Als wir auf Altenstein ankamen, wo ich eigentlich übernachten wollte, schallte mir im Gasthaus bekanntes Gelächter entgegen. Da waren sie wieder, die Meißner Professorenpaare – aber in einer halben Stunde reisten sie weiter. Wir fanden es wieder lustig uns hier zu begegnen und nannten uns fortan nur die Thüringer Waldmenschen. Indessen, auch sie, obwohl an meine kleinen Extravaganzen gewöhnt, fanden es doch mindestens – komisch, daß ich mutterseelen allein mit meinem eigenen Geschirr reiste, indeß gab ich ihnen Grüße in die Heimath mit und that ganz heldenhaft, ließ mir von ihnen noch den Weg zur Riesen-Aerlsharfe beschreiben und lehnte nun jede andere Führerschaft dahin ab. Ich hatte auf Altenstein übernachten wollen – da aber der Herzog von Meiningen im Schloß anwesend, war das Hôtel von seinem Gefolge in Anspruch genommen und ich mußte nach Liebenstein fahren. Dort kehrte ich im Kurhaus ein. Es war Sonntag gegen Abend, als ich da vor einem geputzten Conzertpublikum sehr bestäubt von der Reise, abstieg, mein Pferd, während es der Kutscher ausschirrte mit Zucker fütterte und streichelte und dann meinen Thee an einen noch unbesetzten Tisch vor dem Kurhaus einnahm. Ein Herr in den mittleren Jahren – da ich damals selbst jung war, rubricirte ich ihn zwischen 40 und 50 und darum ohne Weiteres als »alt« – eine vornehme Erscheinung, die ein Ordensstern vervollständigte, begrüßte mich artig als neuangekommenen Kurgast und nahm an meinem Tische Platz. Ich sah darin nur eine Badefreiheit, das Gespräch drehte sich um die Gegend, ich fragte wie wie weit es nach der Burgruine sei? Er meinte, nur eine Viertelstunde. Dann kann ich ja die Partie noch heute machen und »oben die Sonne untergehen sehen«, sagte ich, stand auf und ging mit kurzem Gruß davon. Es war mir auf dem einsamen Promenadenwege doch wohler, als unter den bunten Menschenschwarm. Aber meine Einsamkeit dauerte nicht lange. Der Ordensherr tauchte plötzlich hinter mir auf und bat um Erlaubniß, mich zu begleiten, ich würde den Weg allein im Walde wohl nicht finden. Was konnte ich dagegen thun? Er war ja ein »alter« Herr und gewiß gingen viele Leute dieses Weges, es war wohl herkömmliche Badesitte und Freiheit. Ja, aber alle Spaziergänger begegneten uns nur, des gleichen Weges ging Niemand, schon begann es zu dämmern, der Fremde ersuchte mich, vom Steigen auf einer Bank zu ruhen, da ich schwer athmete, er setzte sich neben mich, nahm jetzt einen zärtlichen Ton an und wollte meine Hand küssen, ich sprang auf, rief nur: »Sie täuschen sich in mir!« und lief hastig denselben Weg zurück und hinunter. Zitternd und wüthend ging ich in mein Zimmer und verließ es bis zum andern Tag nicht wieder – von dem Kellner erfuhr ich, daß der Weg zur Ruine viel weiter war und ich sie also nur im Dunkeln hätte erreichen können – dann fragte ich auch nach dem Herrn mit dem Orden – es war in der That ein vornehmer Herr am Hofe eines Kleinstaates – so viel ich weiß, lebt er nicht mehr. – Ich dachte wieder an meine Tante – war es denn in der That nur einer Abenteuerin, als welche ich ja wohl erschien, vergönnt, in Gottes schöner Welt sich umzusehen? und welches Recht haben die Männer, uns nur unter dem Gesichtspunkt zu betrachten, ob es ihnen wohl vergönnt ist, ein unwürdiges Spiel mit uns zu treiben, wenn wir gerade im Bewußtsein unsrer sittlichen und weiblichen Würde, keines fremden Schutzes bedürfen und es verschmähen, immer eine Ehrendame oder einen Vormund und Wächter an unsrer Seite zu haben? Wie erbitterte mich schon damals eine solche Erniedrigung unseres Geschlechtes! Aber sei es wie es immer sei – ich wollte diesen albernen Vorurtheil keine Concessionen machen, diese Erniedrigung nicht auf mich nehmen.
Noch in mädchenhafter Entrüstung und nach einer schlaflosen Nacht verließ ich Liebenstein – wie edel erschien mir mein Kutscher dem Ordensherrn gegenüber! Dem Manne aus dem Volke konnte ich meine Person tagelang vertrauen – der feine Cavalier hatte keine Stunde gebraucht, meinen Abscheu hervorzurufen, mich tief zu beleidigen. Als dann auf der abschüssigen Chaussee das Pferd einen Seitentritt trat und plötzlich unter der Deichsel lag, eine kräftige Thüringerin herzusprang und mir aus dem Wagen half, Burschen herzukamen, Pferd und Wagen wieder auf- und einzurichten, da wollte dieser Schreck lange nicht so viel besagen wie jener – im Gegentheil: er zeigte mir das Volk von seiner liebenswürdigsten Seite, überall boten sich helfende Hände und freundliche Worte. Der Vorfall hatte nicht viel zu besagen, das Thier kam bald wieder auf die Beine und ich in den Wagen. Ich hatte nach Schweina bei Glücksburg schicken lassen, daß die dortige Höhle Jemand zu sehen wünsche. »Eine Herrschaft« war wieder der übliche Ausdruck gewesen, und wieder ward ich auch dort gefragt: wo die Herrschaft sei? und als ich sagte, daß die Bestellung von mir komme, ob ich nicht warten wolle bis Gesellschaft komme? Ich erklärte, daß ich das Uebliche allein bezahlen würde und eben Gott danke, wenn ich dafür auch allein sei – und ich war allein in dieser Unterwelt mit zwei halbwüchsigen