Louise Otto: Frauenbewegung Essays, Romane, Biografien & Gedichte. Louise Otto. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Louise Otto
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027204908
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wenn doch vielleicht noch ein menschliches Wesen in der Nähe sei – schwül und endlos erschien Weg und Zeit – aber da kamen Stufen, dort oben lag die Burg! Ich athmete auf, bat in meinem Herzen meinem Führer jeden Verdacht ab und gab ihm ein reichliches Trinkgeld, das er freudestrahlend nahm – nur darum war es dem armen Holzfäller zu thun gewesen.

      Damals war eben Ernst Bandel mit der Idee des Hermanndenkmals aufgetaucht – in der Keule des »Herkules« wieß man hinüber nach dem Teutoburger Wald. Dorthin solle der Hermann zu stehen kommen – und die beiden mächtigen Gestalten würden einander grüßen können. Wie Wenige glaubten damals daran! Wie konnte aber auch Jemand etwas ahnen von dem Humor der Weltgeschichte, daß erst ein Napoleon Kaiser und dann Gefangener von Wilhelmshöh werden mußte, ehe das Hermannsdenkmal vollendet, aufgerichtet und würdig geweiht werden konnte! Das kleine Dampfschiff, das mich auf der Weser von Münden bis zur Porta stromab trug, hieß »Germania« und eine Büchse zur Sammlung für das erwähnte Denkmal befand sich am Cajüteneingang. Ich steckte mein Scherflein hinein, aber die meisten lächelten darüber und sagten es sei eine romantische Grille. Ich sang in meinem »Weserlied«:

      Ist denn kein Hermann da?

       Kein Hermann und keine Germanen

       Zu Schutz und Trutz bewehrt,

       Die heilge Freiheit der Ahnen

       Zu wahren mit dem Schwert?

      Wie wunderte man sich auch auf dem Dampfschiff über die allein reisende junge Dame und meinte, ich wolle irgendwo in Bremen oder sonst mich einer auswandernden Familie zugesellen!

      Von Hannover an gab es dann Eisenbahn und da war ja das Reisen ziemlich so wie jetzt, nur hatte man noch keine Damenconpees eingerichtet – sie sind erst in neuerer Zeit eingeführt worden, – seitdem man sich eben nicht mehr wundert, daß Damen allein reisen.

      Ich habe dies hier so umständlich aus meinem eignen Jugendleben erzählt, um der jetzigen Generation zu zeigen, wie es noch vor dreißig Jahren gewaltig anders in der Welt war und wie, was mit Post u.s.w. eine große Reise, jetzt nur eine kleine Tour ist, zu der man kaum so viel Tage als damals Wochen brauchte. Zugleich mag auch daran sich nachweisen lassen – eine Mahnung die auch nicht schaden kann – wie man damals noch unter andern Gesichtspunkten, gleichsam weihevoller, reiste nicht nur um die Mode mit zu machen und auch mit sprechen zu können. Auch meine ich man kann nicht oft genug daran erinnern wie damals engherzige Menschen durch das Alleinreisen die Weiblichkeit gefährdet glaubten und eine gewisse Sorte von Männern geneigt war, solche Damen für vogelfrei zu halten, wie man also von allen Seiten die Frauen von jeden selbstständigen Schritt, jeden Sichselbstgenugsein, jeden kleinsten entschiednen Sich-auf-sich-selbst-stellen und verlassen zurückzuhalten suchte. Gerade auf diesem Gebiet ist die Welt eine ganz andere geworden.

      Ich reiste damals wie auch später, nicht um nach Stoffen zu jagen, nicht um bestimmte Studien zu machen, noch um zu dichten – ich reiste aus Liebe zu Gottes schöner Natur, zum deutschen Vaterlande, in reiner, fröhlicher Wanderlust und – um mindestens mir selbst und auch womöglich Andern beweisen zu können, daß auch Frauen dazu ein Recht hätten und nicht erst nöthig haben sollten, zu warten, bis ein Bruder oder später der Gemahl die Güte hätte, unter seinem Schirm sie mitzunehmen. Die deutschen jungen Männer – man war und ist ja noch heute so frech von »der deutschen Jugend« zu reden und dabei nur an Jünglinge, nicht auch an Jungfrauen zu denken – kannten ja kein schöneres Vergnügen und »Bildungsmittel« als zu reisen, warum sollte es den Frauen nicht zugänglich sein? – Freilich, damals wanderten jene noch gern mit dem Nänzchen und Knotenstock ihres Weges, was jetzt kaum noch auf der interessantesten Bergtour geschieht. Daß die Frauen gleiche Strapazen dieser Art wie die Männer aushalten, finden wir nicht für nöthig, obwohl viele es können – und eben darum wurden die Eisenschienen auch zum besten Hilfsmittel »neue Bahnen« einzuschlagen auch für die Frauen. Das Reisen ward dadurch gleich, und gleich leicht für beide Geschlechter.

      Wie man uns berichtet, betragen die Schienenwege auf dem Erdenrund jetzt schon mehr als 300,000 Kilometer – und am 27. September 1825 befuhr zum Erstenmale, wie damals ein Berichterstatter der »Times« meldet, »eine nur durch Dampf getriebene Maschine die ohne Pferde auf eisernen Schienen lief und noch 38 mit Kohlen beladene Wagen hinder sich herzog die 41 Kilometer lange Strecke von Stockton bis Darlington in England.« Dasselbe Blatt warnte vor den Uebertreibungen und Hoffnungen, die sich hieran knüpften, denn eine Verallgemeinerung dieser Einrichtung und eine Verbindung großer Strecken in solcher Weise anzunehmen sei doch Ueberspannung. – Freilich waren es nicht die Regierungen, noch Gelehrte, welche diese Unternehmungen weiter förderten, sondern einfache Gesellschaften von Privatunternehmern, die endlich Georg Stephensons Erfindung und Idee verwirklichten und der Menschheit nutzbar machten und bald in Belgien und Mitte der dreißiger Jahre auch in Deutschland in Angriff nahmen.

      Ich weiß, welche ernste Debatten und welche komische Geschichten von Mund zu Mund gingen, als die Leipzig-Dresdner Eisenbahn zu bauen beschlossen ward und als 1837 die ersten kleinen Anfangs und Endstrecken derselben: Leipzig – Machern und Dresden – Oberau befahren wurden, da war des Staunens kein Ende. Als dann im Frühling 1839 die Eröffnung erfolgte – da freute sich wohl Jedermann des gelungenen Wunders, aber man hielt doch nur solche Haupthandelswege wie gerade dieser einer war, solchen Unternehmen günstig und trotz aller Feierlichkeiten und allen Menschenzusammenfluß an den betreffenden Tagen. hatten die wenigsten Menschen eine Ahnung von. der Tragweite dieser Eröffnung. Ich war auch mit den Schwestern und Bekannten hinüber nach Oberan gefahren, diese Eröffnug zu sehen und den mit bunten Lampen erleuchteten Tunnel – ein neues Weltwunder. Ich liebte nie den Zusammenfluß von Menschen – aber ich vergesse die heiligen Schauer dieses Tages nicht, die da mein junges Mädchenherz bewegten!

      Ich war still unter der heiter scherzenden Gesellschaft – aber daheim konnte ich nicht eher schlafen bis ich ein Lied geschrieben »Einst und jetzt« mit den Schlußversen:

      Seht dort den Greis in dünnen Silberhaaren,

       Indeß die Wagen fliegen hört sein Flehen:

       »Nun Herr laß Deinen Knecht in Frieden fahren

       Nun er die Wunder dieses Tags gesehn!«

       Er ahnt es wohl, doch wußt er's nicht zu sagen

       Als ihn Bewunderung auf's Knie gesenkt:

       Es weht ein neuer Geist um diese Wagen, Der rastlos fort auf Eißenschienen drängt! Rings lärmt er auf zum rüstigen Bewegen Und dieses Läuten ruft: Habt Acht: habt Acht! Mit jeder Schiene, die sie weiter legen Wird neues Leben in die Welt gebracht. Und eh sie noch die Gotteskraft verstehen Sind sich die Völker jubelnd nahgebracht Und lassen ihre Freiheitsbanner wehen Und durch die Lüfte saust's: Erwacht! Erwacht!«

      Gönne man und vergönne man einer Frau meines Alters diese Errinnerungen – nicht allein als Beweise, daß sie schon im zarten Mädchenalter sich ein Wenig auf ihre Zeit verstand, oder daß sie, wenn auch nur »ahnungsvoll«, wie man das ja gemeinhin den Frauen zuschreibt oder ihnen allein vergönnen will, den Blick vertrauend und prophetisch in die Zukunft – in die Zukunft ihres Volkes, ihres Geschlechtes und der Menschheit richtete und Manches sah und empfand, was der Verstand der Verständigen nicht sah, was ihnen darum als Phantasie galt, als Schwärmerei im besten Falle – sondern auch als Trost: daß auch ihre jetzigen Zukunftshoffnungen, die gerade so wie jene belächelt, verspottet, bekämpft und selbst von Wohlmeinenden nur mit Achselzucken vernommen werden, in aber dreißig, funfzig Jahren nicht allein Wirklichkeit geworden, sondern von derselben noch überflügelt sein werden –: wir meinen die Ziele der Frauenbewegung, die Ueberzeugung, daß es über kurz oder lang doch zur vollständigen Gleichberechtigung beider Geschlechter kommen müsse, so daß man gerade so, wie man jetzt sich wundert, wie man einst geduldig und fröhlich im Postwagen reisen konnte und wenn man auch schon von der englischen Eisenbahn hörte, doch fest überzeugt war, daß dergleichen sich in Deutschland nicht verwirklichen werde, noch daß man je selbst auf einer fahren würde – sich dann auch wundern wird, wie die Frauen je die heutige Nichtbeachtung vor Gesetz und Staat, die Zurücksetzung, die Schranken in Bezug auf ihre Bildung, ihren Wissensdrang, ihre Selbstständigkeit ertrugen – und wie sie so ängstlich und bescheiden nur begonnen auf »neuen