Der Großteil des Publikums hätte in den 70ern Stammgast des CBGB’s sein können: alternde Rebellen, kahl werdende Rock-Fotografen, Gesichter, die einem irgendwie aus Rockdokus bekannt vorkamen und eine bemerkenswerte Anzahl von Frauen in ihren Fünfzigern, die sich gut gehalten und die Gelegenheit ergriffen hatten, sich nach vielen Jahren wieder mal als Rock’n’Roll-Bräute zurechtzumachen. An der Wand hingen gerahmte Poster der Ramones und der Plasmatics. Als ein Pulk Youngster hereinschlenderte, waren Überraschung und Anspannung deutlich zu spüren: Diese stylishen 20-Jährigen wirkten so deplaziert wie Rentner auf einem Rave.
Nach einer langen Wartezeit schlichen die Dolls 2.0 endlich auf die Bühne: Johansen sah in einem marineblauen Samtjackett, einem weißen Rüschen-Hemd und einem Leoparden-Schal elegant aus wie eh und je, und Sylvain glich einer tuntigen Mischung aus Pierrot und Kobold. Die neuen Rekruten der Band waren eine Generation jünger, aber immer noch ziemlich alt, und trugen diesen Rock’n’Roll-Look zur Schau, der irgendwo zwischen dem Sunset Strip und Soho entstanden ist, mit Schals, breitkrempigen Hüten und hautengen Hosen. Es war relativ schnell klar, dass uns keine magische Zeitreise ins Mercer Theater um 1972 bevorstand: Nicht nur, dass die Band keine Frauenkleider, High-Heels und Perücken trug, sie spielten auch kein einziges klassisches Dolls-Lied. Stattdessen nudelten sie hartnäckig ihr neues Album herunter, sie klangen nicht wie die ungestümen, dreckigen Dolls aus dem Punk-Mythos, sondern wie eine tighte, langweilige Hard-Rock-Band.
Als ich sie 2009 hörte, war ich überrascht, wie gering der Unterschied zwischen den Dolls und anderen vom Blues beeinflussten Rock-Bands der 70er wie The Faces, Grand Funk Railroad und ZZ Top im Nachhinein war, die Arenen gefüllt und Millionen Platten verkauft hatten. Der Unterschied bestand lediglich in den spielerischen Defiziten der Dolls und ihrer Haltung, die eine Mischung aus bissiger Gemeinheit und übertriebenem Camp war. Diese kleine aber entscheidende Differenz schuf den Raum, in dem Punk entstand. Jahrzehnte später scheint diese Differenz, die einmal so bedeutungsvoll war, unwiederbringlich verloren zu sein. In den scherzhaften Ansagen Johansens klang etwas dieser Haltung nach: »Ich würde behaupten, dass wir so gut wie The Seeds sind«, alberte er, oder: »Eines Tages wird das alles nur noch eine Erinnerung sein.« Aber sein Humor wurde bitterer, als der Band nach und nach klar wurde, dass das Publikum nicht auf das neue Material stand und nur die alten Lieder hören wollte. Johansen wurde aufgrund der verhaltenen Reaktionen gehässig: »Ihr seid doch noch nicht tot, oder?« Sylvain sah aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. Nachdem sie die Bühne verlassen hatten, kam die Band trotzdem für eine Zugabe zurück – Johansen murmelte bitter: »Ich weiß gar nicht, wieso wir wieder hier sind, ihr jubelt ja nicht mal« – und spielte eine Note für Note perfekte Wiedergabe von »Trash«. Leider war es nicht das »Trash« vom Debüt, sondern die missglückte Reggae-Version vom neuen Album. Das war eines der traurigsten Spektakel, das ich je erlebt habe.
Die Weigerung der Dolls, ihr alterndes Publikum zu befriedigen, ihr stures Beharren darauf, brandneue Songs zu spielen, war wahrscheinlich ein Ausdruck ihres Stolzes. Sie trotzten dem Schicksal, das beinahe jeder Band droht, sobald ihre Glanzzeit vorbei ist. Der Ex-Strangler Hugh Cornwell beschrieb das treffend: »Wir sind jetzt alle Tribute-Bands. Wenn man nur noch die alten Sachen spielt, ist man eine Tribute-Band. Ich schließe mich da selbst mit ein. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie es für einen jungen Menschen ist, der versucht, im Musikbusiness Fuß zu fassen – es muss ein Albtraum sein. Weil keiner der alten Säcke wie ich endlich aufgibt.« Cornwell steht gegenwärtig in Konkurrenz mit einer anderen »Tribute-Band«, die Rattus Norvegicus und No More Heroes-Songs spielt: Seine ihm entfremdeten Bandkollegen, mit denen er zerstritten ist, treten immer noch unter dem Namen The Stranglers auf, nur mit einem neuen Frontmann.
GESCHICHTE WIEDERHOLT SICH
Tribute-Bands haben einen der seltsamsten Trends der »Pop will repeat itself«-Kultur inspiriert: Den Reenactment-Wahn in der Kunstwelt. Iain Forsyth und Jane Pollard, die als Duo für dieses größtenteils britische Phänomen den Weg bereiteten, hatten bereits Arbeiten gemacht, die von ihrer Liebe zur Musik beeinflusst waren, als sie in den späten 90ern eine Ankündigung für eine Smiths-Cover-Band namens The Still Ills sahen. Zu der Zeit nährte sich der Tribute-Band-Wahn hauptsächlich aus Formationen wie den ABBA-Imitatoren Bjorn Again oder The Bootleg Beatles, die durch große Hallen tourten. Aber etwas an der Vorstellung von einer Coverband der Smiths, die beide verehrten, faszinierte Forsyth und Pollard und sie gingen zu einem Konzert der Still Ills im Süden Londons. »Es gab eine wirklich merkwürdige Diskrepanz zwischen der Band und dem Publikum«, erinnert sich Pollard. »Wenn man den Typen auf der Bühne mit denen in der ersten Reihe verglich, dann fiel auf, dass einige im Publikum eher nach Morrissey aussahen als er. Die hatten es drauf.«
Pollard und Forsyth betrachteten The Still Ills »als ein Readymade im Sinne Marcel Duchamps« und veranstalteten ein mäßig erfolgreiches Konzert mit der Band. Kurz darauf wurden sie von der Kuratorin Vivienne Gaskin eingeladen, die bald in der Kunstwelt die bedeutendste Figur hinter dem Reenactment-Boom in Großbritannien sein sollte, das Konzert im ICA zu wiederholen. Dieses zweite Konzert mit den Still Ills war konzeptuell besser durchdacht und zog mehr Publikum. Es fand am zehnten Jahrestag der Auflösung der Smiths 1987 statt. Forsyth und Pollard überredeten die Still Ills, sich ebenfalls aufzulösen. »Sie waren ziemlich ausgelaugt und dachten sowieso daran, alles hinzuwerfen und eine Pulp-Coverband zu werden, weil damit mehr zu holen war. Wir wussten auch, dass wir von der Öffentlichkeit die gewünschte Aufmerksamkeit bekämen und dass genug Leute kommen würden. Wir spürten, dass an diesem gespenstischen Tag etwas passieren würde.«
Forsyth und Pollard ließen sich ein paar »visuelle Gimmicks« einfallen, um das Gefühl der Zeitreise zu verstärken. Sie brachten eine Phalanx aus Fernsehern im Flur zum ICA-Konzertsaal an, auf denen Alternative-Music-Videos aus dem Jahr der Trennung der Smiths liefen und »wirklich nichts aus der Zeit nach ihrer Auflösung. Damit entstand das Gefühl, in einer Zeitschleife gefangen zu sein«. Forsyth und Pollard nahmen den Still-Ills-Sänger zu einem heruntergekommenen Greyhound-Bus in seinem Heimatort mit und schossen hunderte Morrissey-esker Fotos, die sie auf die Wände des Veranstaltungsortes projizierten. »Und wir legten Tonnen von Blumen vorne auf die Bühne, in der Hoffnung, das Publikum würde sie nehmen und wie bei den frühen Smiths-Gigs schwenken.« Sie beschrieben die Atmosphäre als aufgeladen, eine bizarre und intensive Katharsis der Smiths. »Es war völlig verrückt – sechshundert Personen, die soviel schwitzen, dass die Kamera, mit der wir das aufzeichnen wollten, durch die Kondensation kaputt ging. Erst das Publikum hat das Ganze auf eine andere Ebene gehoben: Sie rissen dem Sänger, als er sich zum Publikum vorbeugte, das T-Shirt vom Leib, und sie enterten mit etwa vierzig Leuten die Bühne.« Nach dem Konzert sah Vivienne Gaskin ein Mädchen auf den Stufen des ICA, das völlig geknickt war und sich die Seele aus dem Leib heulte. »Ich denke, das war das Gefühl des Verlustes«, sagt Pollard. Doch die Smiths hatten sich schon ein Jahrzehnt zuvor aufgelöst.
Forsyth und Pollard blieben ihrem Motto der orgiastischen Trauer treu und veranstalteten 1998 als nächstes A Rock’n’Roll Suicide, ein Reenactment des »Abschieds-Konzerts« von Ziggy Stardust im Juli 1973 – bei dem David Bowie sich von seinem Alter Ego verabschiedete – auf den Tag genau 25 Jahre nach diesem Ereignis. Die verschiedenen Facetten der Fälschung übten einen besonderen Reiz aus: Ein Schauspieler, der vorgab, den verrückten Schauspieler Bowie darzustellen, wie er seine eigene Meta-Rockstar-Figur Ziggy gab. Dieses Mal stellten Forsyth und Pollard ihre eigene Coverband zusammen. Anders