Verlorene Illusionen. Оноре де Бальзак. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Оноре де Бальзак
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783955014933
Скачать книгу
ab, und ich darf sie auf keine Weise aufs Spiel setzen. Ich werde mir also noch heute Abend ein paar Schritte von hier eine Wohnung nehmen, aber du bleibst in diesem Hotel wohnen, und wir können uns alle Tage sehen, ohne dass jemand etwas dagegen sagen kann.«

      Louise erklärte Lucien, der sie mit großen Augen ansah, die Gesetze der großen Welt. Er wusste zwar nicht, dass die Frauen, die ihre Torheiten korrigieren, damit auch ihre Liebe korrigieren, aber er merkte, dass er nicht mehr der Lucien von Angoulême war. Louise sprach ihm nur von sich, von ihren Interessen, von ihrem Ruf, von der Welt; und um ihren Egoismus zu entschuldigen, versuchte sie, ihn glauben zu machen, es handele sich um ihn. Er hatte kein Recht auf Louise, die so schnell wieder Frau von Bargeton geworden war, und was schlimmer war, er hatte keine Macht über sie. So konnte er schwere Tränen nicht zurückhalten, die ihm aus den Augen stürzten.

      »Wenn ich dein Ruhm bin, bist du für mich noch mehr: du bist meine einzige Hoffnung und meine ganze Zukunft. Ich hatte gedacht, dass du, wie du meine Erfolge teilst, auch mein Unglück teilen solltest, und nun sollen wir uns jetzt schon trennen!«

      »Du tadelst mein Verhalten,« versetzte sie, »du liebst mich nicht.«

      Lucien sah sie so schmerzlich an, dass sie sich nicht enthalten konnte, hinzuzufügen: »Lieber Junge, ich bleibe, wenn du willst. Wir gehen zugrunde und stehen ohne jeden Beistand da. Aber wenn wir beide in gleicher Weise im Elend und beide von der Welt verstoßen sind; wenn der Misserfolg – denn man muss alles ins Auge fassen – uns bis nach l'Escarbas zurückgeworfen hat, dann erinnere dich, mein Lieber, dass ich dieses Ende vorausgesehen habe und dir vorschlug, nach den Gesetzen der Welt ans Ziel zu gelangen und ihnen zu gehorchen.«

      »Louise,« antwortete er und umarmte sie, »ich bin erschreckt, dass ich dich so klug sehe. Vergiss nicht, dass ich ein Kind bin, dass ich mich ganz und völlig deinem lieben Willen überlassen habe. Ich wollte über Menschen und Dinge aus eigener Kraft siegen; aber wenn ich mit deiner Hilfe schneller ans Ziel kommen kann als allein, werde ich sehr glücklich sein, dir all mein Glück zu verdanken. Verzeih! Ich habe zuviel auf dich gesetzt, um nicht alles fürchten zu müssen. Für mich ist eine Trennung der Vorläufer des Verlassenwerdens; und verlassen zu werden ist der Tod.«

      »Aber, liebes Kind, die Welt verlangt wenig von dir«, erwiderte sie. »Es handelt sich nur darum, dass du hier die Nacht zubringst, und du kannst den ganzen Tag bei mir sein, ohne dass jemand etwas daran finden darf.«

      Einige Zärtlichkeiten beruhigten Lucien vollends. Eine Stunde später brachte Gentil ein paar Zeilen von Châtelet, der Frau von Bargeton mitteilte, dass er ihr in der Rue Neuve-de-Luxembourg eine Wohnung gemietet hätte. Sie ließ sich die Lage dieser Straße erklären, die von der Rue de l'Echelle nicht sehr entfernt war, und sagte zu Lucien: »Wir sind Nachbarn.«

      Zwei Stunden später bestieg sie einen Wagen, den ihr Châtelet geschickt hatte, und fuhr in ihre neue Wohnung. Es war eine von denen, in die die Möbelhändler Möbel stellen, um sie an reiche Deputierte oder an hohe Persönlichkeiten zu vermieten, die für kurze Zeit nach Paris gekommen sind; sie war üppig, aber unbequem eingerichtet. Lucien kehrte gegen elf Uhr in sein kleines Hotel zurück und hatte von Paris noch nichts gesehen als den kleinen Teil der Rue St.-Honoré, der zwischen der Rue Neuve-de-Luxembourg und der Rue de l'Echelle liegt. Er legte sich in seiner elenden kleinen Kammer schlafen, die er unwillkürlich mit dem prächtigen Gemach Louisens vergleichen musste. Kaum hatte er Frau von Bargeton verlassen, als der Baron du Châtelet anlangte. Er kam in strahlender Balltoilelte von einer Gesellschaft beim Minister des Äußern zurück. Er wollte Frau von Bargeton über alle seine Veranstaltungen Rechenschaft ablegen. Louise war unruhig, dieser Luxus ängstigte sie. Die Provinzgewohnheiten hatten schließlich auch sie erfasst, sie war in ihren Ausgaben genau geworden; sie sah so auf Sparsamkeit, dass sie in Paris für geizig gelten konnte. Sie hatte etwa zwanzigtausend Franken in Form einer Anweisung auf den Generalsteuerdirektor mitgebracht und hatte diese Summe zur Deckung ihrer Ausgaben während der nächsten vier Jahre bestimmt. Jetzt fürchtete sie schon, nicht genug zu haben und Schulden zu machen. Châtelet teilte ihr mit, dass ihre Wohnung sie nur sechshundert Franken im Monat kostete.

      »Was ist daran Schlimmes?« fragte er, als er den Ruck bemerkte, den diese Mitteilung bei Naîs erzielte. »Sie haben einen Wagen für fünfhundert Franken im Monat zu Ihrer Verfügung, das macht im ganzen fünfzig Louis. Sie haben im übrigen nur noch an Ihre Toilette zu denken. Wenn Sie aus Herrn von Bargeton einen Generalsteuerdirektor machen oder ihm eine Stellung im Haushalt des Königs verschaffen wollen, dürfen Sie nicht wie eine arme Frau aussehen. Hier wird nur den Reichen gegeben. Es ist sehr gut, dass Sie Gentil zur Begleitung und Albertine als Zofe haben, denn die Bedienten in Paris ruinieren einen. Essen werden Sie selten zu Hause, so eingeführt wie Sie bald sein werden.«

      Frau von Bargeton und der Baron plauderten von Paris. Châlelet erzählte die Neuigkeiten des Tages, die tausend Nichtigkeiten, die man wissen muss, wenn man für einen Pariser gelten will. Er gab bald Naïs Ratschläge über die Geschäfte, in denen sie kaufen sollte: er nannte ihr Herbault für die Barette, Juliette für die Hüte und Häubchen; er gab ihr die Adresse der Schneiderin, die Viktorine ersetzen sollte, kurz, er machte ihr die Notwendigkeit begreiflich, sich zu entangoulèmieren. Dann verabschiedete er sich nach dem letzten guten Einfall, auf den er noch glücklich gekommen war.

      »Morgen«, sagte er nachlässig, »habe ich ohne Zweifel eine Loge in einem Theater; ich werde Sie und Herrn von Rubemprè abholen; Sie gestatten mir doch gewiss. Sie beide in Paris einzuführen.«

      »Er hat mehr Adel im Charakter, als ich dachte«, sagte sich Frau von Bargeton, als sie hörte, dass er auch Lucien einladen wollte.

      Im Juni wissen die Minister nicht, was sie mit ihren Theaterlogen anfangen sollen; die ministeriellen Deputierten und ihre Mandanten sind in den Weinbergen beschäftigt oder besorgen ihre Ernte, ihre anspruchsvollsten Bekannten sind auf dem Lande oder verreist, daher sehen die schönsten Logen der Pariser Theater um diese Zeit sehr seltsame Gäste, die von den gewohnten Besuchern nie wiedergesehen werden und die dem Publikum das Aussehen eines abgenutzten Teppichs geben. Châtelet hatte schon daran gedacht, dass er infolge dieses Umstandes ohne viel Kosten Naïs die Vergnügungen verschaffen könnte, nach denen die Provinzialen am gierigsten sind. Als am nächsten Tag Lucien zum erstenmal hinging, traf er Louise nicht an. Frau von Bargeton war ausgegangen, um einige unumgängliche Einkäufe zu besorgen. Sie musste mit den würdigen und berühmten Autoritäten in Sachen der Frauentoilette Rats pflegen, die Châtelet ihr genannt hatte, denn sie hatte der Marquise d'Espard ihre Ankunft mitgeteilt. Obwohl Frau von Bargeton das Selbstvertrauen besaß, das die gebietende Stellung langer Jahre mit sich bringt, hatte sie seltsamerweise Angst, sie könnte als Provinzialin erscheinen. Es fehlte ihr nicht an Takt, um zu wissen, wie sehr die Beziehungen zwischen Frauen von den ersten Eindrücken abhängen; und obwohl sie sich imstande wusste, sehr schnell auf das Niveau der überlegenen Frauen, wie Madame d'Espard, zu gelangen, fühlte sie doch, dass sie bei ihrem ersten Auftreten Wohlwollen brauchte, und wollte es an keinem Faktor des Erfolgs fehlen lassen. Daher war sie Châtelet überaus dankbar, dass er ihr die Mittel angegeben hatte, sich mit der vornehmen Welt von Paris in Einklang zu setzen. Durch einen seltsamen Zufall befand sich die Marquise in einer Lage, die es ihr sehr erwünscht machte, jemandem aus der Familie ihres Gatten einen Dienst zu erweisen. Ohne ersichtlichen Grund hatte sich der Marquis d'Espard von der Welt zurückgezogen, er kümmerte sich weder um seine Geschäfte, noch um Politik, noch um seine Familie, noch um seine Frau. Die Marquise, die so ihre eigene Herrin geworden war, fühlte das Bedürfnis, nach wie vor die Billigung der Gesellschaft zu genießen; daher war sie glücklich, unter diesen Umständen den Marquis so zu ersetzen, dass sie die Protektion seiner Familie übernahm. Sie wollte sich dieser Gönnerschaft ostentativ unterziehen, um das Unrecht ihres Gatten zu unterstreichen. Am selben Tage noch schrieb sie an Frau von Vargeton, geborene Nègrepelisse, eines der reizenden Briefchen, deren Form so hübsch ist, dass man Zeit braucht, um hinter ihren Mangel an Inhalt zu kommen:

      »Sie wäre glücklich über einen Umstand, der eine Frau ihrer Familie ihr näher brächte, von der sie sprechen gehört hätte und die sie kennen zu lernen wünschte, denn die freundschaftlichen Beziehungen in Paris wären nicht so fest gegründet, dass man nicht wünschen müsste, einen mehr auf Erden zu haben, den man lieben könnte, und wenn das nicht sein könnte, wäre es