Da stolperte ein kleiner brummbeiniger Mann mit hohem grauem Zylinderhut auf die Straße.
»Ich habe ein Hotel. Schon seit Jahren, aber es liegt nicht an der Fahrstraße. Damals lag es richtig, als die Overland noch nicht hier durch nach Lander fuhr, aber seitdem ist bei mir Flaute…«
Jesse Vaugham, ein Trinker, hatte das Vermögen, das er vor Jahren oben in den Claims von Montana gemacht hatte, noch nicht restlos durch seine Kehle gespült. Noch stand der alte Kasten von »Hotel« noch, den er vor Jahren gebaut hatte.
Und Gerritsen und seinen Männern kam das Ersatzhotel gerade recht; sie nahmen ihre Gäule und folgten dem Zylindermann.
Holliday warf dem Marshal einen Blick zu.
»Brauchen wir nicht auch zwei Zimmer?«
Der Missourier nickte.
Da trat der Schmied auf die Straße. Vor Wyatt blieb er stehen.
»Mister, wenn Sie und Ihr Freund eine Schlafstätte brauchen, dann können Sie sie jederzeit in meinem Hause finden.«
Ann, die Tochter des Schmiedes, stand immer noch mit verstörtem Gesicht da, wo der Bandit sie mit seinen Kugeln nahezu festgenagelt hatte.
Die alte Frau hockte keuchend hinter der durchlöcherten Regentonne und krampfte die Rechte über dem Herz zusammen.
Der kleine Schneider wagte sich erst jetzt hinter der Vorbautreppe hervor.
Der Mayor ging auf Wyatt zu. Er reichte ihm die Hand. »Thanks, Mister. Sie kamen im rechten Augenblick. Unser neuer Marshal war nicht in der Stadt…«
»Er scheint Flügel zu haben«, bemerkte der Gambler, der den Vorbau verlassen hatte und zu den beiden Männern getreten war. »Er steht nämlich drüben hinter der Tür des Jailhofes.«
Der Mayor wandte den Kopf. »He, da ist er ja. Schade, wenn er ein paar Minuten früher gekommen wäre, gäbe es jetzt ein paar Halunken weniger im County.«
Holliday zog die Brauen zusammen.
»Gestern waren Sie noch bedeutend weniger blutdürstig, Mayor.«
»Sie müssen mich verstehen, Mister…«
»Holliday.«
Der Mayor musterte den Georgier forschend. »Sie heißen also tatsächlich so?«
»Yeah.«
»Well, Sie müssen das verstehen, Mister Holliday. Seit der Sheriff in jener Nacht drüben in der Gasse erschossen worden ist, bin ich völlig mit den Nerven herunter. Der neue Marshal kam uns wie gerufen…«
»Das glaube ich«, versetzte Holliday zweideutig.
Wyatt ging mit dem Schmied auf dessen Werkstatt zu. Behutsam legte der Vater den Arm um die schmalen Schultern des Mädchens und nahm es mit in die Werkstatt.
Holliday zog leicht seinen schmalrandigen, hellen California-Hut und folgte dem Marshal.
Keaton hatte die ganze Szene mit engen Augen verfolgt. Perlender Schweiß stand auf seiner Stirn. Er lebte also noch, der Mann, der ihn geblufft hatte, der zu wissen schien, daß er nicht Wyatt Earp war. Und sein Freund, den er hier erwartet hatte, schien ganz aus dem gleichen Holz geschnitzt zu sein wie er selbst. Keaton zermarterte sein Hirn nach einem neuen Gedanken.
Gerritsen und seine ungebärdige Crew machte ihm bedeutend weniger Gedanken als diese beiden Fremden. Sicher, er wußte, daß sich solche Tramps oft wie Ratten in einer Stadt festbissen, bis sie tatsächlich ausgeräuchert wurden, aber er selbst fürchtete sie persönlich nicht so sehr wie die beiden kaltäugigen Männer, die da eben so kurzen Prozeß mit der wilden Crew gemacht hatten.
Heute konnte Keaton es nicht mehr begreifen, wie er sich mit dem eisäugigen geschniegelten Mann hatte schießen wollen. By Gosh, der Whisky hatte ihn mutiger und unvorsichtiger gemacht, als er es eigentlich war. Jetzt war er plötzlich überzeugt, daß er gegen den kaltschnäuzigen Stadtfrack überhaupt keine Chance gehabt hatte. Es lief ihm eiskalt bei dem Gedanken über den Rücken. Und der Mann mußte seiner Sache doch höllisch sicher gewesen sein, sonst wäre er doch trotz der Mahnung des Mayors nicht so kaltherzig zu dem Gunfight auf die Straße gegangen.
*
Es gab überhaupt nur einen Mann in Atlantic-City, der weiter und tiefer sah, bei dem es endlich zu dämmern begann: Kid McNally.
Er hatte reglos am Vorbaugelände gestanden und war mit weitoffenen Augen der ganzen Szene gefolgt.
Wenn der elegante Mann, der gestern so fraglos gegen den angeblichen Wyatt Earp antreten wollte, der plötzlich in der Nacht, nichts Gutes ahnend, aus dem Hotel verschwunden war und jetzt seine beiden vernickelten Sixguns so blitzschnell in den Fäusten hatte, wirklich Doc Holliday war – dann mußte der andere doch…
Die Augen des Kentucky-Mannes musterten die Gestalt des Missouriers.
Der übergroße Revolver in der Linken! Allthousand devils! Waren die Menschen in Atlantic-City blind! Dieses Zusammenspiel zwischen den beiden Männern, dieses sichere Auftreten, der traumhaft schnelle und tödlich sichere Schuß des Dunkelhaarigen aus der Drehung heraus von der linken Hüfte her…
By Gosh! Dieser Mann war Wyatt Earp! Es konnte gar nicht anders sein.
Als sich die Straße endlich leerte, kam Bewegung in die Gestalt des Banditen. Er sah sich nach allen Seiten um und stakste dann hinüber zum Mietstall, wo er seinen Gaul stehen hatte. Er sattelte auf, warf dem Besitzer des Livery Stables, der im Tor stand, zwei Geldstücke zu und ritt hinüber in die Gasse, in der das Jail lag.
Kid McNally hatte genug. Er war nun überzeugt, genau zu wissen, wer die beiden Männer waren, und diese Tatsache hatte ihn plötzlich vollkommen nüchtern werden lassen. Er verspürte nicht die mindeste Lust, in eine Auseinandersetzung mit dem echten Marshal von Dodge verwickelt zu werden. Ganz davon abgesehen, was man sich von dem Missourier erzählte, hatte ihm das genügt, was er soeben hier erlebt hatte.
Der Schrecken hatte ihm die lähmenden Geister des Alkohols rasch vertrieben und ihn plötzlich mit großer Schärfe die Gefahr erkennen lassen, in der auch er selbst sich hier befand. Er spürte plötzlich ganz deutlich, daß gegen diesen Wyatt Earp kein Kraut gewachsen war; daß der Mann, in dessen Haut sich der klebrige Rory Keaton gewünscht und hinter dessen Nimbus er sich versteckt hatte, ein Gegner war, mit dem sich hier niemand messen konnte.
So sehr der Kentucky-Mann das Einzelgängertum verabscheute – er hatte sich entschlossen zu fliehen.
Vorwürfe? Nein, die machte er sich nicht. Erstens war das Gewissen des Tramps ziemlich weit, und zum anderen wußte er genau, daß Keaton nicht zu belehren war. Zu sehr hatte sich der Mann in seinem Größenwahn verstrickt, sich in die Rolle des berühmten Dodger Marshals versponnen, als daß er noch hätte zur Einsicht gebracht werden können.
Kid McNally floh.
*
Rory Keaton hatte seinen Mann scharf beobachtet. Er hatte in dessen Gesicht die Angst stehen sehen und auch die plötzliche Ernüchterung erkannt. Mit Schrecken gewahrte er dann den entschlossenen Zug in McNallys Gesicht. Als der Kentucky-Mann sich dann abwandte, wußte Keaton, daß er diesen Zug und das Aufblinken in dem Gesicht des Komplicen richtig gedeutet hatte.
Der Gang zum Mietstall bestärkte Keatons Vermutung, und dann lieferte McNally seinem Boß noch selbst den Beweis: Er gab dem Mietstalleigner Geld. Es war also ganz eindeutig, daß er fliehen wollte.
Der Schrecken, der Keaton erfaßt hatte, verwandelte sich in rasenden Zorn, als er McNally auf sich zureiten sah.
»Du willst also türmen, verdammter Feigling!« stieß er tonlos über die kaum geöffneten Lippen.
Der Desperado spürte plötzlich ein Würgen in seiner Kehle. Eine Glutwelle schoß zu seinem Hirn.
Da reitete er