David, der in diesem Moment eintrat, schien die letzten Worte gehört zu haben, denn er blickte Bruder und Schwester schweigend an.
»Verbergt mir nichts«, sagte er schließlich. »Denke,« rief Eva, »er reist mit ihr fort«
»Postel«, sagte Frau Chardon, die hereintrat, ohne David zu sehen, »willigt ein, dir die tausend Franken zu leihen, aber nur für sechs Monate, und er will einen Wechsel von dir, den dein Schwager akzeptiert, denn er sagt, du bötest keine Garantie.«
Die Mutter blickte sich um, sah ihren Schwiegersohn, und die vier Menschen blieben in tiefem Schweigen. Die Familie Chardon fühlte, wie sehr sie David ausgenützt hatte. Alle schämten sich. Eine Träne schwamm im Auge des Buchdruckers.
»Du wirst also nicht auf meiner Hochzeit sein?« fragte er, »du wirst nicht bei uns bleiben? und da habe ich nun alles verschwendet, was ich hatte! Ach Lucien, eben bringe ich Eva ihren armseligen Brautschmuck; ich wusste nicht,« sagte er, trocknete sich die Augen und zog ein paar Schmuckkästchen aus der Tasche, »dass ich bedauern müsste, ihn gekauft zu haben.«
Er stellte mehrere mit Saffian überzogene Kästchen auf den Tisch vor den Platz seiner Schwiegermutter.
»Warum denkst du so viel an mich?« fragte Eva mit dem Lächeln eines Engels, das in Widerspruch zu ihren Worten stand.
»Liebe Mama,« sagte der Drucker, »sage Herrn Postel, ich willige ein, meine Unterschrift zu geben, denn ich sehe auf deinem Gesicht, Lucien, dass du entschlossen bist, abzureisen.«
Lucien nickte kraftlos und traurig mit dem Kopf und sagte nach einer kleinen Pause: »Urteilt nicht falsch über mich, geliebte Menschen.«
Er griff nach Eva und David, zog sie zu sich heran, drückte sie an sich, küsste sie und sprach: »Wartet ab, was daraus entsteht; ihr werdet sehen, wie ich euch liebe. David, wozu diente unser hoher Gedankenflug, wenn er uns nicht erlaubte, gleichgültig gegen die kleinen Zeremonien zu sein, mit denen die Gesetze unsere Gefühle umwickeln? Wird nicht trotz der Entfernung meine Seele hier sein? Wird uns nicht der Gedanke vereinigen? Werden die Verleger hierher kommen, um meinen »Bogenschützen Karls IX.« und meine »Marguersten« von mir zu bekommen? Früher oder später musste ich einmal doch tun, was ich jetzt tue. Aber konnte ich jemals günstigere Bedingungen finden? Hängt nicht mein ganzes Glück davon ab, dass ich bei meinem ersten Auftreten in Paris zu dem Salon der Marquise d'Espard Zutritt habe?«
»Er hat recht«, sagte Eva. »Sagtest du mir nicht selbst, er müsste bald nach Paris gehen?«
David nahm Eva bei der Hand, führte sie in den engen Raum, in dem sie seit sieben Jahren schlief, und sagte ihr ins Ohr: »Er braucht zweitausend Franken, sagtest du, Liebste? Postel gibt nur tausend her.«
Eva sah ihren Verlobten mit einem ängstlichen Blick an, der all ihren Kummer zum Ausdruck brachte.
»Höre, geliebte Eva! wir werden unser Leben schlecht anfangen. Jawohl, meine Ausgaben haben alles verschlungen, was ich besessen habe. Es bleiben mir nur zweitausend Franken, und die Hälfte ist unentbehrlich, damit die Druckerei weiterbestehen kann. Wenn ich deinem Bruder tausend Franken gebe, gebe ich ihm unser Brot, gefährde ich unsere Existenz. Wenn ich allein wäre, wüsste ich, was ich täte, aber wir sind zwei. Entscheide.«
Eva warf sich, außer sich, ihrem Geliebten in die Arme, küsste ihn zärtlich und sagte ihm, von Tränen überströmt, ins Ohr: »Tu, wie wenn du allein wärst; ich werde arbeiten, um diese Summe wieder zu verdienen.«
Trotz eines Kusses, der so glühend war, wie ihn je zwei Verlobte ausgetauscht haben, war Eva, als David sie allein ließ und zu Lucien trat, sehr niedergeschlagen.
»Sei ohne Sorge,« sagte David zu Lucien, »du sollst deine zweitausend Franken haben.«
»Geht zu Postel,« sagte Frau Chardon, »ihr müsst beide den Wechsel unterschreiben.«
Als die beiden Freunde wieder heraufkamen, überraschten sie Eva und ihre Mutter, wie sie auf den Knien zu Gott beteten. Obwohl sie wussten, wieviel Hoffnungen die Rückkehr erfüllen musste, fühlten sie doch in diesem Augenblick alles, was sie mit diesem Abschied verloren, sie fanden das Glück der Zukunft zu teuer mit einer Abwesenheit erkauft, die sie unglücklich machte und sie in tausend Ängste über das Schicksal Luciens versetzte.
»Wenn du jemals diese Szene vergäßest,« flüsterte David Lucien ins Ohr, »wärst du der niedrigste aller Menschen.«
Der Buchdrucker hielt ohne Zweifel diese ernsten Worte für nötig, der Einfluss der Frau von Bargeton ängstigte ihn nicht weniger als die unheilvolle Unbeständigkeit von Luciens Charakter, die ihn ebenso auf den schlimmen wie auf den rechten Weg bringen konnte. Eva hatte Luciens Bündel schnell geschnürt. Dieser Fernando Cortez der Literatur nahm wenig mit sich. Er behielt seinen besten Gehrock, seine beste Weste und eins seiner zwei besten Hemden an. Seine ganze Wäsche, sein berühmter Anzug, seine Siebensachen und seine Manuskripte bildeten ein so kleines Paket, dass David vorschlug, er wolle es, damit es den Augen der Frau von Bargeton verborgen bliebe, mit der Eilpost seinem Geschäftsfreund, einem Papierhändler, schicken und ihm schreiben, er solle es Lucien übergeben.
Trotz den Vorsichtsmaßregeln Frau von Bargetons zur Geheimhaltung ihrer Abreise erfuhr Châtelet davon und wollte wissen, ob sie die Reise allein oder in Begleitung Luciens machte; er schickte seinen Kammerdiener nach Ruffec mit dem Auftrag, die Insassen aller Wagen, die auf der Post die Pferde wechselten, zu beobachten. »Wenn sie ihren Dichter mitnimmt,« dachte er, »gehört sie mir.«
Lucien reiste am nächsten Morgen bei Tagesanbruch ab. Er war von David begleitet, der sich ein Kabriolett und ein Pferd verschafft hatte, wobei er sagte, er hätte geschäftliche Dinge mit seinem Vater zu erledigen, was unter den jetzigen Umständen wahrscheinlich war. Die beiden Freunde begaben sich nach Marsac und verbrachten dort einen Teil des Tages bei dem alten Bären; am Abend fuhren sie dann bis über Mansle hinaus, um Frau von Bargeton zu erwarten. Sie kam gegen Morgen an. Als Lucien die alte sechzigjärige Kalesche sah, die er so oft in der Remise betrachtet hatte, fühlte er sich so bewegt wie noch selten im Leben. Er warf sich David in die Arme, der zu ihm sagte: »Gott gebe, dass das zu deinem Guten ist.«
Der Drucker bestieg wieder sein kleines Kabriolett und fuhr mit gepresstem Herzen ab, denn er hatte ängstliche Vorgefühle über die Schicksale, die Lucien in Paris erwarteten.
Ein großer Mann aus der Provinz in Paris
Erster Teil
Weder Lucien, noch Frau von Bargeton, noch Gentil, noch Albertine, die Kammerfrau, sprachen jemals von den Vorfällen dieser Reise; aber man darf annehmen, dass die fortwährende Anwesenheit der Dienerschaft sie für einen Liebhaber, der alle Wonnen einer Entführung erwartet hatte, sehr verdrießlich gestaltete. Lucien, der zum erstenmal in seinem Leben Extrapost fuhr, war wie aus den Wolken gefallen, als er fast die ganze Summe, die er für ein Jahr seines Lebens bestimmt hatte, auf der Straße von Angoulême nach Paris verschwinden sah. Wie alle Menschen, die die Reize der Kindlichkeit mit der Kraft der Begabung vereinigen, hatte er den Fehler, dass er beim Anblick von Dingen, die für ihn neu waren, seine naive Verwunderung nicht unterdrückte. Ein Mann muss eine Frau gut studieren und darf seine Gefühle und Gedanken nicht gleich im Entstehen sehen lassen. Eine Geliebte, die Zärtlichkeit und Größe verbindet, lächelt über Kindereien und versteht sie; aber wenn sie nur ein bisschen Eitelkeit hat, verzeiht sie ihrem Geliebten nicht, wenn er sich kindisch, eitel oder kleinlich zeigt. Viele Frauen übertreiben den Kultus mit ihrem Geliebten so sehr, dass sie immer einen Abgott in ihm finden wollen; während die, die einen Mann um seiner selbst willen und nicht zuerst in Bezug auf sich lieben, seine kleinen Züge ebenso verehren wie seine Größe. Lucien hatte noch nicht gemerkt, dass die Liebe bei Frau von Bargeton auf die Eitelkeit gepfropft war. Er beging