Croft nickte, fuhr sich durch sein Kraushaar und schob sich seinen Hut auf.
*
Hacat war schon eine Weile verschwunden.
Die Männer standen um den Wagen herum. Eine seltsame Unruhe hatte sie ergriffen, weil sie wieder nach Del Norte zurückkehren sollten.
Well, sie hatten schon eine ganze Reihe von Städten heimgesucht. Stores geplündert, Banken ausgeräumt und Kutschen überfallen. Seit einigen Monaten hatte der Boß sich auf Spiel-Saloons spezialisiert. Das war weitaus ungefährlicher und brachte ebenfalls »sicheres« Geld. Die Männer in den Bars, die mit den Hacats ins Spiel kamen, wurden so geschröpft, daß sie bettelarm nach Hause gingen. Dann machte Hacat einen neuen Saloon in der Stadt auf. Seltsamerweise kamen oft über fünfzig Prozent der Geschädigten zurück und versuchten nach einer gewissen Zeit erneut ihr Glück in Hacats Saloon. Nach winzigen anfänglichen Gewinnen ließ die Falschspieler-Mannschaft sie »sterben«. Dann wurden sie um Haus und Hof gebracht.
Wurde das Pflaster in einer Stadt zu heiß für die Banditen, dann »verkauften« sie und zogen ab. Dieses Spiel war ihnen bisher ein halbes Dutzendmal gelungen.
Wyatt Earp war das erste große Hindernis in der traumhaft ansteigenden Karriere des Ohio-Mannes Jeremias Cyril Hacat gewesen. Der Missourier hatte sich der Bande in Del Norte in den Weg gestellt. Die Gefühle der Desperados waren entsprechend, als sie bei Einbruch der Dämmerung unter die Plane des Prärieschooners krochen, um in die Stadt zurückgebracht zu werden.
Chip schwang sich auf den Kutschbock, stieß einen schrillen Pfiff aus und feuerte die beiden Füchse an. Holpernd und rumpelnd setzte sich der schwere Wagen in Bewegung.
Jim Hickory nahm eine selbstgeschnitzte Flöte aus der Tasche und begann leise zu spielen. Hin und wieder wurden seine nicht sehr aufmunternden Melodien von dem lauten Ächzen und Stöhnen der beiden Verwundeten unterbrochen.
Plötzlich hielt der Wagen mit einem Ruck an. Ebenso ruckhaft brach Hickorys Gepfeife ab.
Eddie Carpetta verbiß sich das Stöhnen.
Der hagere, vogelköpfige Ernest Horby stieß den Kopf vor und zischte: »He, Chip, was ist los?«
»Halt’s Maul!« fauchte der Einäugige schroff. Die Männer blieben steif auf ihren Plätzen hocken.
Bis Boswells heisere Stimme zu ihnen hereindrang: »Ein Reiter! Er kommt scharf vom Westen herüber, genau auf uns zu. Ich kann nicht viel von ihm erkennen, es ist schon zu dunkel.«
»Vielleicht ist es der Boß«, gab Hickory zu überlegen.
Boswell knurrte: »Yeah, vielleicht aber auch nicht.«
Sie hörten, wie er seine Winchester lud; da nahmen auch sie ihre Waffen zur Hand.
»Verdammt!« zischte Eddie Carpetta, »jetzt stecken wir hier wie das Wild in der Schlinge.«
»Halt deinen Rand!« zischelte Hickory.
Die Sekunden rannen im Schneckentempo dahin.
Schließlich zischte Hickory: »Kannst du denn immer noch nichts erkennen?«
»Nein – he, der Kerl hält an!«
»Raus!« brüllte Carpetta.
Und ohne einen Befehl Boswells abzuwarten, sprangen die Männer unter der Plane hindurch auf beiden Seiten vom Wagen. Ihre Nerven waren von der Fahrt und dem Bewußtsein, möglicherweise wieder mit dem gefürchteten Dodger Marshal zusammenzutreffen, ohnehin strapaziert.
Boswells Stimme fauchte los: »Seid ihr wahnsinnig, ihr Hunde! Rauf auf die Karre!«
Er schwang die Peitsche und hieb auf die ihm am nächsten Stehenden ein. Aber in der Dunkelheit konnte er kaum etwas erkennen.
Der untersetzte Wes Ligger schrie schrill auf, als ihn das scharfe Peitschenleder genau ins rechte Auge traf. Mit einem heiseren Wutschrei stürzte er auf das Vorderrad zu, sprang auf die Nabe und zog sich auf den Kutschbock hoch.
Ein Faustschlag des bedrohten Fahrers warf ihn zurück.
Ligger wollte erneut auf den Kutschbock steigen, da landete Boswell bereits im Sprung auf ihm und riß ihn nieder.
Hickory war herumgefahren. »He, seid ihr übergeschnappt?«
Er warf sich auf die Kämpfenden.
Und wenige Sekunden später war eine wilde Schlägerei im Gange, aus der sich Chip Boswell endlich mit harten Schlägen, die er mit seinem großen Revolver austeilte, befreien konnte.
»Sofort aufhören, ihr Idioten! Aufhören, sage ich! Damned, ich knalle dazwischen, wenn nicht sofort Schluß ist!«
Keuchend erhoben sich die Banditen vom Boden. Boswell blickte sich um. Suchend tastete sein gesundes Auge die Stelle ab, wo vorhin der Reiter gehalten hatte.
»Da haben wir es!« knirschte er, »der Mann ist verschwunden!«
*
Henry Lawton schlug die Augen auf. Ein hämmernder Schmerz durchzuckte seinen ganzen Körper, als er versuchte, sich aufzurichten.
Seine linke Stirnseite, nahe an der Schläfe, war blutverklebt. Sein rechter Oberarm schien nach oben zu stehen.
Zwei Kugeln hatten den Alten getroffen, genauer gesagt: Sie hatten ihn gestreift. Ächzend richtete er sich auf und blickte umher.
Drüben, sieben Yards entfernt auf der anderen Seite der Fahrstraße, lag der Körper eines Menschen.
Lawton kniff die Augen zusammen.
By Gosh! Es war Mat!
Reglos lag er am Straßenrand.
Plötzlich kam dem Alten die Erinnerung wieder.
Er hörte die Schüsse, sah seinen Jungen vom Kutschbock stürzen und sah die Männer aus den Büschen kommen.
Der alte Squatter richtete sich unter Aufbietung aller Kräfte hoch und schleppte sich zu seinem Sohn hinüber. Als er ihn auf den Rücken gewälzt hatte, blickte er in ein kalkiges Gesicht mit geschlossenen Augen.
»Mat…!« keuchte der Alte entsetzt. Dann riß er dem Burschen das Hemd über der Brust auf.
Eine Kugel hatte die rechte Brustseite getroffen. Der Vater preßte die Zähne knirschend vor ohnmächtiger Verzweiflung aufeinander und krampfte die Hände um die breiten Schultern seines Jungen.
»Mat!«
Dann handelte er besonnen, wie er es in den bittersten Tagen der Indianerzeit hatte lernen müssen. Eine Viertelstunde später hatte er dem Jungen einen Verband angelegt und auch seine eigene Oberarmwunde verbunden. Die Kopfwunde schmerzte zwar irrsinnig, hatte aber inzwischen aufgehört zu bluten.
Glücklicherweise hatte der Squatter nach alter Gewohnheit eine Campflasche mit einer Mischung aus Whisky und Wasser an seinem Gurt hängen. Mit dieser Flüssigkeit hatte er zuerst die Wunden ausgewaschen, und nun träufelte er dem Burschen das Naß zwischen die Lippen.
Es dauerte lange, bis Mat die Augen aufschlug.
»Mat! Junge, komm zu dir, mach die Augen auf!«
Die Tränen rannen dem alten Mann über das zerfurchte Gesicht in den Bart.
»Mat…«
Endlich öffneten sich zitternd die Lider des Burschen. Ein langer fragender Blick traf den Vater.
»Mat! Wie geht es dir?« Behutsam streichelte der Alte mit seiner schwieligen Hand das blasse Gesicht seines Sohnes. Dann erst erhob er sich und trank ein paar Schlucke. »Komm, Junge, wir müssen hier weg. Wir müssen sehen, daß die Kugel aus deiner Brust herausgeschnitten wird…«
Trotz seiner eigenen Schwäche nahm der Alte den Schwerverwundeten auf seine Arme und stampfte schwerfällig vorwärts.