeton.
»Mein Herr,« sagte der beleidigte Gatte, »Sie behaupten, Sie hätten Frau von Bargeton mit Herrn von Rubempré in einer zweideutigen Situation getroffen?«
»Mit Herrn Chardon«, erwiderte Stanislaus ironisch, der Bargeton für keinen hervorragenden Kopf hielt.
»Gleichviel,« entgegnete der Gatte; »wenn Sie diese Behauptung nicht vor der Gesellschaft, die in diesem Augenblick bei Ihnen versammelt ist, zurücknehmen, ersuche ich Sie, sich einen Zeugen zu wählen. Mein Schwiegervater, Herr von Nègrepelisse, wird Sie um vier Uhr morgens aufsuchen. Inzwischen kann jeder seine Anordnungen treffen, denn die Sache kann nur in der Weise erledigt werden, die ich eben andeutete. Ich wähle Pistolen, ich bin der Beleidigte.«
Unterwegs hatte Herr von Bargeton diese Ansprache hin und her überlegt. Sie war die längste seines Lebens, er sprach sie völlig leidenschaftslos und mit dem ruhigsten Gesicht von der Welt. Stanislaus wurde blass und fragte sich selbst: »Was habe ich schließlich gesehen?«
Aber zwischen der Schande, seine Worte vor der ganzen Stadt in Anwesenheit dieses Schweigsamen, der keinen Spaß zu verstehen schien, zurückzunehmen, und der Furcht, der grässlichen Furcht, die ihm mit ihren heißen Händen den Hals zuschnürte, wählte er die entferntere Gefahr.
»Gut. Auf morgen«, sagte er zu Herrn von Bargeton und dachte, die Sache könnte inzwischen