Ich. Deine Kombinationen, lieber Berganza, sind ein wenig kühn, doch kann ich dir in der Tat nicht unrecht geben. – Nimmermehr hätte ich geglaubt, daß sich meine Ansichten nach der Überzeugung eines verständigen Hundes regeln würden.
Berganza. In dem Zirkel meiner Dame befand sich ein junger Mann, den sie mit dem Namen: Dichter! beehrten, und der, der neuesten Schule mit ganzer Seele anhängend, in lauter Sonetten, Kanzonen u.s.w. lebte. Von besonderer Tiefe des Geistes war bei ihm nicht die Rede, seine Gedichte, in südlichen Formen geschrieben, hatten indessen einen gewissen Wohlklang und eine Lieblichkeit des Ausdrucks, wodurch Gemüt und Ohr des Kenners bestochen wurde. Er war, wie die Dichter insgemein sind, und wie man es beinahe von ihnen fordert, sehr verliebter Natur und verehrte von weitem mit Inbrunst und Andacht Cäcilien wie eine Heilige. Ebenso wie der Dichter ließ es sich auch der Musiker, der übrigens viel älter war, angelegen sein, ihr ganz im Geist der Chevalerie den Hof zu machen, und es entstand oft zwischen beiden ein komischer Wettstreit, in dem sie sich in tausend kleinen Aufmerksamkeiten und Galanterien überboten. Cäcilia zeichnete beide, die im hohen Grade ausgebildet, all die musikalischen, deklamatorischen und mimischen Spielereien der Dame nur um ihrentwillen duldeten und nur für sie in dem Zirkel lebten, merklich vor all den übrigen jungen Laffen und Gecken, die sie umschwärmten, aus und belohnte ihre ganz absichtslose Galanterie mit einer heitern kindlichen Offenheit, die das Entzücken steigerte, womit sie das Mädchen im Gemüte trugen. Ein freundliches Wort, ein holder Blick diesem zugeworfen, erregte oft bei dem andern eine komische Eifersucht, und es war höchst ergötzlich, wenn sie sich beide wie die Troubadours der alten Zeit auf Lieder und Gesänge herausforderten, die Cäciliens Anmut und Holdseligkeit priesen.
Ich. Das Bild ist anziehend, und solch ein unschuldiges zartes Verhältnis mit einem kindlichen Gemüt kann dem Künstler nicht anders als wohltun; der Konflikt des Dichters mit dem Musiker hat gewiß gute Werke hervorgebracht.
Berganza. Hast du nicht bemerkt, mein lieber Freund, daß alle diejenigen Personen, die mit einem trocknen, sterilen Gemüte sich nur das Poetische aneignen, sich selbst und alles, was sich mit ihnen zugetragen und noch zuträgt, für höchst besonders und wunderbar halten?
Ich. Allerdings! indem sie alles das, was innerhalb der Wände ihres Schneckenhauses vorgeht, für wundervoll halten; weil solchen erleuchteten Personen nichts Gemeines begegnen kann, bleibt ihr Sinn für die göttlichen Wunder der Natur verschlossen.
Berganza. So hatte auch meine Dame die Torheit, alles was ihr begegnete, höchst sonderbar und ominös zu finden. Selbst ihre Kinder waren unter besondern Umständen und geistigen Beziehungen geboren, und sie gab nicht undeutlich zu verstehen, wie seltsame Kontraste und widrige Elemente sich zu einer besondern Mischung in den Geistern ihrer Kinder vereinigt hätten. Außer Cäcilien hatte sie aber noch drei ältere Söhne, die unbedeutend und stumpf ausgeprägt waren wie gemeine Scheidemünze, und dann ein jüngeres Mädchen, die in allen ihren Äußerungen weder Gemüt noch Verstand zu erkennen gab. Cäcilia war demnach die einzige, die wirklich von der Natur nicht allein mit einem tiefen Sinn für die Kunst, sondern auch mit einem genialen Produktionsvermögen ausgestattet war. Bei einem weniger kindlichen, unbefangenen Gemüte hätte sie aber die Feierlichkeit, mit der die Mutter sie behandelte, und die beständigen Äußerungen, wie in ihr eine Künstlerin geboren sei, wie es noch nie eine gab, leicht überspannen und auf Abwege führen können, von denen wenigstens ein Frauenzimmer nicht so leicht wieder zurückkehrt.
Ich. Wie, Berganza, du glaubst auch an die Unverbesserlichkeit der Weiber?
Berganza. Mit ganzer Seele! – Alle verschrobenen, überbildeten oder geistig erstarrten Weiber gehören, wenigstens nach dem fünfundzwanzigsten Jahr, unerbittlich ins ospitale degli incurabili, es ist mit ihnen nichts mehr zu machen. Die Blütezeit der Frauenzimmer ist zugleich ihr eigentliches Leben, in dem sie sich mit nie erschlaffender Kraft doppelt aufgeregt fühlen, alle seine Erscheinungen begierig im Gemüte aufzufassen. – Wie mit glühendem Purpur umsäumt die Jugend alle Gestalten, daß sie wie verklärt dem freudetrunknen Auge erglänzen, und ein ewig bunter Frühling schmückt selbst die Dornenhecken mit süßduftenden Blumen. Nicht besondere Schönheit, nicht ein ungewöhnlicher Verstand, nein! – nur jene Blütezeit, nur irgend etwas, sei es im Äußern oder im Ton der Stimme oder sonst, das nur eine flüchtige Aufmerksamkeit erregen kann, reicht hin, dem Mädchen überall die Verehrung selbst geistreicher Männer zu verschaffen, so daß sie unter älteren ihres Geschlechts wie im Triumphe als die Königin des Festes auftritt. Aber nach dem unglücklichen Wendepunkte verschwinden die schimmernden Farben, und mit einer gewissen Kälte, die in jedem Genuß das Geistig-Schmackhafte tötet, verliert sich auch jene Regsamkeit des Geistes. Keine Frau wird imstande sein, die Tendenzen zu ändern, welche sie in jener goldnen Zeit hatte, die ihr allein das Leben scheint, und war sie damals in Irrtümern des Verstandes oder des Geschmacks befangen, so nimmt sie dieselben ins Grab, verlangte auch der Ton, die Mode der Zeit, sie mühsam zu verleugnen.
Ich. Es ist gut, Berganza, daß dir nicht Frauenzimmer, die über den Wendepunkt hinaus sind, zuhören, du würdest sonst übles Spiel haben.
Berganza. Glaube das nicht, mein Freund! – Im Grunde fühlen die Frauenzimmer es selbst, wie in jener Blütezeit sich ihr ganzes Leben konzentriert, denn nur daraus läßt sich die ihnen mit Recht vorgeworfene Torheit erklären, ihr Alter zu verleugnen. Über den Wendepunkt hinaus will keine; sie sträuben und sperren sich; sie kämpfen hartnäckig um das kleinste Plätzchen hinter dem Schlagbaume, der, sind sie hindurch, ihnen das Land voll Wonne und Heiterkeit auf immer verschließt. Drängen nun die jugendlichen Gestalten immer mehr und mehr, und jede in die schönsten Blüten des Frühlings geputzt, trägt: »Was will die Ungeschmückte, Traurige unter uns?« dann müssen sie fliehen voller Scham und retten sich in den kleinen Garten, von dem sie wenigstens in den glänzenden Frühling hinüberschauen können, und an dessen Ausgang die Zahl Dreißig steht, vor der sie sich fürchten wie vor dem Engel mit dem flammenden Schwert.
Ich. Das ist sehr pittoresk, aber auch mehr pittoresk, als wahr! Denn habe ich nicht selbst ältere Weiber gekannt, deren Liebenswürdigkeit den Mangel an Jugend ganz vergessen ließ?
Berganza. Das ist nicht allein möglich, sondern ich will dir sogar zugestehen, daß der Fall nicht zu selten eintreffen kann, mein Satz bleibt indessen doch unwiderruflich fest stehen. – Eine verständige Frau, die in früher Jugend gut erzogen, frei von Irrtümern, aus der Blütezeit eine wohltuende Ausbildung des Geistes hinübergebracht hat, wird dir allemal eine angenehme Unterhaltung gewähren, sobald du dir's gefallen lassen willst, in der Mitte zu schweben und jeden höheren Forderungen zu entsagen; ist sie geistreich, so wird sie nicht arm an witzigen Einfällen und Wendungen sein; statt aber das Rein-Komische rein gemütlich zu betrachten, sind diese dann mehr in falschen Farben glänzende Ausbrüche eines innern Unmutes, die dich nur eine kleine Zeit hindurch täuschen und belustigen können; ist sie schön, so wird sie nicht unterlassen auch kokett zu sein, und dein Interesse an ihr wird in einen eben nicht löblichen Faunismus (um nicht ein anderes verächtliches Wort zu brauchen) ausarten, den ein in der Blütezeit stehendes Mädchen bei keinem Manne erregt, der nicht im höchsten Grade verderbt ist!
Ich. Goldene Worte! – Goldene Worte! Aber das gänzliche Stehenbleiben – das Beharren in früheren Irrtümern nach dem bezeichneten Wendepunkt – es ist doch hart, Berganza!
Berganza. Aber wahr! Unsere Lustspieldichter haben das sehr gut gefühlt, daher wurde vor einiger Zeit unsere Bühne von den schmachtenden, empfindelnden alten Mamsells nicht leer; die traurigen Reste der empfindsamen Periode, in die ihre Blütezeit fiel; jetzt ist das nun längst ganz vorbei, und es wäre Zeit, die Korinnen in die Stelle treten zu lassen.
Ich. Du meinst doch nicht die herrliche Korinna, die Dichterin, die im Vatikan in Rom gekrönt wurde – den herrlichen Myrtenbaum, der in Italien gewurzelt, seine Äste bis zu uns herüber gerankt hat, daß, in seinem Schatten ruhend, uns des Südens Blumendüfte umsäuseln?