Wieder war Jeffersons Rachewerk vereitelt und wieder trieb ihn sein grimmiger Haß, die Verfolgung fortzusetzen. Zuvor mußte er sich jedoch die nötigen Mittel für die Ueberfahrt erwerben. Als er genug zusammengespart hatte, um unterwegs sein Leben fristen zu können, schiffte er über den Ozean und folgte der Spur seiner Feinde von Stadt zu Stadt. Immer wieder mißlang es ihm, die Flüchtlinge einzuholen. Bei seiner Ankunft in Petersburg waren sie eben nach Paris gereist, und als er ihnen dahin folgte, hatten sie sich gerade nach Kopenhagen eingeschifft; auch dorthin kam er um einige Tage zu spät, da sie bereits nach London unterwegs waren. In der englischen Hauptstadt gelang es ihm zuletzt doch noch ihrer habhaft zu werden. Auf welche Weise dies geschah, erfahren wir am besten aus Jefferson Hopes eigenem Bericht, welchen Dr. Watson ausführlich in seinem Tagebuch niedergeschrieben hat.
Wir kehren daher wieder zu den Aufzeichnungen des jungen Militärarztes zurück, denen wir schon im ersten Teil unserer Erzählung bis zu Jeffersons Festnehmung gefolgt sind.
Fortsetzung von Dr. Watsons Erinnerungen
Trotz des rasenden Widerstands, den unser Gefangener geleistet hatte, schien er doch nicht feindlich gegen uns gesinnt zu sein. Sobald ihm klar geworden war, daß er bei unserer Uebermacht nichts auszurichten vermöge, ergab er sich in sein Schicksal und sprach mit verbindlichem Lächeln die Hoffnung aus, daß keiner von uns bei dem Handgemenge zu Schaden gekommen sein möchte.
»Vermutlich wollen Sie mich auf die Polizei bringen,« wandte er sich an Sherlock Holmes; »meine Droschke steht noch unten; wenn Sie mir die Füße losbinden, kann ich selbst hinunter gehen; es dürfte Ihnen doch schwer fallen, mich zu tragen.«
Gregson und Lestrade wechselten bedeutsame Blicke, der Vorschlag mochte ihnen wohl allzu gewagt erscheinen, aber Holmes nahm den Gefangenen sogleich beim Wort und befreite ihn von dem Tuch, mit welchem wir ihm die Fußgelenke zusammengeschnürt hatten. Als er aufstand, dehnte und reckte er sich, wie um sich zu überzeugen, daß er wirklich der Bande ledig sei. Selten war mir ein Mann mit so gewaltigem Gliederbau vorgekommen, und dabei lag ein Ausdruck von Willensstärke und Entschlossenheit in seinem sonnverbrannten Gesicht, der mir noch furchtbarer erschien als seine riesige Körperstärke.
»Sie sollten Polizeichef werden,« sagte er, Holmes mit aufrichtiger Bewunderung betrachtend. »Die Art, wie Sie meine Spur verfolgt haben, war meisterhaft.«
Mein Freund lächelte. »Sie kommen mit, nicht wahr?« wandte er sich an die beiden Polizisten.
»Ich kann Sie fahren,« versetzte Lestrade.
»Gut, und Gregson steigt mit ein; Sie auch Doktor – da der Fall Sie interessiert, müssen Sie ihn auch weiter verfolgen.«
Ich willigte gern ein und wir begaben uns alle zusammen hinunter. Der Gefangene machte keine Miene zu entfliehen, sondern stieg ruhig in seine Droschke und wir folgten ihm. Lestrade nahm auf dem Bock Platz; er trieb die Pferde an, und bald befanden wir uns an Ort und Stelle. Man führte uns in ein kleines Zimmer, wo ein Polizeiinspektor die Angaben des Gefangenen nebst den Namen der beiden Männer aufschrieb, als deren Mörder man ihn anklagte. Der Inspektor, ein Mann mit blassem Gesicht und bewegungslosen Zügen, waltete mechanisch seines Amtes.
»Im Laufe der Woche wird der Angeklagte dem Richter vorgeführt werden,« sagte er, »inzwischen thun Sie jedenfalls am besten, Jefferson Hope, wenn Sie keinerlei Aussagen machen und Ihre Worte mit Vorsicht wägen, da dieselben vor Gericht gegen Sie zeugen könnten.«
»Ich habe sehr viel zu sagen,« versetzte der Gefangene eifrig; »es ist mein dringender Wunsch, Ihnen meine Herren, die ganze Geschichte zu erzählen.«
»Besser, Sie schieben es auf, bis zu Ihrem Verhör,« sagte der Beamte.
»Wer weiß, ob es dazu überhaupt kommt,« entgegnete Hope. »Fürchten Sie nichts, ich habe keine Selbstmordgedanken, aber doch könnte ein Hindernis eintreten. – Nicht wahr, Sie sind ein Doktor?« Er sah mich mit seinen dunklen Augen fragend an.
Ich nickte bejahend.
»Dann legen Sie Ihre Hand auf meine Brust.«
Ich that, wie er sagte und erschrak, als ich ein heftiges Pulsieren fühlte und auffällige Geräusche im Innern vernahm. Sein Brustkasten schien zu erzittern und zu erbeben, wie ein schwacher Bau, in dem eine mächtige Maschine arbeitet.
»Was ist das?« rief ich, »Sie haben ja ein Herzleiden, das bereits im gefährlichsten Stadium der Entwicklung ist.«
»Ganz recht,« erwiderte er gelassen. »Letzte Woche bin ich deswegen bei einem Arzt gewesen, der mir gesagt hat, es könne nur noch wenige Tage dauern, bis der Tod eintritt. Ich habe mir das Uebel durch schlechte Nahrung und Entbehrungen aller Art zugezogen, während ich im Gebirge am Salzsee hauste und es hat sich seitdem von Jahr zu Jahr verschlimmert. Jetzt ist das Werk meines Lebens gethan und mich kümmert’s nicht, wenn es mit mir zu Ende geht; doch möchte ich zuvor berichten, wie sich alles zugetragen hat, damit man mich nicht für einen gewöhnlichen Mordgesellen hält.«
Nach einer kurzen Besprechung mit den beiden Polizisten, ob es ratsam sei, ihm den Willen zu thun, wandte sich der Inspektor an mich:
»Glauben Sie, daß eine unmittelbare Gefahr vorliegt, Doktor?« fragte er.
»Ohne allen Zweifel,« erwiderte ich mit Bestimmtheit.
»In diesem Fall fordert schon unsere Pflicht im Interesse der Gerechtigkeit, daß wir ein Protokoll aufnehmen. Reden Sie also, Jefferson Hope, wenn Sie es wünschen, aber vergessen Sie nicht, daß Ihre Aussagen zu Ihren Ungunsten gereichen könnten.«
»Wenn Sie nichts dawider haben, will ich mich setzen,« sagte der Gefangene, Platz nehmend. »Seit einiger Zeit werde ich leicht müde; mein Uebel bringt das mit sich. Auch mag der Kampf, den wir vor einer halben Stunde durchgemacht haben, mir nicht sehr zuträglich gewesen sein. Ich stehe am Rande des Grabes, da pflegt man nicht zu lügen; was ich sage, ist die lauterste Wahrheit und mir kann gleichgültig sein, welchen Gebrauch Sie von meinen Worten machen.«
Er legte sich in seinen Stuhl zurück und sprach in so ruhigem, bedächtigem Ton, als handle es sich um die alltäglichsten Vorkommnisse. Für die Genauigkeit des hier folgenden Berichts kann ich mich verbürgen, denn Lestrade hat jedes Wort des Gefangenen nachgeschrieben und mir später sein Notizbuch zur Verfügung gestellt.
»Aus welcher Ursache ich jene beiden Männer so grimmig haßte,« begann Jefferson Hope seine Erzählung, »brauche ich nicht näher zu erörtern. Sie hatten den Tod zweier Menschen, eines Vaters und seiner Tochter, auf dem Gewissen, und ihr eigenes Leben war verwirkt. Doch hätte kein Gerichtshof die Missethäter mehr zur Rechenschaft gezogen, weil schon zu lange Zeit verstrichen war, seitdem sie das Verbrechen begangen hatten. Ich aber wußte um ihre Schuld und fühlte mich berufen, zugleich ihr Richter und der Vollstrecker des Urteils in einer Person zu sein. Ich müßte kein Herz im Leibe haben, hatte ich anders handeln können.
»Das Mädchen, von dem ich sprach, sollte vor zwanzig Jahren meine Gattin werden. Man zwang sie, jenen Drebber zu heiraten und sie starb vor Gram. Ich zog der Toten den Trauring vom Finger und that den Schwur, daß Drebber mit seinem Blut für die Schandthat zahlen solle. Noch in seiner Todesstunde wollte ich die Erinnerung daran in dem Bösewicht wachrufen und ihm den Ring zeigen. Ich folgte ihm und seinem Mitschuldigen durch Länder und Meere, bis ich sie endlich in meine Gewalt bekam; den Ring trug ich stets bei mir. Wenn sie sich vorgespiegelt hatten, ich würde jemals von