Die wichtigsten Werke von Adalbert Stifter. Adalbert Stifter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Adalbert Stifter
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237647
Скачать книгу
Mal abends auch in einem anderen Hause, so wie Martin, oder der Knecht Raimund, oder Lucia, wenn sie auf einer Rockenfahrt war. Dann aß er von dem Brote und Salze, das ihm gereicht wurde, saß im Lichte der Leuchte, und sprach mit den Männern oder den Frauen, die gegenwärtig waren. Er besuchte zuweilen auch eine Rockenfahrt, saß unter den Sängern und Sängerinnen, die spannen, und lobte oder tadelte einen Gesang, wie es fiel. Bei einem Vergnügen, wenn etwa ein Tanz war, wo der Fiedler die Geige klingen ließ, der Pfeifer pfiff, der Zimbelschläger die Schlägel rührte, oder wenn man sich auf dem Eise versammelte, sah er zu, und hielt zuweilen mit. Er besuchte nach und nach alle Bewohner des Ortes, und wenn er auf der Gasse ging, und ihm einer begegnete, oder wenn er im Freien wandelte oder ritt, und einer etwa auf einem Schlitten aus groben Bohlen Dünger auf ein Feld führte, oder Holz nach Hause brachte, oder zu einer Arbeit oder in den Wald ging, so blieb er bei ihm stehen, und redete mit ihm. Er war öfter bei dem greisen Pfarrer, und der Pfarrer war öfter bei ihm. An Festtagen war er in der Kirche, in welcher sich die Bewohner des Ortes versammelten, und in welche auch Menschen aus manchem Häuschen herbei kamen, das im Walde versteckt war.

      Er betrachtete die Arbeiten der Bewohner, und suchte sie kennen zu lernen, wie sie ihre Vorräte aufbewahrten, und zur Verzehrung einteilten, wie sie ihre Tiere erzogen, wie sie die Feldgeräte herrichteten, Pflüge Eggen Wägen Rechen Schaufeln Zuber Körbe und dergleichen, wie sie mit Axt Säge und Hammer Ausbesserungen an ihren Häusern machten, oder Holz, das sie im Winter gefällt hatten, auf dem leichteren Mittel des Schlittens in die Nähe ihrer Wohnungen führten, oder wie sie in wenigen Gewerben die anderen Bedürfnisse ihres Lebens aufbrachten.

      Bei gemeinschaftlichen Arbeiten half er mit, wenn etwa ein Weg durch den Schnee zu brechen war, oder wenn ein Pfad zu finden, und mit Reisern zu bezeichnen war, da der alte samt seinen Reisern unkenntlich geworden war, oder wenn man gegen einen Wolf oder ein anderes Waldtier ging, oder Anstalten traf, ein solches ferne zu halten.

      Er beteiligte sich auch bei allgemeinen Angelegenheiten in Beratungen, oder wie es sonst begehrt wurde.

      So ging die Zeit hin, es mochte eine heitere trockne Wintersonne sein, oder Schneegestöber sein, oder Sturm sein, oder der Winternebel in die Zweige der Tannen herab reichen.

      Die Tage wurden länger. Die Sonne war morgens schon sehr zeitlich über den Föhren heroben, und am Abende stand noch spät die blaue Seewand im Golde des Himmels. Das Heulen des Wolfes war nicht mehr zu vernehmen, dafür tönte der Schrei des Hirsches, oder der Ruf des Auerhahnes, oder ein schneller Klang der Frühlerche.

      Der Reif ging von den Wäldern, daß sie dunkel da standen, der Schnee rann als Wasser von den Bergen und durch die Senkung der Täler, bis kein kleines Teilchen der Hülle mehr sichtbar war. Die längliche Tafel des Tales zeigte nun in ihrem unteren Teile Wiesen, und in dem fahlen Wintergrase war die blaue Schlange der Moldau. Weiter oben waren die braunen Streifen der geackerten Felder, oder die grünen derer, die Wintersaaten trugen, dann war der Wald.

      Es begannen nun die Frühlingsarbeiten, und Martin und Raimund rückten mit ihren Gespannen in ihr Feld, und gedungene Lohnarbeiter halfen ihnen, und Witiko war auch dabei, und legte, wo es nötig war, Hand an, bis die Wiesen und Felder bestellt waren, und ihrer Ruhe und Entwicklung entgegen harren konnten.

      Die Wintersaaten wurden höher und grüner, die Sommersaaten keimten, die Wiesen färbten sich dunkel, der Waldkirschenbaum, welcher im Sommer die kleinen schwarzen Kirschen bringen sollte, war mit weißen Blüten überdeckt, die Schlehe und der Kreuzdorn blühten, der Holzbirnbaum auch, darnach begann der Waldapfelbaum, die Tannen setzten die neuen lichtgrünen Sprossen an, und endlich öffnete sich auch die Blume der lichteren und dunkleren Waldrose mit den fünf Blättern, die am Hage oder am Saume des Waldes dahin stand.

      Die Herden des Ortes gingen mit ihren Hirten in die Wälder empor, wo Rasen zwischen den Föhren und andern Bäumen war, die Kinder spielten in der Sonne, und die Mädchen sangen, wenn sie das junge Gras aus dem Walde trugen, jetzt in die blaue Luft empor. Sie hatten nicht, wie tiefer im Lande, die weiten Gewänder, sondern kurze faltige Röckchen und eine Schürze, und sie hatten weiße oder rote Tücher um das Haupt und die Schultern, und öfter gingen zwei Zöpfe über den Rücken des Mieders bis zu dem Röcklein hinunter.

      Als die Lenzarbeiten vorüber waren, als die fünfblättrige Waldrose am Hage oder zwischen dem Gesteine blühte, nahm Witiko eines Tages nach dem Essen sein Ledergewand, kleidete sich damit, sattelte sein Pferd, schickte nach Benedikt, dem Sohne Zacharias' des Schenken, daß er ihm als Führer diene, und ritt von diesem begleitet in der Richtung gegen Morgen in den Wald. Benedikt ging mit einem langen Stabe voran, Witiko folgte ihm. Sie gelangten unter den Föhren bis an den Kamm der Höhe empor. Dann kamen sie durch Buchenwald und Tannen wieder in ein Tal hinab, in welchem ein Bach floß. Witiko sah Rehe daraus trinken, und einen Hirsch darin stehen. Sie durchschritten den Bach. Dann ging ein Wald sachte aufwärts, und da sie ihn zurückgelegt hatten, kam eine Ebene. Auf ihr stand nicht mehr hoher Wald sondern kurze dünne kranke Föhren, und viele Stellen hatten gar keinen Baum. Das Gras war grau und trocken, und wo Erde zu sehen war, erschien sie in dunkler aschgrauer Farbe.

      »Da ist ein seltsamer Boden«, sagte Benedikt, »wenn man ihn auf die Achsen der Wagenräder streicht, so gehen sie so lind wie mit fetten Dingen geölt.«

      »Da sollte man den Boden untersuchen«, sprach Witiko.

      »Ja das sollte man«, sagte Benedikt.

      Sie zogen auf der Ebene hin, die Sonne schien schon tief aus Wolkenschleiern. Und da sie an das Ende der Ebene gekommen waren, ging sie unter. Nun fing wieder hoher Wald an, der sachte abwärts ging. Weil es in ihm dunkelte, stieg Witiko ab, und führte sein Pferd hinter sich her. Nach einer Stunde kamen sie auf eine freie Stelle. Sie hörten im Walde einen Ruf. Sie blieben stehen. Es war stille. Dann tönte wieder der Ruf. Sie blieben noch stehen. Die Stelle war sehr sonderbar. Es glänzte Wasser im Monde, es glänzte das Gras um das Wasser, und die Büsche daran glänzten auch, aus ihnen ragten dunkle Giebel wie Dächer von Hütten empor, und oben war der Mond in gelblichen Wolken. Am Saume des Waldes standen drei Gestalten, welche in weite Gewänder gehüllt waren, und die Gewänder auch über die Häupter gezogen hatten. Sie schienen Weiber zu sein. Es tönte wieder im Walde der Ruf, dann war es wieder stille. Dann tönte der Ruf noch einmal aber schwach, dann begann ein Gesang wie von vielen Stimmen. Der Gesang war ruhig und langsam. Er dauerte eine Weile, dann war es stille. Dann begann der Gesang wieder.

      »Das ist ein heidnisches Ding«, sagte Benedikt leise zu Witiko, »es muß einer gestorben sein. Weil sie es nicht auf seinem Grabe tun können, da es die Priester verboten haben, so gehen sie in den Wald, und tun es dort. Ich kenne den Gesang, meine Großmutter hat ihn oft ertönen lassen, und einmal habe ich ihn auch im Walde oberhalb Horec gehört.«

      »Aber werden denn die Leute nicht belehrt?« fragte Witiko.

      »Sie tun es im geheimen«, antwortete der Führer, »und sagen nichts davon, daß sie von ihren Göttern nicht gestraft werden.«

      »Dann müssen wohl neue Geschlechter kommen, die die Sünden der alten vergessen«, sagte Witiko.

      »So wird es schon sein«, entgegnete der Führer.

      Der Gesang hatte wieder aufgehört, begann wieder, und schwieg endlich ganz. Witiko und sein Führer blieben noch immer stehen. Nach einer Zeit kamen Gestalten bei den drei Weibern aus dem Walde. Sie waren in weite Gewänder gehüllt, die durch Gürtel zusammen gefaßt wurden. Es waren Männer und Frauen. Sie blieben bei den Weibern stehen, und wurden immer mehr. Dann zerstreuten sie sich. Einige gingen auf dem Pfade am Waldsaume abwärts, auf dem Witiko seinen Weg fortsetzen sollte, andere kamen gegen Witiko herauf, und gingen an ihm vorüber in den Wald. Manche gingen schweigend vorbei, andere sagten: »Gelobt sei der Heiland.«

      »Gelobt sei der Heiland«, antworteten Witiko und sein Führer.

      Endlich war keine der Gestalten mehr zu sehen, die drei Weiber standen auch nicht mehr auf ihrem Platze, und es regte sich nichts als der sanfte Wolkenzug, den der Mond durchschien.

      Jetzt nahmen Witiko und sein Führer auch den Weg wieder auf. Sie gingen auf dem Pfade am Waldsaume hinunter. Als sie den Grasplatz verlassen hatten, kamen sie wieder in dichten Wald. Aber der Weg war