»Mir wird wie Eis im Herzen, wenn Sie so reden«, sagte Eva und blieb am Wehr der Charente stehen. »Aber solange meine Mutter die Kraft hat, ihrem schweren Beruf nachzugehen, und solange ich lebe, wird der Ertrag unserer Arbeit vielleicht für die Ausgaben Luciens genügen und es ihm möglich machen, den Augenblick abzuwarten, wo sein Glück beginnt. Mir wird der Mut nicht ausgehen, denn der Gedanke, dass ich für einen geliebten Menschen arbeite,« fuhr Eva lebhafter fort, »nimmt der Arbeit alle Bitterkeit und alles, was sie sonst wohl ermüdend macht. Ich bin glücklich, wenn ich daran denke, für wen ich mir so viel Mühe mache, wenn es überhaupt Mühe ist. Ja, fürchten Sie nichts, wir werden genug Geld verdienen, damit Lucien in die große Welt gehen kann. Dort ist für ihn das Glück.«
»Und sein Verderben dazu«, erwiderte David. »Hören Sie mich, liebe Eva. Das langsame Werden der Geisteswerke erfordert, dass man über ein beträchtliches Vermögen verfügt oder den erhabenen Zynismus besitzt, der zu einem Leben voll Arbeit gehört. Glauben Sie mir! Lucien hat einen solchen Abscheu vor den Entbehrungen des Elends, er hat den Duft der Gelage, den Weihrauch des Erfolgs schon so genossen, seine Eigenliebe ist in dem Boudoir der Frau von Bargeton so gewachsen, dass er eher alles versuchen wird, als jetzt noch Schiffbruch zu leiden, und die Erträge Ihrer Arbeit werden für seine Bedürfnisse nie hinreichen.«
»Sie sind also nur ein falscher Freund!« rief Eva in Verzweiflung, »sonst würden Sie uns nicht so entmutigen.«
»Eva! Eva!« antwortete David, »ich wollte, ich wäre der Bruder Luciens. Sie allein können mir diesen Namen geben, der es ihm erlaubt, alles von mir anzunehmen, und der mir das Recht gäbe, mich ihm mit der heiligen Liebe zu widmen, die Sie in Ihre Opfertaten legen, aber doch dabei die kühle Ruhe der Überlegung zu bewahren. Eva, teures, geliebtes Kind, sorgen Sie dafür, dass Lucien einen Schatz hat, aus dem er schöpfen kann, ohne sich zu schämen! Wird die Börse eines Bruders nicht so gut wie seine eigene sein? Wenn Sie alle Gedanken kennten, auf die Luciens neue Lage mich gebracht hat! Wenn er zu Frau von Bargeton gehen will, darf der arme Junge nicht mehr mein Faktor sein, er darf nicht mehr in Houmeau wohnen, Sie dürfen nicht mehr Arbeiterin bleiben, Ihre Mutter darf ihrem Beruf nicht mehr nachgehen. Wenn Sie einwilligen, meine Frau zu werden, dann wird alles gehen: Lucien kann bei mir im ersten Stock wohnen, während ich für ihn über dem Schuppen im Hofe ein Gelass baue, wenn nicht mein Vater einen zweiten Stock errichten will. Wir würden ihm so ein sorgenloses Leben, ein Leben der Unabhängigkeit schaffen. Mein Verlangen, Lucien zu helfen, wird mir neuen Mut geben, ein Vermögen zu erringen, den ich nicht hätte, wenn es sich nur um mich handelte; aber von Ihnen hängt es ab, mir das Recht zu all diesen Opfern zu geben. Vielleicht geht er eines Tages nach Paris, wo der einzige Schauplatz ist, auf dem er sich zeigen kann, auf dem seine Talente gewürdigt und belohnt werden. Das Pariser Leben ist teuer, und wir drei werden nicht zuviel sein, um ihn dort über Wasser zu halten. Und brauchen nicht überdies Sie und Ihre Mutter einen Beistand! Teure Eva, heiraten Sie mich aus Liebe für Lucien. Vielleicht lieben Sie mich später, wenn Sie die Anstrengungen sehen, die ich mache, um ihm zu dienen und Sie glücklich zu machen. Wir sind alle beide bescheiden in unsern Ansprüchen ans Leben, wir brauchen nicht viel; das Glück Luciens wird der Angelpunkt unseres Daseins sein und sein Herz der Schatz, dem wir Glück, Gefühl und Sinn, dem wir alles weihen!«
»Das Herkommen trennt uns«, sagte Eva, die mit Bewegung gewahrte, wie seine große Liebe sich klein machte. »Sie sind reich, und ich bin arm. Man muss sehr lieben, um über eine solche Schranke hinwegzukommen.«
»Sie lieben mich also noch nicht genug«, rief David wie außer sich.
»Aber Ihr Vater würde vielleicht Einspruch erheben...«
»Dann ist’s gut,« antwortete David, »wenn nur mein Vater im Wege steht, werden Sie meine Frau. Eva, teure Eva, jetzt in diesem Augenblick machen Sie mir das Leben wieder leicht zu tragen. Ach, mir war das Herz sehr schwer von Gefühlen, die ich gar nicht ausdrücken konnte. Sagen Sie mir nur, dass Sie mich ein bisschen lieben, dann finde ich schon den Mut, Ihnen alles zu sagen.«
»In Wahrheit,« sagte sie, »Sie machen mich ganz beschämt; aber da wir uns unsere Gefühle anvertrauen, muss ich Ihnen sagen, dass ich nie im Leben an einen andern gedacht habe als an Sie. Ich habe in Ihnen einen der Männer gesehen, auf die die Frau, die ihnen angehört, stolz sein kann, und ich hätte für mich, eine arme Arbeiterin ohne Aussichten, nie solch ein großes Los erhofft.«
»Genug, genug«, sagte er und setzte sich auf das Geländer des Wehrs, zu dem sie zurückgekehrt waren, denn sie gingen wie Narren immer auf derselben Stelle hin und her. »Was haben Sie?»fragte sie und legte zum erstenmal in den Ton ihrer Worte die anmutige Sorge, die die Frauen für einen Menschen an den Tag legen, der der ihre ist. »Nur Gutes«, antwortete er. »Wenn der Geist ein ganzes Leben voller Glück vor sich liegen sieht, ist er wie geblendet, und die Seele ist wie bedrückt. Warum bin ich der glücklichste Mensch?« fragte er fast melancholisch. »Aber ich weiß warum.«
Eva sah David mit koketter und zweifelnder Miene an, die von ihm eine Erklärung verlangte.
»Teure Eva, ich empfange mehr, als ich gebe. Und ich liebe Sie immer mehr, als Sie mich, weil ich mehr Grund habe, Sie zu lieben: Sie sind ein Engel, und ich bin ein Mensch.«
»Ich kann mich nicht so gut ausdrücken«, antwortete Eva lächelnd. »Ich liebe Sie recht sehr...«
»Ebensosehr wie Lucien?« unterbrach er sie.
»Genug, um Ihre Frau zu sein, um mich Ihnen zu weihen und zu versuchen, Ihnen in dem Leben, das wir zusammen führen werden und das im Anfang recht schwierig sein wird, keinen Kummer zu bereiten.«
»Haben Sie bemerkt, teure Eva, dass ich Sie vom ersten Tag an, wo ich Sie sah, geliebt habe?«
»Was wäre das für eine Frau, die nicht weiß, wenn sie geliebt wird?« fragte sie.
»Lassen Sie mich also die Bedenken, die Ihnen mein angebliches Vermögen macht, zerstreuen. Ich bin arm, liebe Eva. Jawohl, es hat meinem Vater beliebt, mich zu ruinieren; er hat auf meine Arbeit spekuliert; er hat es gemacht wie viele sogenannte Wohltäter mit ihren Schuldnern. Wenn ich reich werde, wird es für Sie sein. Das ist nicht das Wort eines Liebenden, sondern eine Überlegung des Denkenden. Ich muss Sie in meine, an einem Menschen, der die Verpflichtung hat, ein vermögender Mann zu werden, recht großen Fehler einweihen. Mein Charakter, meine Gewohnheiten, die Beschäftigungen, die mir zusagen, machen mich ungeeignet zu allem, was Handel und Spekulation heißt; dabei können wir doch aber nur durch irgendeinen industriellen Betrieb reich werden. Wenn ich imstande bin, eine Goldmine zu entdecken, so bin ich seltsam ungeschickt darin, sie auszubeuten. Sie aber, die aus Liebe zu Ihrem Bruder sich zu den kleinsten Verrichtungen herabgelassen haben, die das Talent der Sparsamkeit, die geduldige Aufmerksamkeit des wahren Kaufmanns besitzen, Sie werden die Ernte heimbringen, die ich säen werde. Unsere Lage, denn seit langem fühle ich mich zu Ihrer Familie gehörig, bedrückt mir so sehr das Herz, dass ich Tage und Nächte darauf verwandt habe, eine Möglichkeit ausfindig zu machen, zu Vermögen zu gelangen. Meine Kenntnisse in der Chemie und die Beobachtung der Bedürfnisse des Handels haben mich auf den Weg zu einer sehr aussichtsreichen Erfindung geführt. Ich kann Ihnen noch nichts davon sagen, ich sehe zu viele Schwierigkeiten voraus. Wir werden vielleicht ein paar dürftige Jahre haben; aber ich werde schließlich das industrielle Verfahren entdecken, hinter dem nicht ich allein her bin und das uns, wenn ich zuerst darauf komme, ein großes Vermögen verschafft. Ich habe