»Der Ruhm birgt eine Kraft der Verführung, die man nicht zu leugnen braucht«, sagte Frau von Bargeton zur Marquise. »Es gibt Frauen, die die Größe lieben, wie andere die Kleinheit«, fügte sie hinzu und richtete dabei ihre Augen auf Francis.
Zéphirine verstand nicht, denn sie fand ihren Konsul sehr groß; aber die Marquise schlug sich auf Naïs' Seite und fing zu lachen an.
»Sie sind sehr glücklich,« sagte Herr von Pimentel zu Lucien und machte sich dabei ein Vergnügen, ihn zur Abwechslung von Rubempré zu nennen, nachdem er vorher Herr Chardon zu ihm gesagt hatte; »Sie können sich niemals langweilen.«
»Arbeiten Sie schnell?« fragte ihn Lolotte mit einem Gesicht, mit dem sie einen Tischler gefragt hätte: »Brauchen Sie lange dazu, einen Kasten zu machen?«
Lucien war von diesem Keulenschlag wie betäubt; aber er hob den Kopf wieder hoch, als er Frau von Bargeton lächelnd antworten hörte:
»Meine Liebe, die Poesie wächst im Kopf des Herrn von Rubempré nicht wie das Unkraut in unsern Höfen.«
»Meine Gnädigste,« sagte der Bischof zu Lolotte, »wir können nicht genug Achtung vor den edlen Geistern haben, denen Gott einen seiner Strahlen geschenkt hat. Ja, die Poesie ist eine heilige Sache. Wer Poesie sagt, sagt Leiden. Wie viele stille Nächte haben die Strophen nicht gekostet, die Sie bewundern! Wir wollen den Dichter, der fast immer ein unglückliches Leben führt und für den Gott ohne Zweifel im Himmel unter seinen Propheten einen Platz bereithält, liebevoll aufnehmen. Dieser junge Mann ist ein Dichter,« fügte er hinzu und legte seine Hand auf Luciens Kopf, »sehen Sie nicht etwas wie ein Verhängnis auf dieser schönen Stirn?«
Lucien war glücklich, so edel verteidigt zu werden, und warf dem Bischof einen liebreichen Blick zu. Er ahnte nicht, dass der würdige Prälat sein Henker werden sollte.
Frau von Bargeton warf auf den feindlichen Kreis triumphierende Blicke, die sich wie ebenso viele Dolche in die Herzen ihrer Nebenbuhlerinnen senkten, deren Wut sich verdoppelte.
»Ach, Monseigneur,« antwortete der Dichter und hoffte, diese Dummköpfe mit seinem goldenen Zepter zu treffen, »das gewöhnliche Volk hat weder Ihren Geist noch Ihre fromme Liebe. Man weiß nichts von unsern Schmerzen, niemand kennt unser Mühen. Der Bergmann hat nicht so viel Arbeit, das Gold aus der Mine zu gewinnen, als wir, wenn wir den Eingeweiden der undankbarsten aller Sprachen unsere Bilder entreißen wollen. Wenn es das Ziel der Poesie ist, die Ideen bis zu dem Punkt herauszuarbeiten, wo jedermann sie sehen und empfinden kann, dann muss der Dichter unaufhörlich die Leiter der menschlichen Begabungen auf und ab steigen, um ihnen allen Genüge zu tun; er muss die Logik und das Gefühl, zwei feindliche Gewalten, unter den lebhaftesten Farben verbergen; er muss eine ganze Welt von Gedanken in ein Wort einschließen, ganze Philosophien in ein Bild zusammenziehen; kurz, seine Verse sind Samenkörner, deren Blüten in den Herzen aufsprießen müssen, indem sie dort die Furchen aufsuchen, die die persönlichen Erlebnisse und Gefühle gegraben haben. Muss man nicht alles empfunden haben, um alles wiedergeben zu können? Und heißt nicht lebhaft empfinden so viel wie leiden? Darum entstehen die Dichtungen erst nach mühsamen Reisen in den weiten Gebieten des Gedankens und der Gesellschaft. Sind es nicht unsterbliche Mühen, denen wir Gestalten verdanken, deren Leben ein wirklicheres geworden ist als das von Menschen, die wahrhaft gelebt haben. Gestalten wie die Clarissa von Richardson, die Kamilla von Chénier, die Delia des Tibull, die Angelika des Ariost, die Francesca des Dante, die Alceste von Molière, der Figaro von Beaumarchais, die Rebekka von Walter Scott, der Don Quijote von Cervantes?«
»Und was werden Sie uns so schaffen?« fragte Châtelet.
»Solche Schöpfungen vorher ankündigen,« antwortete Lucien, »hieße das nicht, sich ein Patent als Genie ausstellen? Und überdies, diese himmlischen Schöpfungen verlangen eine lange Erfahrung in der Welt, ein Studium der Leidenschaften und der menschlichen Interessen, die mir noch fehlen müssen; aber ich fange an«, sagte er bitter und warf einen Rächerblick auf den Kreis. »Der Geist trägt sein Kind lange bei sich, bis...«
»Sie werden eine schwere Niederkunft haben«, unterbrach ihn Herr du Hautoy.
»Ihre treffliche Mutter kann Ihnen beistehen«, sagte der Bischof.
Dieses so geschickt vorbereitete Wort, diese Rache, auf die man gewartet hatte, ließ in allen Augen einen Strahl der Freude aufleuchten. Auf alle Lippen kam ein Lächeln der aristokratischen Genugtuung, das durch die Albernheit Herrn von Bargetons, der nachträglich zu lachen anfing, verstärkt wurde.
»Monseigneur, Sie sprechen in diesem Augenblick ein wenig zu geistlich für uns, die Damen hier verstehen Sie nicht«, sagte Frau von Bargeton und ließ durch dieses einzige Wort das Lächeln verschwinden; alle blickten sie erstaunt an. »Ein Dichter, der alle seine Eingebungen in der Bibel findet, hat in der Kirche eine wahre Mutter. Herr von Rubempré, sprechen Sie uns Ihren ›Johannes auf Patmos‹ oder ›Das Festmahl des Balthasar‹; Monseigneur wird da sehen, dass Rom noch immer die Magna Parens des Vlrgil ist.«
Die Frauen tauschten ein Lächeln aus, als sie Naïs diese zwei lateinischen Worte aussprechen hörten.
Im Beginn des Lebens können die stolzesten und tapfersten Charaktere der Entmutigung nicht immer entgehen. Dieser Streich hatte Lucien zuerst wie in die Tiefe untergetaucht; aber er stieß mit dem Fuß auf den Grund, kam wieder nach oben und schwor sich, über diese Welt Herr zu werden. Wie der Stier, der von tausend Pfeilen getroffen ist, erhob er sich wütend und gehorchte der Stimme seiner Louise, um »Johannes auf Patmos« zu deklamieren; aber die meisten Spieltische hatten ihre Spieler angezogen, die in ihr gewohntes Geleise zurückfielen, in dem sie ein Vergnügen fanden, das die Poesie ihnen nicht gegeben hatte. Dann wäre auch die Rache ihrer gereizten Eigenliebe keine völlige gewesen, wenn man nicht dieser heimischen Poesie negative Missachtung bezeigt und von Lucien und Frau von Bargeton abgefallen wäre. Jeder schien etwas anderes zu tun zu haben: einer musste mit dem Präfekten über eine Kreisstraße sprechen, eine andere begann davon zu reden, man könnte in die Unterhaltung des Abends Abwechslung bringen und ein wenig Musik machen. Die vornehme Gesellschaft von Angoulême, die sich auf dem Gebiet der Poesie schlecht bewandert fühlte, war besonders neugierig, die Meinung der Rastignac und der Pimentel über Lucien zu erfahren, und mehrere Personen begaben sich zu ihnen. Der große Einfluss, den diese beiden Familien im Departement ausübten, wurde in großen Augenblicken immer anerkannt; jeder beneidete sie und jeder machte ihnen den Hof, denn alle sahen sie voraus, dass sie ihre Protektion einmal nötig haben könnten.
»Wie finden Sie unsern Dichter und seine Poesie?« fragte Jacques die Marquise, bei der er oft zur Jagd gewesen war.
»Aber für Provinzverse sind sie nicht schlecht,« sagte sie lächelnd; »überdies kann ein so schöner Dichter nichts schlecht machen.«
Jeder fand dieses Urteil entzückend und wiederholte es, wobei sie mehr Bosheit hineinlegten, als die Marquise beabsichtigt hatte. Châtelet wurde nunmehr gebeten, Herrn von Bartas zu begleiten, der die große Arie des Figaro verhunzte. Nachdem die Musik einmal hereingelassen worden war, musste man sich die Ritterromanze von Châtelet vorsingen lassen, die Chateaubriand in der Kaiserzeit verfasst hatte. Dann kamen die Stücke zu vier Händen, die auf Verlangen der Frau von Brossard, welche nachher das Talent ihrer lieben Kamilla in den Augen des Herrn von Séverac leuchten lassen wollte, von jungen Mädchen vorgetragen wurden.
Frau von Bargeton war über die Geringschätzung verletzt, die die ganze Gesellschaft ihrem Dichter gegenüber zum Ausdruck brachte, und setzte Verachtung gegen Verachtung: sie ging, solange man musizierte, in ihr Boudoir. Ihr folgte der Bischof, den sein Generalvikar über die tiefe Ironie seines unfreiwilligen Witzes aufgeklärt hatte und der sie wieder gutmachen wollte. Fräulein von Rastignac schlich sich ohne Wissen ihrer Mutter, von der Poesie angezogen, ebenfalls in das Boudoir. Louise konnte, als sie sich auf das Kanapee setzte, zu dem sie Lucien geführt hatte, ohne gehört oder gesehen zu werden, ihm ins Ohr flüstern: »Süßer Freund, sie haben dich nicht begriffen! Aber ›dein Lied ist süß, es klingt mir noch im Ohr‹.«
Lucien war von dieser Schmeichelei getröstet und vergaß für