Louise Otto: Frauenbewegung Essays, Romane, Biografien & Gedichte. Louise Otto. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Louise Otto
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027204908
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und schrie mich mit Stentorstimme an: »Wo ist denn die Herrschaft, die ich zwei Tage fahren soll?« Ich mußte die Antwort: »ich bin's!« ein paar mal wiederholen, ehe er sie begriff und da ich, ungewohnt mit fremden Kutschern, besonders wie dieser im Genre der Fuhrleute, zu unterhandeln, leise und schüchterne Antworten gab, sein Jarjon und seine Rechnung auch nicht recht verstand, sagte er ärgerlich: »Kann ich denn nicht lieber mit dem Herrn sprechen?« In der Ueberzeugung, er meine den Wirth des Hôtels, sagte ich, so möge er ihn rufen, da er doch wohl von ihm auf mein Zimmer geschickt sei. »Ich meine den Herrn, der mitfährt!« polterte der Kutscher, ich dachte der Schlag rühre mich bei dieser Antwort: »Ich fahre allein oder gar nicht!« rief ich mit vor Zorn zitternder Stimme. »Ich will den Thüringer Wald genießen und nun macht es kurz: wollt Ihr mich fahren oder nicht?« »Ja wenn das Mamsellchen allein ist – mir kanns recht sein – aber passirt ist mir das noch nicht, da müssen's schon verzeihen!« und nun wurden wir Handelseinig und die Wogen meiner Aufregung legten sich um so mehr, als ich vernahm, daß er eben der Fuhrwerksbesitzer war und mich nicht selbst fahren, sondern mir seinen besten Knecht schicken wollte, der mich recht beschützen und mir alles Sehenswerthe zeigen werde. Damit meint ich aus der Verlegenheit heraus zu sein. Ich hatte ja schon sehr an die gute bedenkliche Tante gedacht! Der Knecht aber war nun nach seiner Weise gemüthlich, als er am frühen Morgen peitschenknallend erschien. »Der Herr hat's mir schon gesagt, daß ich heut' was Appartes zu fahren krieche« führte er sich ein, nun ich werd's schon gut machen! Und als ich nun so seelenallein im Einspänner, der Kutscher vor mir, zur Stadt hinausrollte in die Morgenfrühe und in den Wald hinein, wo die Morgennebel wie weißer Dampf in den Schluchten am Nadelholz hingen, und prismatisch flimmernde Thautropfen wie aufgeschichtete Edelsteine im Moose glänzten, bald kein Mensch mehr uns begegnete – da bekam ich erst wieder Herzklopfen von den Mahnungen der Tante – wie war ich so fern vom Hause, in vollständiger Einsamkeit und eigentlich auf Gnade und Ungnade einem fremden Mann in der Fremde übergeben! Aber der Mann war ja ein Kutscher! er hatte auf sein Pferd, seinen Wagen zu achten – ich war ein thörichtes Kind mit meiner Angst. Sie verschwand auch – und als ich in Neinhardsbrunn ankam, genoß ich dort ganz den Anblick dieser »silbernen Perle in grüner Muschel« – und um so zauberhafter lag das Schlößchen da, als gerade ein Regenbogen über den See und seinen darinrudernden Schwänen sich wölbte. Damals war auch Friedrichsroda, worin jetzt die fremden als Sommerfrischler so zu sagen über- und aufeinander sitzen, daß es unmöglich ist ihnen auszuweichen, nur ein harmloses Walddorf, darin nur die Thüringer Wald-Reisenden, besonders die Besucher des Inselberges, einen kurzen Aufenthalt nahmen. In Reinhardsbruun aber weilte gerade die Königin Victoria von England – ich sah sie von fern auf einem Altan des Schlosses stehen; nur weil es englischer Sonntag, sei sie müssig, erklärte man mir, sonst sehe man sie oft auf einer Gartenbank sitzen und – Strümpfe stopfen für ihre Kinder. – Mir erschien dies doch sehr forcirte Mutterliebe für eine Königin! In Wilhelmsthal ward ich wieder an sie erinnert. Der Kutscher, der sich dort in gemüthlicher Thüringer Manier mit seinem Bierkrug an denselben Gartentisch zu mir setzte, daran ich vor dem Hôtel meinen Kaffee einnahm, flüsterte mir zu: »Man habe ihn gefragt, ob ich nicht vom Hofstaat der englischen Königin sei oder ob ich eine Audienz bei ihr gehabt – ?« »Wohl um einen Bettelbrief abzugeben?« warf ich hohnlächelnd ein. Der Kutscher meinte, er habe längst erzählt, daß ich nur zum Vergnügen durch den Wald fahre und eine reiche Dame aus Sachsen sei – ans Sachsen! ich dachte an Minna von Barnhelm und erschrak nun wieder über das »reich.« Wenn man zu dieser Vermuthung kam, konnte man mich ja um dieses sonderbaren Verdachtes willen auf der einsamen Fahrt erschlagen oder ich war damit doch der gemüthlichen Thüringer Prellerei verfallen, obwohl sie damals noch nicht ihren jetzigen Höhepunkt erreicht hatte. »Sagen sie doch den Leuten: ich sei weiter nichts als ein deutsches Mädchen und besäße auch weiter nichts als meine Gedichte und das sei ein Reichthum, der leider für Niemand werth habe als für mich selbst.«

      Als wir auf Altenstein ankamen, wo ich eigentlich übernachten wollte, schallte mir im Gasthaus bekanntes Gelächter entgegen. Da waren sie wieder, die Meißner Professorenpaare – aber in einer halben Stunde reisten sie weiter. Wir fanden es wieder lustig uns hier zu begegnen und nannten uns fortan nur die Thüringer Waldmenschen. Indessen, auch sie, obwohl an meine kleinen Extravaganzen gewöhnt, fanden es doch mindestens – komisch, daß ich mutterseelen allein mit meinem eigenen Geschirr reiste, indeß gab ich ihnen Grüße in die Heimath mit und that ganz heldenhaft, ließ mir von ihnen noch den Weg zur Riesen-Aerlsharfe beschreiben und lehnte nun jede andere Führerschaft dahin ab. Ich hatte auf Altenstein übernachten wollen – da aber der Herzog von Meiningen im Schloß anwesend, war das Hôtel von seinem Gefolge in Anspruch genommen und ich mußte nach Liebenstein fahren. Dort kehrte ich im Kurhaus ein. Es war Sonntag gegen Abend, als ich da vor einem geputzten Conzertpublikum sehr bestäubt von der Reise, abstieg, mein Pferd, während es der Kutscher ausschirrte mit Zucker fütterte und streichelte und dann meinen Thee an einen noch unbesetzten Tisch vor dem Kurhaus einnahm. Ein Herr in den mittleren Jahren – da ich damals selbst jung war, rubricirte ich ihn zwischen 40 und 50 und darum ohne Weiteres als »alt« – eine vornehme Erscheinung, die ein Ordensstern vervollständigte, begrüßte mich artig als neuangekommenen Kurgast und nahm an meinem Tische Platz. Ich sah darin nur eine Badefreiheit, das Gespräch drehte sich um die Gegend, ich fragte wie wie weit es nach der Burgruine sei? Er meinte, nur eine Viertelstunde. Dann kann ich ja die Partie noch heute machen und »oben die Sonne untergehen sehen«, sagte ich, stand auf und ging mit kurzem Gruß davon. Es war mir auf dem einsamen Promenadenwege doch wohler, als unter den bunten Menschenschwarm. Aber meine Einsamkeit dauerte nicht lange. Der Ordensherr tauchte plötzlich hinter mir auf und bat um Erlaubniß, mich zu begleiten, ich würde den Weg allein im Walde wohl nicht finden. Was konnte ich dagegen thun? Er war ja ein »alter« Herr und gewiß gingen viele Leute dieses Weges, es war wohl herkömmliche Badesitte und Freiheit. Ja, aber alle Spaziergänger begegneten uns nur, des gleichen Weges ging Niemand, schon begann es zu dämmern, der Fremde ersuchte mich, vom Steigen auf einer Bank zu ruhen, da ich schwer athmete, er setzte sich neben mich, nahm jetzt einen zärtlichen Ton an und wollte meine Hand küssen, ich sprang auf, rief nur: »Sie täuschen sich in mir!« und lief hastig denselben Weg zurück und hinunter. Zitternd und wüthend ging ich in mein Zimmer und verließ es bis zum andern Tag nicht wieder – von dem Kellner erfuhr ich, daß der Weg zur Ruine viel weiter war und ich sie also nur im Dunkeln hätte erreichen können – dann fragte ich auch nach dem Herrn mit dem Orden – es war in der That ein vornehmer Herr am Hofe eines Kleinstaates – so viel ich weiß, lebt er nicht mehr. – Ich dachte wieder an meine Tante – war es denn in der That nur einer Abenteuerin, als welche ich ja wohl erschien, vergönnt, in Gottes schöner Welt sich umzusehen? und welches Recht haben die Männer, uns nur unter dem Gesichtspunkt zu betrachten, ob es ihnen wohl vergönnt ist, ein unwürdiges Spiel mit uns zu treiben, wenn wir gerade im Bewußtsein unsrer sittlichen und weiblichen Würde, keines fremden Schutzes bedürfen und es verschmähen, immer eine Ehrendame oder einen Vormund und Wächter an unsrer Seite zu haben? Wie erbitterte mich schon damals eine solche Erniedrigung unseres Geschlechtes! Aber sei es wie es immer sei – ich wollte diesen albernen Vorurtheil keine Concessionen machen, diese Erniedrigung nicht auf mich nehmen.

      Noch in mädchenhafter Entrüstung und nach einer schlaflosen Nacht verließ ich Liebenstein – wie edel erschien mir mein Kutscher dem Ordensherrn gegenüber! Dem Manne aus dem Volke konnte ich meine Person tagelang vertrauen – der feine Cavalier hatte keine Stunde gebraucht, meinen Abscheu hervorzurufen, mich tief zu beleidigen. Als dann auf der abschüssigen Chaussee das Pferd einen Seitentritt trat und plötzlich unter der Deichsel lag, eine kräftige Thüringerin herzusprang und mir aus dem Wagen half, Burschen herzukamen, Pferd und Wagen wieder auf- und einzurichten, da wollte dieser Schreck lange nicht so viel besagen wie jener – im Gegentheil: er zeigte mir das Volk von seiner liebenswürdigsten Seite, überall boten sich helfende Hände und freundliche Worte. Der Vorfall hatte nicht viel zu besagen, das Thier kam bald wieder auf die Beine und ich in den Wagen. Ich hatte nach Schweina bei Glücksburg schicken lassen, daß die dortige Höhle Jemand zu sehen wünsche. »Eine Herrschaft« war wieder der übliche Ausdruck gewesen, und wieder ward ich auch dort gefragt: wo die Herrschaft sei? und als ich sagte, daß die Bestellung von mir komme, ob ich nicht warten wolle bis Gesellschaft komme? Ich erklärte, daß ich das Uebliche allein bezahlen würde und eben Gott danke, wenn ich dafür auch allein sei – und ich war allein in dieser Unterwelt mit zwei halbwüchsigen