MANNISH BOYS & STUPID GIRLS
Wie einige ihrer Zeitgenossen Mitte der 1960er – The Pretty Things oder The Animals – nahmen sich die Stones der maskulinen Selbsterhöhung des Blues an und überspitzten sie. Die Hauptquelle war Bo Diddleys »I’m a Man«. Für den afroamerikanischen Musiker hatte der Songtitel eine ethnische Dimension: eine Bekräftigung der eigenen Männlichkeit im Angesicht einer rassistischen Gesellschaft, deren weiße Mitglieder ihn »boy« nannten. Natürlich ging diese Dimension verloren, als sich weiße britische Jugendliche der Musik annahmen. Aus Stolz wurde Arroganz, aus Musik von und für Außenseiter der Soundtrack von Möchtegern-Lehnsherren, die sich selbst größer machten, indem sie auf Frauen herumtrampelten. Der britische Blues-Prototyp war der »Mannish Boy«2. Damit ist ein sexuell frühreifer männlicher Teenager gemeint, der sich eine fast schon parodistische Macho-Persönlichkeit zulegt.
Aus der Selbstbehauptung des Mannish Boys entstand – durch die von Amphetaminen angetriebenen Mod-Gruppen und ihre Freakbeat-Abkömmlinge – eine Art größenwahnsinniger/paranoider Fieberwahn. Ein gutes Beispiel dafür ist die Kombination von exzentrischer Gereiztheit und brutalem militärischen Beat sowie von psychotischen Lyrics und dem Grauen vor Intimität in »Just What You Want, Just What You’ll Get«, einem Song von John’s Children aus dem Jahr 1966. Das Mädchen des Erzählers weiß ihn zu beglücken, doch verdächtigt er sie, ihn in eine Honigfalle zu locken. Der Refrain vibriert geradezu vor Bösartigkeit: »Don’t think I don’t know just what you want / EVERYTHING!! / Don’t think I don’t know just what you’ll get / NOTHING!!!« Was das Mädchen so furchteinflößend macht, ist seine Anziehungskraft. Für das fragile Mannskind am Rande eines sexuellen Strudels, der droht, ihn zu verschlucken, wird brutale Zurückweisung zur Überlebensfrage.
In den USA inspirierten die Stones, Kinks und Yardbirds eine unverblümte maskuline Horde an Nachahmerbands aus dem Garage Punk, die die sexuelle Aggression des Blues noch verstärkten. Die Resultate waren so erheiternd wie lächerlich. Einige Garage-Bands – The Count Five, The Seeds, The Standells, ? and the Mysterians, The Castaways – kamen in die Charts. Die extremeren Gruppen (was die musikalische Primitivität und die misogyne Angriffslust angeht) waren die obskuren, erfolglosen Punks, deren Songs in den 1980ern schließlich auf Compilations wie den Pebbles-, Mindrocker- und Back from the Grave-Reihen auftauchten.
Wie bei so vielen anderen Rock-Subgenres auch, setzte eine Dynamik ein, bei der die Extremität immer weiter in die Höhe getrieben und schließlich zur Selbstparodie wurde. Der Song »No Good Woman« der Band The Tree zum Beispiel gleicht einer grotesken Lawine an Beleidigungen gegen ein untreues, undankbares Mädchen. Der Protagonist hat ihr einen Cadillac gekauft und trotzdem behandelt sie ihn schlecht – »for 69 years«. Während er Beschimpfung an Beschimpfung reiht, fragt man sich, warum er sich überhaupt die Mühe macht: »You’re ugly and you’re fat and you’ve got no teeth«. Ein weiteres häufiges Szenario ist die Herabsetzung der frigiden, hochnäsigen »Miss High and Mighty«, die dem Sänger keine Befriedigung gönnt, etwa in »Action Woman« von The Litter. Songs über »reiche Schlampen« kombinierten Klassen-Antagonismus mit sexuellem Unmut, und das auf beiden Seiten des Atlantiks. Der Stones-Song »19th Nervous Breakdown« von 1966 verspottet eine neurotische Debütantin, indem er sie mit ihrer nachlässigen Mutter und ihrem schwerreichen Vater konfrontiert, während John’s Children in »Desdemona« ein verklemmtes Mädchen aus der Oberschicht ersuchen, den Slip fallen zu lassen und Teil der Revolution zu werden: »lift up your skirt and fly«. Im britischen Mod und dem amerikanischen Garage Punk herrschte der ewige Doppelstandard: »Tust du’s nicht, bist du eine Spießerin, tust du’s, bist du eine Schlampe.« Mädchen waren entweder hinterhältige Huren oder fridige Langweilerinnen. Die männlichen Protagonisten dieser Songs hingegen sind wilde Gesetzesbrecher, schlafende Vulkane voll aufgestautem Testosteron und/oder Opfer weiblicher Intrigen. Offensichtlich waren Mod und Garage eng verbunden mit dem Frust männlicher Jugendlicher, die ihre Jungfräulichkeit noch nicht verloren hatten.
Aus amerikanischem Garage Punk und britischem R&B entstand zuerst Heavy Rock und dann Heavy Metal. Mit jeder dieser Entwicklungsstufen wurde die Form des Blues stärker verfälscht. Sein selbstbewusster Stolz wurde zum phallokratischen Overkill. Aus Muddy Waters’ »You Need Love« (1963) wird, wie es Charles Shaar Murray ausdrückte, die »thermonukleare Massenvergewaltigung« von Led Zeppelins »Whole Lotta Love« (1969). Doch Garage Punk und Mod waren auch der Ursprung von Punkrock. Tatsächlich war Punk eine Art asexueller Verwandter von Metal: Cock-Rock, wobei der cock, der Pimmel, durch eine pauschalisierte Paranoia vor Kastration (an der die Gesellschaft Schuld hat) ersetzt wurde. Musikalisch unterdrückte Punk die Überbleibsel der Synkopierungen des Blues, die im Heavy Metal überlebten, und verwandelte Rock in einen martialischen Beat für alle, die sich im Krieg gegen den Status quo befanden. Die boshafte Heftigkeit von Punk stammte aber letztlich vom frauenfeindlichen weißen Blues der 1960er. Ihre ersten Lektionen in Ungehorsam und Verachtung lernten die Sex Pistols, indem sie krude Versionen von Mod-Songs wie »Stepping Stone« und »Don’t Give Me No Lip Child« spielten. Wie man die Ablehnung der Gesellschaft in Rocksongs ausdrücken konnte, lernten sie von Songs über die Ablehnung von Frauen. Gelegentlich kehrten die Pistols zur Quelle zurück, etwa auf der brillanten B-Seite »Satellite«, einer beißenden Tirade gegen eine Mitläuferin, die aussieht wie eine »fat pink baked bean«.
DIE TEUFLISCHE FRAU
Eines der Lieblingsthemen im Heavy Metal wurde bereits 1966 von John’s Childrens »Smashed Block« vorweggenommen: die Frau als verhexend, bezaubernd, als Meisterin der Illusionen. Das liebeskranke Geflüster des Sängers wird von einem schwindelerregenden Strudel aus psychedelischen Sounds verschlungen, sein Verstand von einem Karussell der Verwirrung herumgewirbelt: »Where is the love I thought I’d found?« Liebe bedeutet Desorientierung, Debilität und Paralyse. Led Zeppelins »Dazed and Confused« (von der 1969er-Debüt-LP) bietet die definitive Version dieses Szenarios. Zwischen den unheilvollen Glissandos der Blues-Gitarre und einer lasziven Bassline erhebt sich eine Grabstätte, die Robert Plants schmachtendem Gestöhne und gequältem Geschrei Raum bietet. Plant liegt auf dem »killing floor« – eine gängige Blues-Metapher, die sich ursprünglich auf Schlachthäuser bezog. Sein Verstand ist vom schwindelerregenden Duft der Weiblichkeit umnebelt worden. Er steht an der Schwelle des Todes, schlaff und entkräftet, bis er und seine Musik es noch einmal darauf anlegen, sich aus dem Pfuhl der Verzweiflung freizukämpfen. Doch es nützt alles nichts: Die Riffmanie versinkt wieder im Moder, während Plant stöhnend und wimmernd seine letzten Sterbenslaute von sich gibt.
Das Motiv taucht 1971 auf Led Zeppelins unbetiteltem vierten Album wieder auf. In »Black Dog« ist Plant von Sehnsucht zerfressen; er schlottert und zittert wie auf kaltem Entzug, der bombastische, mörderische Riff charakterisiert Sex als zermürbende Qual. Wieder liegt Plant am Boden, diesmal finanziell und emotional,3