Holly Horowitz: eine Frau, ein Hintern! Sie drückte mich, dass mir die Luft wegblieb, ich bedankte mich und schon gab mir Holzauge seine Hand: »Wurde auch langsam mal Zeit, was? Na komm her, du halbe Portion!« Ich lachte und umarmte ihn, für ihn waren alle nur halbe Portionen: er sah ja von allem auch nur die Hälfte. Na ja, jetzt nicht wirklich. Aber er hatte sein linkes Auge bei Fällarbeiten verloren, lange her. Seit dem hatte er eben ein Glasauge und wenn man es nicht wusste, fiel es gar nicht auf. Er entließ mich wieder aus seinen Armen, jetzt war der Bart dran: »Tja, was soll ich sagen? Schön, das du da bist!« Er gab mir nur die Hand, aber das hatte nichts damit zu tun, dass er mich nicht mochte oder so. Nein, sein Bart war nur einfach einer Umarmung im Weg: der Weihnachtsmann wäre neidisch auf das Teil! Hinter ihm hatte sich Sandra eingereiht, einen Spitznamen hatte sie nicht. Alle nannten sie nur »die Schweigsame«, war auch kein Wunder. Denn bei dem Feuer von 2012, da verlor sie ihren Mann, Bill. Seit dem hat sie, zumindest soweit ich weiß, kein Wort mehr gesprochen. Sie nahm mich stumm, aber breit lächelnd in den Arm und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Konnte sie, sie war neben Dad der einzige Mensch, der das konnte: auch sie hatte gut 7 Fuß — 2 Meter — Länge. Dad kam dran, als sie mich entließ: »Alles Gute, Hase!« »Hättest ruhig was sagen können!«, schimpfte ich ein wenig, doch ernst meinte ich das nicht.
Ich ließ mich von ihm drücken und drückte feste zurück, da beschwerte sich Papa Bär: »Darf der Chef jetzt auch endlich mal?« Natürlich durfte er, ich ging etwas in die Hocke und ließ mich kurz umarmen. Er war wirklich der Vater der ganzen Truppe, deswegen nannten sie ihn auch so. Doch schon schob er mich von sich: »Nicht, dass das noch als Belästigung ausgelegt wird, was? Haha, na schön. Willkommen!« Ich wischte mir die Freudentränen aus dem Gesicht, schon schob mich Holly zu den Umkleiden: »Na komm mal mit, oder willst du etwa als Ranger im Kleid durch den Wald latschen?« Ich ließ mich schieben, konnte ich doch gar nicht fassen, was da eben alles passiert war! »Bin ich jetzt echt eingestellt?«, fragte ich deswegen leicht ungläubig, Holly verneinte zu meinem Bedauern: »Na ja, eigentlich ist es nur ein Praktikum. Der Einfachheit halber hat es Papa Bär über die Feiertage gelegt, schließlich musst du hier keinem mehr was beweisen. Hier, dein Spind. Aufschließen musst du schon selber.« Ich tat es, drinnen lag und hing, noch eingepackt, eine komplette Uniform mit allem Drum und Dran! Holly griff hinein und hielt mir die Jacke an: »Okay, ich bestell nochmal. Die ist dir eindeutig zu klein.«
Ich nahm ihr den Bügel aus der Hand: »Warten wir erstmal ab.« Sehr schnell wurde ich Kleid und Stiefel los, rupfte die Verpackungen auf und schlüpfte in meine Uniform. Aber Holly hatte recht, die Bluse und die Jacke hätten ruhig eine Nummer größer sein können. »Meinst du, das geht so?«, fragte ich sie und drehte mich im Kreis, ihre Antwort hatte ich schon erwartet: »Klar, für den ersten Tag. Oben platzt du zwar raus und die Hose ist ein bisschen kurz. Aber die Stiefel sind ja hoch genug, fällt nicht weiter auf. Von Papa Bär bekommst du jetzt noch den Rest deiner Ausrüstung und dann kann es ja losgehen, was?« Ich nickte fleißig und sah nochmal in den Spiegel, bevor ich mit Holly wieder hinaus ging. Draußen wurde ich schon vom Chef erwartet, er nahm mich mit in die Rüstkammer und drückte mir ein paar Teile in die Hand: »Funkgerät, Handfesseln, Pfefferspray, Erste-Hilfe-Päckchen, Taschenlampe, Notizblock, Stift, Namensschild. Alles verstaut? Gut. Jetzt das Wichtigste.« Er schloss den großen Stahlschrank zu seiner Linken auf und ich protestierte: »Du willst mir jetzt nicht ernsthaft eine Waffe andrehen, oder?« Er blickte mich von oben nach unten und zurück an, dann kam gewichtig: »Sehe ich so aus!? Das wird nur die tägliche Kontrolle, weil ich gerade hier bin. Nicht, dass noch was fehlt. Du hast deinen Vater zu deinem Schutz und in der allergrößten Not das Gewehr im Auto. Eine Pistole darfst du gar nicht haben in deinem Alter.« Ich nickte nur, Gott sei Dank gab er mir kein Schießeisen! Nicht etwa, dass ich keines wollte. Aber ich kannte die Vorschriften genauso gut wie er, hatte ich sie doch in den letzten Monaten fast auswendig gelernt. Er nickte auch, das galt aber eher dem Inhalt des Schrankes und nicht mir. Schon gingen wir wieder zurück zu den Anderen in den Aufenthaltsraum.
Entgegen meiner Erwartung war da aber nur Dad, auch Holly verabschiedete sich gleich nach draußen. »Und jetzt?«, wollte ich von Dad wissen, der stand auf und sagte es mir: »Wir machen jetzt einen Ausflug in den Baumarkt, dann gehe ich mit meiner Lieblingstochter essen und dann fahren wir wieder heim. Was hältst du davon?« Sein Plan gefiel mir: »Gute Idee. Aber musst du nicht arbeiten?« »Sieht der ernsthaft so aus, als würde er jemals arbeiten?«, tönte Papa Bär spielerisch verächtlich hinter mir, ich drehte mich zu ihm um: »Nein, nicht wirklich. Ein Wunder, dass du ihn noch nicht gefeuert hast.« »Kann er nicht, ich weiß zuviel«, brummte mir Dad ins Ohr und ging an mir vorbei nach draußen: »Ich warte im Wagen, ja?« Ich nickte, den wahren Grund für die Freizeit teilte mir Papa Bär mit: »Hör mal, Große: Butler hat sich richtig ins Zeug gelegt, um dich unterzubringen. Ich weiß nicht, wie er es geschafft hat. Aber ich war von Anfang an dafür, okay? Du bist hier als Freiwillige, um uns über die Feiertage zu unterstützen. Butler hat Urlaub, also teile ich dich ihm zu. Ich weiß von deinen Anstrengungen, hierher zu kommen, also ist das hier so eine Art Praktikum für dich. Das Ministerium hat dich nämlich schon wieder abgelehnt, hab ich ja vorhin schon gesagt. Nicht traurig sein. Mach deine Schule zu Ende, geh aufs College und dann bewirb dich nochmal. Und so lange bleibst du eben als Freiwillige hier und tust, was du kannst. Wenn du Zeit hast, okay?« Ich hatte leicht feuchte Augen, ob von der Enttäuschung aus Washington oder der Freude, dass ich trotzdem hier sein durfte, wusste ich nicht. War mir aber auch egal, ich machte die zwei Schritte und umarmte Papa Bär: »Danke.« »Ach, ist schon gut«, antwortete er und erwiderte meine Umarmung, »jetzt gehst du aber zu deinem Dad und hast ein schönes Fest, ja?« Ich ließ ihn los und ging, die Tränchen wischte ich heimlich weg. Papa Bär seine auch.
Als ich zur Tür hinaus auf den Hof ging, hatte ich schon wieder ein Lächeln im Gesicht. Gangsta auch, als er mir leise neben seinem Wagen stehend nachpfiff. Sofort bekam er von Sandra eine übergebraten, Holly lachte laut los und stieg in ihr Auto zum Bart. Holzauge winkte mir aus der Werkstatt zum Abschied, ich quittierte es mit einem Handkuss und stieg bei Dad ein: »So, von mir aus kanns losgehen! Partner.« »Dann wollen wir das auch mal tun! Partner.« Er hielt mir seine Faust hin und ich drückte meine dagegen. Mit wackelnden Fingern ließen wir los und lachten, dann zeigte Dad auf das Funkgerät: »Dein erster Job, Partner.« Ich grinste, griff nach dem Mikro und drückte die Sprechtaste: »Zentrale, Vier, auf dem Weg.« »Verstanden Vier. Viel Spaß!«, kam von Papa Bär gleich zurück, hupend und aus den Fenstern winkend verließen wir die Station.
Von dort bis zum Baumarkt war es nicht weit, schon eine Dreiviertelstunde später waren wir da und kauften, was wir für unser Projekt noch brauchten. Dad hatte es sich nämlich schon vor Jahren in den Kopf gesetzt, eine alte Rangerhütte im Stil der Fünfzigerjahre wiederherzurichten. Gebaut war sie schnell, doch das Einrichten dauerte jetzt schon eine Ewigkeit! Aber es ging nicht anders, Dad war da sehr genau. Wenn es Telefon, Bleistift oder Karte an der Wand in den Fünfzigern nicht gab, dann kam es nicht rein. Punkt. Ich hatte auch meinen Teil zur Ausstattung beigetragen: einen original Pinupkalender von 1953. Da waren schon ein paar ganz heiße Feger dabei! Dad hatte erst mit mir geschimpft, aber das heimliche Durchblättern hinter meinem Rücken konnte er sich dann doch nicht verkneifen. Jetzt kauften wir aber nur zwei Pakete Schindeln und einen Sack Nägel. Falls im Winter was kaputt ginge, wäre es gleich oben.
Der Krempel war schnell verstaut und wir machten uns auf den Weg in die Innenstadt. Wir wollten schließlich schick essen gehen! Doch irgendwie fühlte ich mich in meiner Uniform doch etwas unwohl, also schlug Dad das Montana Club vor und ich sagte zu. Nicht so fein wie Casagrandes oder das Park, aber lecker! Wir drehten um und kamen nicht weiter, weil ein Getränkelaster vor uns die Straße blockierte. Hinter uns die Ampel war noch nicht grün, die Gegenspur damit dicht und so warteten wir eben. Ich sah ein bisschen in der Gegend herum, nichts Besonderes, was meine Aufmerksamkeit erregte. Doch dann …
Ein dunkelbrauner Schopf auf einem Fahrersitz, reichlich klein. Tief geduckt, ganz, als wolle sie nicht gesehen werden, tuckerte sie langsam an uns vorbei. In einem alten Ford Bronco, der bald schon auseinanderfiel. Ich zeigte ihn Dad: »Kuck mal: zieh das Klebeband von der Tür und das Ding fällt zusammen.« Er lachte, der Ford brummte von dannen,