Ich. Berganza! – ich bewundere es, daß du eines gewissen poetischen Ausdrucks so mächtig bist.
Berganza. Mein Freund! – ich sage dir, schon in meinen guten Jahren lebte ich viel und gern bei Dichtern. Die Brotrinden, die mir jener arme Student, herzlich mit mir die karge Nahrung teilend, gab, schmeckten mir besser, als manches Stück Braten, von dem feilen Bedienten mir verächtlich hingeworfen. – Damals glühte noch in der Brust der Berufenen das innige, heilige Bestreben, das im Innersten Empfundene in herrlichen Worten auszusprechen, und selbst die, welche nicht berufen waren, hatten Glauben und Andacht; sie ehrten die Dichter wie Propheten, die von einer herrlichen unbekannten Welt voll glänzenden Reichtums weissagten, und wähnten nicht, auch unberufen selbst in das Heiligtum treten zu dürfen, von dem ihnen die Poesie die ferne Kunde gab. Nun ist aber alles anders geworden. – Hat der reiche Bürgersmann, der Herr Professor, der Herr Major ein Nest voll Kinder, so muß Hänschen und Friedrich und Peter singen und spielen und malen und Verse deklamieren, ohne Rücksicht, ob der Geist auch nur im mindesten vermag, dergleichen zu ertragen. – Es gehört zur sogenannten guten Erziehung, und nachher glaubt ein jeder mitschwatzen und den Dichter, den Künstler in seinem innersten Tun und Treiben durchschauen und nach seinem Maße messen zu können. – Kann der Künstler tiefer gekränkt werden, als wenn der Pöbel ihn für seinesgleichen hält? – und doch geschieht dies alle Tage. Wie oft hat es mich angeekelt, wenn so ein stumpfsinniger Bursche von der Kunst schwatzte, den Goethe zitierte und sich bemühte, einen Geist der Poesie hervorleuchten zu lassen, von dem ein einziger Blitz ihn, den saft – und kraftlosen Schwächling, zermalmt haben würde. Vorzüglich – nimm es nicht übel, Freund, wenn du etwa eine Frau oder Geliebte der Art haben solltest – vorzüglich sind mir eure vielseitig gebildeten poetischen, künstlerischen Weiber in den Tod zuwider, und so gern ich mich von einer feinen Mädchenhand streicheln lasse und meinen Kopf auf eine zierliche Schürze lege, so ist es mir doch oft, wenn ich so eine Frau ohne alles tiefe Gefühl, ohne allen höheren Sinn ins Blaue hinein in allerlei eingelernten poetischen Floskeln schwatzen hörte, gewesen, als müsse ich ihr in irgendeinen empfindlichen Teil ihres Leibes mit meinen scharfen Zähnen einen tüchtigen Denkzettel beißen! –
Ich. Ei, schäme dich, Berganza! – Da spricht die Rachsucht aus dir; ein Weib, die Cannizares, war ja an all deinem Ungemach schuld.
Berganza. Wie sehr irrst du, da du etwas kombinierst, was durchaus ohne allen Zusammenhang ist und bleibt. Glaube mir, irgendeine übernatürliche schreckliche Erscheinung im Leben wirkt wie ein starker elektrischer Schlag, der den Körper, der ihm nicht zu widerstehen vermag, zerstört, den Kräftigen aber, der ihn aushält, mit neuer Kraft stählt – wenigstens habe ich das so gefunden. – Denke ich mir die Cannizares lebhaft, so spannen sich meine Muskeln und Fibern, meine Pulse klopfen in allen Adern, aber selbst nach augenblicklicher Ermattung erhebe ich mich kräftig, und die Erschütterung wirkt wohltätig auf meine physische und psychische Tätigkeit. – Aber so eine poetische gebildete Frau mit ihrer Oberflächlichkeit, mit dem bis zum Schmerz angestrengten Bemühen, alle Welt glauben zu machen, sie sei begeistert für die Kunst – für das Göttliche, und was weiß ich – Ach – Ach –
Ich. Berganza! – Was ist dir – du stockst? – Du legst den Kopf auf die Pfote?
Berganza. Ach, mein Freund, indem ich davon spreche, empfinde ich schon die zerstörende Mattigkeit, den unbeschreiblichen Ekel, der mich bei dem unseligen Kunstgeschwätz der gebildeten Weiber anwandelt und welcher macht, daß ich oft wochenlang den schönsten Braten unberührt lasse.
Ich. Aber, lieber Berganza, könntest du nicht durch gehöriges Knurren und Bellen solch ein verwettertes Gespräch unterbrechen, denn würdest du auch zur Tür hinausgeworfen, so würdest du doch den Kram los?
Berganza. Greife in deinen Busen, Freund! und gestehe, ob du nicht oft aus ganz besonderen Anregungen dich ohne Not hast quälen lassen. – Du warst in einer fatalen Gesellschaft – du konntest den Hut nehmen und fortgehen. Du tatst es nicht. Diese, jene Rücksicht, nicht wert, ohne innere Scham genannt zu sein, hielt dich zurück. – Du wolltest diesen – jenen – nicht beleidigen, unerachtet seine Gunst dir nicht einen Pfifferling wert sein konnte. – Irgendeine Person – ein stilles Mädchen am Ofen, die nur Tee trank und Kuchen aß, war dir interessant geworden, und du wolltest noch in einem schicklichen Moment dein Licht leuchten lassen vor ihr und sagen: »Göttliche! was soll all das Reden und Singen und Deklamieren, ein einziger Blick Ihres himmlischen Auges ist mehr wert, als der ganze Goethe, neueste Ausgabe« –
Ich. Berganza! – Du wirst anzüglich! –
Berganza. Nun, mein Freund! wenn euch Menschen so etwas begegnet, warum soll es denn ein armer Hund nicht ehrlich bekennen, daß er oft verkehrt genug war, sich zu freuen, wenn er trotz seinem für feine Zirkel, wo sonst nur Möpse schwänzeln und Bologneser keifen, zu kräftigen Wuchs doch zu Gnaden angenommen wurde und, mit einem schönen Halsbande geziert, unter dem Sofa der Gebieterin im eleganten Zimmer liegen konnte. – Doch – was ermüde ich dich mit all diesem Bemühen, dir die Schlechtigkeit eurer gebildeten Weiber zu beweisen? Laß mich dir die Katastrophe erzählen, die mich hertrieb, und du weißt, warum das schale oder oberflächliche Wesen unserer jetzigen sogenannten geistreichen Zirkel mich so in Harnisch jagt. – Doch erst etwas zur Erholung! –
– Berganza sprang schnell vom Sitze herab und sprengte in einem etwas schweren Galopp ins Gebüsch. Ich hörte, daß er aus einer nahen Grube, worin sich das Wasser gesammelt hatte, eifrig trank. Bald kam er zurück, und nachdem er sich tüchtig geschüttelt hatte, setzte er sich wieder neben mir auf die Hinterpfoten und fing, den Kopf von mir ab nach der Statue des heiligen Nepomuk gewendet, mit einem dumpfen wehmütigen Ton in folgender Art an:
Berganza. Ich sehe ihn noch vor mir, den guten, herrlichen Mann mit den blassen, eingefallenen Wangen, dem düstern Auge, der beweglichen Stirnmuskel; der trug den wahren poetischen Sinn im Innern, und ich verdanke ihm nächst mancher herrlichen Erinnerung an eine bessere Zeit meine musikalischen Kenntnisse.
Ich. Wie, Berganza? – Du? – musikalische Kenntnisse? – ich muß lachen!
Berganza. So seid ihr nun! – Gleich ist das Urteil fertig. Weil ihr uns oft mit dem abscheulichsten Kratzen, Pfeifen und Plärren quält, und wir dann vor lauter Angst und Ungeduld heulen, so sprecht ihr uns allen Sinn für die Musik ab, unerachtet ich behaupte, daß gerade mein Geschlecht sehr musikalisch gezogen werden könnte, wenn ich nicht jenen verhaßten Tieren den Vorzug einräumen muß, die die Natur mit einem besondern musikalischen Produktionsvermögen ausgestattet hat, da sie, wie mein edler Herr und Freund oft bemerkte, ihre Liebeslieder in die chromatische Skala auf – und absteigenden Terzen gar zierlich duettieren. – Genug, als ich mich in der benachbarten prächtigen Residenz zu dem Kapellmeister Johannes Kreisler begeben hatte, profitierte ich in der Musik sehr. – Wenn er auf seinem schönen Flügel phantasierte und in gar wunderbaren Verschlingungen prächtiger Akkorde das innerste Heiligtum der geheimnisvollsten Kunst aufschloß, da legte ich mich vor ihm hin und horchte, ihm scharf ins Auge blickend, zu, bis er geendet hatte. Dann warf er sich in den Stuhl zurück, und groß wie ich bin, sprang ich zu ihm hinauf, meine Pfoten auf seine Schultern legend, indem ich nicht unterließ, auf jene Art, von der wir vorhin sprachen, eifrigst meinen Beifall, meine Freude zu bezeugen. Da umarmte er mich dann, und sprach: »Ha, Benfatto!« (so nannte er mich zum Andenken unseres Zusammentreffens) »du hast mich verstanden! du treuer, verständiger Hund;