MODEL OF PERFECTION
Noch faszinierter von der Abweichung der Realität vom Ideal waren Roxy Music. Als Kunsthochschulband, die von Andy Warhol und der Pop-Art beeinflusst war, bediente sich die Gruppe um Bryan Ferry der Sprache der Werbung, um den Komplex Heilige/Hure unter dem Gesichtspunkt postmoderner Begrifflichkeiten zu beleuchten. Handlungsort ihrer ersten drei Alben ist ein imaginäres Highlife, in dem authentische Liebe unmöglich ist. »Feminität« hat hier nichts mit einer essenziellen psychologischen oder biologischen Realität zu tun, sondern mit Beiwerk und Kosmetik. Frauen sind die Summe der Produkte, die sie benutzen, und werden behandelt wie Verbrauchsgüter. In »Ladytron« (vom selbstbetitelten Debütalbum, 1972) befindet sich Ferrys »Lounge lizard«-Persona auf der vergeblichen Suche nach einer unmöglichen Idealfrau, deren Perfektion ihn so sehr einschüchtert, dass er sich seine Rache schon im Voraus ausmalt: »I’ll use you and I’ll confuse you / And then I’ll lose you / Still you won’t suspect me«. Es ist das klassische Muster des männlichen Sextäters, dem die Jagd mehr Freude bereitet als die Beute, übersetzt in die Logik des Konsums. »Beauty Queen« (For Your Pleasure, 1973) handelt von einer zum Scheitern verurteilten Affäre zwischen Ferry und einem Starlet. Was die beiden verbindet, ist ihre Obsession für das Oberflächliche, einzig »ein Schönheitsideal« teilen sie miteinander. Für Ferrys Protagonisten vollendet sich im Blick die Liebe: Sie bringt seine »sternenklaren Augen zum Erzittern«. In dieser Welt des Voyeurismus und Exhibitionismus ist eine Verbindung unmöglich und so trennen sich die beiden solipsistischen Möchtegern-Lover, bleiben ein Mysterium füreinander.
In »Editions of You« sucht Ferry nach einem »Remake/Remodel« (um den Titel eines weiteren Roxy-Songs zu zitieren) des Mädchens, das ihm das Herz gebrochen hat: Die Metaphorik eines klassischen Liebeskummer-Songs – »they only remind me of you« – wird in die Sprache der Massenproduktion übertragen. »In Every Dream Home a Heartache« erzählt die Geschichte eines Mannes, dem seine Besessenheit von einer Sexpuppe zum Verhängnis wird. Das Frauenbild des Songs wandelt sich: Sind Frauen zu Beginn noch ersetzbare Ware, wird schließlich die Ware als Frau dargestellt. Die aufblasbare Puppe kann die Liebe des Protagonisten natürlich nicht erwidern. Ihre makellose Oberfläche ist undurchdringlich. Letzten Endes wird er von seinem eigenen Verlangen nach Makellosigkeit und totaler Kontrolle entmenschlicht, der Playboy ist zum Sklaven jenes Objekts geworden, das sein ideales, ihm stets untergeordnetes Spielzeug sein sollte. Nun muss er ihr dienen. Als die »Affäre« intensiver wird, entfernt er sich »weiter vom Himmel« und nähert sich stattdessen der lebendigen Hölle der Schizophrenie. Er wird für seine eigene Oberflächlichkeit bestraft, als Leibeigener der stillen, strahlenden Oberfläche seines »Einwegschatzes«.
Auf dem dritten Album Stranded (1974) spielt »Mother of Pearl« mit der Idee von einem Mädchen als wertvollem Edelstein, kommt jedoch schnell zur Erkenntnis, dass glatte Oberflächen raue Inhalte verdecken können. Ferrys Suche nach Liebe in einer »Spiegelwelt« gerinnt zum Zynismus. Am Ende ist das Mädchen »so unglaublich halbedel«: Als Ferrys Charakter verkündet, dass er sie nie gegen ein anderes Mädchen eintauschen würde, versteckt sich beißender Sarkasmus hinter dem Wort »eintauschen«. Die Illusion der Einzigartigkeit wird von einer bitteren Erkenntnis ersetzt: Auf dem sexuellen Markt sind alle austauschbar.
LADYKILLERS
Manchmal gibt es eine viel brutalere Lösung für die Kluft zwischen Schein und Wirklichkeit, von der Roxy Music heimgesucht wurden: Mord, die Vernichtung der Ungewissheit, die in der Realität steckt und deren Wandelbarkeit die Illusion zu zerschmettern droht, auf die Liebende angewiesen sind.
Edgar Allan Poe hat einmal postuliert, dass der Tod einer schönen Frau das poetischste Thema auf der Welt sei. Es ist außerdem ganz und gar ein Rock-’n’-Roll-Thema. Das Traditional »Hey Joe« (in den 1960ern oft gecovert, die berühmteste Version stammt von Jimi Hendrix) ist ein klassisches Beispiel. Der Mord an der untreuen Frau befördert den Helden jenseits der Grenzen des Gesetzes, macht aus ihm einen Flüchtling. Ein Ehefrauenmörder, der mit seiner Tat nicht davonkommt, ist der Protagonist von »Long Time Man« des 1960er-Folk-Blues-Sängers Tim Rose (der auch eine brillante Version von »Hey Joe« im Repertoire hatte). Für den Totschlag im Affekt, an dessen Beweggrund er sich nicht einmal mehr erinnern kann, bekommt er lebenslang, die Reue wird ihn bis ans Ende seiner Tage begleiten. Der Fokus liegt dabei nicht auf dem Tod der Frau, sondern auf der ruinierten Würde und dem quälenden Gewissen des Sängers. Die Tat selbst übergeht der Song sogar einfach: Er erzählt davon, wie er zu einer Pistole greift, und geht dann direkt über zu ihren letzten gehauchten Worten, in denen sie ihm noch einmal ihre Liebe beteuert. Für diesen Mann wird Mord zu einer Methode, seine intensiven Gefühle auszudrücken – Gefühle, die sonst keinen Ausdruck finden würden. Weil er nicht dazu in der Lage ist, innerlich zu bluten, muss er sie zum bluten bringen. Wortwörtlich.
In ihrem Buch Lust am Töten: Eine feministische Analyse von Sexualmorden stellen Deborah Cameron und Elizabeth Frazer4 die These auf, dass »ein existentialistischer Blick auf [die Gewalt] von Sexualmördern« sie als »die ultimativen Rebellen, die Erotizismus in seiner reinsten Form ausüben«, offenbare. In dem leidenschaftlichen Verbrechen verkommt der Körper einer Frau zum Rohmaterial des Narrativs des Helden. Der Mord ist der ultimative Ausdruck seiner Leidenschaft, der Beweis seiner Liebe. Er ist eine Form des absoluten Besitzes – und der grausamen Intimität.
Im Rock stammt die eindringlichste Erkundung dieser Ideen von der Post-Punk-Ikone Nick Cave (der zufälligerweise sowohl »Hey Joe« und »Long Time Man« als auch John Lee Hookers »I’m Gonna Kill That Woman« gecovert hat). »Ich habe schon immer gerne Songs über tote Frauen geschrieben«, gestand Cave dem Melody Maker 1986. »Das hat immer noch etwas Mysteriöses, sogar für mich.« Sowohl bei seiner Band The Birthday Party als auch in seinem Solowerk wird der Mord an einem geliebten Mädchen zu einem Weg, ihr Madonnenbild zu verewigen und die Hure in ihr auszumerzen. (Hure wird hier vielleicht mit alldem in Verbindung gebracht, das einen Bezug zur sexuellen Unabhängigkeit einer Frau hat, so auch die sich anbahnende Gefahr, sie könnte ihn für einen anderen verlassen.) Ist sie erst einmal tot, kann die unperfekte, allzu menschliche Frau sein fetischisiertes Bild von ihr nicht mehr gefährden. Er kontrolliert ihre Sterblichkeit und ihre Unsterblichkeit: Sie bleibt ihm erhalten als eingefrorenes Ideal dessen, was Barthes das Image-Repertoire des Liebhabers nennt, die Galerie gesegneter Bilder, die er in seiner Vorstellung pflegt. Letzten Endes hebt der Mord den Liebhaber hervor, macht ihn überlebensgroß, heroisch und historisch.
Ironischerweise scheint Cave sich durch einen intensiven Sinn für die Verletzbarkeit des weiblichen Geschlechts an das Thema des Mädchenmords herangetastet zu haben. »She’s Hit«, der Opener des Birthday-Party-Albums Junkyard (1982), ist ein Blues-Klagelied für all die ermordeten Mädchen der Welt. Da Cave die Bilder von verstümmelten Mordopfern und »blutenden« Röcken beklagt, scheint ihn die Möglichkeit, dass Frauen wieder zu bloßem Fleisch, zu einer »Frauen-Pastete« werden, stark zu verstören. Für Cave stehen Frauen in einer intimen Beziehung zum Tod, vielleicht aufgrund ihrer Zeugungsfähigkeit. Unter seiner Trauer versteckt sich eine seltsame Abneigung, ein Gefühl, verraten worden zu sein. Am besten lässt