Ich. Wieso, Berganza?
Berganza. Hast du nicht bemerkt, wie die Maler meistens so störrisch und eigensinnig sind, wie sie bei übler Laune kein Lebensgenuß freut, wie die Dichter nur im Genuß ihrer Werke sich wohlbefinden? Aber die Musiker schweben geflügelten Fußes über alles hinweg; leckere Esser und noch bessere Trinker, befinden sie sich bei der guten Schüssel und bei der Prima-Sorte von allen Sorten Wein im Himmel, alles um sich vergessend, sich versöhnend mit der Welt, die sie zuweilen schadenfroh stachelt, und gutmütig dem Esel verzeihend, daß sein Ya keine reine Septime macht, weil er doch nun einmal als Esel nicht anders singen kann, – kurz, die Musiker spüren den Teufel nicht, und säße er ihnen auf der Ferse.
Ich. Aber, Berganza, warum nun mit einem Male wieder diese Abschweifung?
Berganza. Ich wollte sagen, daß meine Dame gerade von den Musikern die größte Verehrung genoß, und, wenn sie nach sechswöchentlicher Privatübung eine Sonate oder ein Quintett takt- und ausdruckslos abstümperte, von ihnen die erstaunlichsten Lobeserhebungen erhielt; denn ihre Weine, von erster Hand bezogen, waren vortrefflich, und Steaks aß man in der ganzen Stadt nicht besser. –
Ich. Pfui! – das hätte Johannes Kreisler nicht getan!
Berganza. Doch, er tat's. – Es liegt hierin keine Speichelleckerei, keine Falschheit; nein, es ist ein gutmütiges Übertragen des Schlechten, oder vielmehr ein geduldiges Anhören verworrener Töne, die vergebens danach ringen, Musik zu werden, und diese Gutmütigkeit, diese Geduld entsteht aus einer gewissen innern wohlbehaglichen Rührung, die nun wieder der gute Wein, nach einer vortrefflichen Speise reichlich genossen, unausbleiblich hervorbringt. – Ich kann die Musiker um des allen nur lieben, und da überhaupt ihr Reich nicht von dieser Welt ist, erscheinen sie, wie Bürger einer unbekannten fernen Stadt, in ihrem äußern Tun und Treiben seltsam, ja lächerlich, denn Hans lacht den Peter aus, weil er die Gabel in der linken Hand hält, da er, Hans, seine Lebtage hindurch sie in der rechten Hand gehalten.
Ich. Aber warum lachen gemeine Menschen über alles, was ihnen ungewöhnlich ist?
Berganza. Weil das Gewöhnliche ihnen so bequem geworden, daß sie glauben, der, welcher es anders treibt und hantiert, sei ein Narr, der sich deshalb mit der ihnen fremden Weise so abquäle und abmartere, weil er ihre alte bequeme Weise nicht wisse; da freuen sie sich denn, daß der Fremde so dumm ist und sie so klug sind und lachen recht herzlich, welches ich ihnen denn auch von Herzen gönne.
Ich. Ich wünschte, du kämest jetzt zu deiner Dame zurück.
Berganza. Schon bin ich bei ihr. Meine Dame hatte die eigne Manier, alle Künste selbst treiben zu wollen. Sie spielte, wie schon gesagt, ja sie komponierte sogar, sie malte, sie stickte, sie formte in Gips und Ton, sie dichtete, sie deklamierte, und dann mußte der Zirkel ihre abscheulichen Kantaten anhören und ihre gemalten, gestickten, geformten Zerrbilder anstaunen. Kurz vor meiner Ankunft ins Haus hatte sie mit einer bekannten mimischen Künstlerin, die du oft gesehen haben wirst, Bekanntschaft gemacht, und von da an schrieb sich der Unfug her, der nun mit den mimischen Darstellungen in dem Zirkel getrieben wurde. Meine Dame war wohlgebildet, indessen hatte das herannahende Alter die an und für sich selbst schon starken Züge des Gesichts noch tiefer eingefurcht, und überdies waren die Formen des Körpers etwas über das Üppige heraus verüppigt, und doch stellte sie dem Zirkel die Psyche dar und die Jungfrau Maria und was weiß ich für andere Götter- und Heiligengestalten. – Der Teufel hole die Sphinx und den Professor der Philosophie! –
Ich. Welchen Professor der Philosophie?
Berganza. In dem Zirkel meiner Dame waren bisweilen sehr obligat: der Musiker, der Cäcilien unterrichtete, ein Professor der Philosophie und ein unentschiedener Charakter.
Ich. Was willst du mit dem unentschiedenen Charakter sagen?
Berganza. Nicht anders kann ich den Mann bezeichnen, von dem ich nie erfahren konnte, was er eigentlich meinte, und da ich nun gerade der drei gedenke, kann ich nicht umhin, ein Gespräch unter ihnen anzuführen, das ich belauschte. Der Musiker sah die ganze Welt in dem Widerschein seiner Kunst, er schien schwachen Verstandes, weil er jede flüchtige Äußerung des Wohlgefallens an derselben für bare Münze nahm und die Kunst sowie den Künstler überall hochgeehrt glaubte. Der Philosoph, in dessen jesuitisch-faunischem Gesicht sich der wahre Hohn über das gewöhnliche menschliche Tun und Treiben spiegelte, trauete dagegen keinem und glaubte an den Ungeschmack und an die Roheit wie an die Erbsünde. Er stand mit dem unentschiedenen Charakter einmal im Nebenzimmer am Fenster, als der Musiker, der wieder in den höheren Regionen schwebte, zu ihnen trat. – »Ha!« rief er aus. – doch erlaube mir, daß ich, um das ewig wiederkehrende: »antwortete er, sagte er,« zu vermeiden, gleich in der Gesprächsform erzähle. – Läßt du unsere jetzige Unterhaltung drucken, so muß das Gespräch im Gespräch gehörig eingerückt werden.
Ich. Ich sehe, lieber Berganza, daß du alles mit Kenntnis und Einsicht behandelst. Zu merkwürdig sind deine Worte, als daß ich sie nicht wie ein zweiter Campuzano wiedererzählen sollte. Dein Gespräch im Gespräch ordne, wie du willst, denn mir ahnet's, daß ein aufmerksamer Verleger dem Setzer einen wahren Floh ins Ohr setzen wird, damit er ja alles gehörig, wie es dem Leser wohlgefällig und leicht ins Auge tritt, einrichte.
Berganza. Also das Gespräch:
»Der Musiker. Es ist doch eine herrliche Frau mit ihrem tiefen Sinn für die Kunst, mit ihrer vielseitigen Ausbildung.
Der unentschiedene Charakter. Ja, das muß man sagen, Madame ist ganz außerordentlich für die Kunst portiert.
Der Professor der Phil. So? – So? Glaubt ihr denn das wirklich, ihr Leute? – Und ich sage: nein! – Ich behaupte das Gegenteil!
Der unentsch. Char. Nun freilich, so mit dem Enthusiasmus, wie unser musikalische Freund da denkt, möchte es doch wohl –
Der Professor der Phil. Ich sage euch, da der schwarze Hund unter dem Ofen, der so verständig dreinschaut, als hörte er unserm Gespräch recht aufmerksam zu, schätzt und liebt die Kunst mehr, als die Frau, der es Gott verzeihen möge, daß sie sich etwas aneignet, das ihr ganz fremd ist. Ihre eiskalte Brust wird nie erwärmt, und wenn anderer Menschen Herz beim Hinausschauen in die Natur, in das All der Schöpfung, überströmt von heiligem Entzücken, da frägt sie, wieviel Grad Hitze wir haben nach Reaumur, und ob es wohl noch regnen wird. So kann auch die Kunst, diese Mittlerin zwischen uns und dem ewigen All, das wir nur durch sie recht deutlich ahnen, nie in ihr einen höheren Gedanken entflammen, Sie, mit allen ihren Kunstübungen, mit ihren Floskeln und Phrasen, sie lebt im Gemeinen! – Sie ist prosaisch – prosaisch – infam prosaisch! –
Die letzten Worte hatte der Philosoph, mit den Händen stark um sich fechtend, so laut herausgeschrien, daß im Gesellschaftssaal beinahe alles in Aufruhr geriet, um den Prosaismus, der wie ein tückischer Feind still und hinterlistig herangeschlichen schien und den nun des Professors Feldgeschrei verraten hatte, mit vereinter Macht zu bekämpfen. Der Musiker war ganz verblüfft stehen geblieben, der unentschiedene Charakter nahm ihn aber beiseite und sagte freundlich schmunzelnd ihm leise ins Ohr:
›Freundchen, was halten Sie von des Professors Worten? – Wissen Sie denn, warum er so gräßlich eifert, warum er so mit Eiskälte – Prosaismus um sich wirft? – Sie gestehen, Madame ist für ihre Jahre noch ziemlich frisch und jugendlich. – Nun da hat – lachen Sie, lachen Sie! da hat der Professor ihr unter vier Augen durchaus gewisse philosophische Sätze erklären wollen, die ihr zu schwierig waren. Sie schlug den besonderen philosophischen Kursus, den der Herr Professor mit ihr machen wollte, überhaupt gänzlich aus, und das hat er denn nun sehr übel genommen und schimpft