John Ferrier gingen die Worte wie ein schneidendes Schwert durchs Herz.
»Man erzählt von ihr, was ich nur ungern wiederhole – daß sie sich einem Ungläubigen versiegelt hat. Es muß wohl ein Geschwätz müßiger Zungen sein, denn – wie lautet die dreizehnte Regel im Gesetz Josef Smiths, des Heiligen? – ›Eine Tochter, die sich zum wahren Glauben bekennt, darf nur mit einem der Auserwählten in die Ehe treten. Heiratet sie einen Ungläubigen, so macht sie sich einer schweren Sünde schuldig.‹ Es ist nicht möglich, daß du, als Anhänger unserer heiligen Lehre, deiner Tochter gestattet haben solltest, dies Gebot zu übertreten.«
John Ferrier gab keine Antwort, er atmete schwer.
»Im heiligen Rat der Vier ist beschlossen worden, daß dieser eine Punkt zum Prüfstein für deinen Glauben dienen soll,« fuhr der Prophet fort. »Das Mädchen ist jung, wir wollen sie nicht einem Graubart vermählen, und ihr sogar die Wahl lassen. Wir, die Aeltesten, sind bereits wohl versehen, aber wir müssen auch für unsere Kinder sorgen. Stangerson und Drebber haben Söhne und jeder von ihnen würde deine Tochter mit Freuden in seinem Hause willkommen heißen. Sie soll sich für einen von ihnen entscheiden. Beide sind jung, reich und bekennen sich zu dem wahren Glauben. Was hast du darauf zu erwidern?«
Ferner zog die Stirn in düstere Falten und schwieg eine Weile.
»Ihr werdet uns Zeit lassen,« sagte er endlich. »Meine Tochter ist sehr jung – noch kaum in heiratsfähigem Alter.«
»Sie soll einen Monat Bedenkzeit haben,« sagte Young von seinem Sitz aufstehend. »Ist diese Frist zu Ende, so erwarten wir ihre Antwort.«
In der Thür wandte er sich noch einmal zurück; sein Gesicht war gerötet, seine Augen funkelten. »Wenn jetzt dein und ihr Gebein im Wüstenstaub bei der Sierra Bianca moderte,« rief er mit Donnerstimme, »es wäre weit besser für dich, John Ferrier, und für sie, als wenn ihr in eurer Ohnmacht wagen solltet, dem Befehl des heiligen Rats der Vier zu trotzen.«
Er erhob die Hand mit drohender Gebärde, dann verließ er das Haus und man hörte den Kies auf dem Fußweg unter seinen Tritten knirschen.
Ferrier saß noch in trübem Sinnen, den Kopf in die Hand gestützt, als er sich leise an der Schulter berührt fühlte. Er blickte auf und sah Lucy neben sich stehen. Ihr bleiches, verstörtes Gesicht ließ ihm keinen Zweifel, daß sie wußte, was geschehen war. »Ich konnte nicht anders,« flüsterte sie voll Bangigkeit, »ich habe alles gehört – seine Stimme schallte durch das ganze Haus. O Vater, Vater – was sollen wir thun?«
»Sei ohne Furcht,« sagte er, sie an sich ziehend, und ließ seine breite, rauhe Hand zärtlich über ihr braunes Haar gleiten. »Irgendwie wollen wir’s schon einrichten. Du hängst doch wohl nach wie vor an deinem Verlobten, nicht wahr?«
Sie schluchzte nur leise und drückte ihm die Hand.
»Ich hab’ mir’s gleich gedacht; so ein hübscher Bursche und ein ordentlicher Christenmensch obendrein; denn das ist hier keiner von allen, trotz ihrer vielen Gebete und Predigten. – Morgen reist eine Gesellschaft nach Nevada ab, da werde ich zusehen, daß ich ihm eine Botschaft schicken kann, um ihn wissen zu lassen, in welcher Not wir stecken. Wenn er dann nicht hier ist, wie der Wind, müßte ich mich sehr in dem jungen Mann getäuscht haben.«
Lucy lächelte unter Thränen. »Wenn er kommt, wird er uns zu raten und zu helfen wissen,« sagte sie zuversichtlich. »Aber ich ängstige mich deinetwegen, Väterchen. Man hört so schreckliche Dinge erzählen, wie es denen ergeht, die sich dem Willen des Propheten widersetzt haben.«
»Aber wir haben das noch gar nicht gethan,« entgegnete der Alte, »und brauchen uns vorläufig nicht zu fürchten. Noch haben wir einen ganzen Monat vor uns und ehe der zu Ende geht, werden wir gut thun, Utah den Rücken zu kehren.«
»Was wird denn aber aus deinem Besitztum?«
»Wir machen zu Geld, was wir können, und lassen das Uebrige zurück. Ich will dir nur offen gestehen, Lucy, daß ich schon längst mit diesem Gedanken umgehe. Ich mag vor keinem Menschen zu Kreuze kriechen, wie die Leute hier vor ihrem verwünschten Propheten. Als freier Mann bin ich geboren und kann mich in diese Art nicht mehr finden – ich bin wohl zu alt dazu. Er soll sich hüten, mir noch einmal ins Gehege zu kommen, sonst hat er eine Ladung Schrot im Leibe, ehe er sich’s versieht.«
»Sie werden uns aber nicht fortlassen wollen,« warf Lucy ängstlich ein.
»Dafür laß mich nur sorgen, wenn Jefferson kommt. Beruhige dich jetzt, mein Herzchen, und weine dir nicht die Augen rot, sonst macht er mir Vorwürfe, wenn er dich sieht. Uns droht keinerlei Gefahr, und du brauchst nichts zu fürchten.«
John Ferrier sprach diese tröstlichen Worte mit großer Zuversicht, doch konnte Lucy nicht umhin, zu bemerken, wie vorsichtig er alle Thüren zur Nacht verschloß und verriegelte, nachdem er zuvor die alte, rostige Jagdflinte, welche für gewöhnlich an der Wand seines Schlafzimmers hing, aufs sorgfältigste gereinigt und geladen hatte.
11. Eine Flucht auf Leben und Tod
Am Morgen nach seiner Unterredung mit dem Propheten begab sich John Ferrier nach der Salzseestadt, suchte dort seinen Bekannten auf, welcher im Begriff stand, ins Gebirge von Nevada zu reisen, und vertraute ihm die Botschaft für Jefferson Hope an. Er hatte dem jungen Manne geschrieben, von welcher furchtbaren Gefahr sie bedroht seien und ihn aufgefordert, unverzüglich zurückzukehren. Nachdem dies geschehen war, ging er erleichterten Herzens heim.
Als er sich seinem Hause näherte, sah er mit Verwunderung, daß an jedem der Thürpfosten ein Pferd angebunden stand. Im Wohnzimmer aber traf er zwei junge Männer, die sich höchst behaglich zu fühlen schienen. Der eine, mit hageren, blassen Zügen, lag im Armstuhl ausgestreckt, die Füße auf dem niedrigen Ofen. Der andere, ein Mensch mit aufgedunsenem, gemeinem Gesicht und einem Stiernacken, stand, die Hände in den Taschen, am Fenster und pfiff eine Melodie. Beide nickten Ferrier vertraulich zu, und der junge Mensch im Armstuhl begann das Gespräch.
»Sie kennen uns vielleicht nicht,« sagte er. »Dies hier ist der Sohn des Aeltesten Drebber und ich bin Josef Stangerson, der mit im Zuge war, als der Herr in der Wüste seine Hand ausstreckte, um Sie mit der Herde der Gläubigen zu vereinen.«
»Wie er alle Völker versammeln wird zu seiner Zeit!« fiel der andere mit schnarrender Stimme ein. »Seine Mühlen mahlen langsam, aber sicher.«
John Ferrier verbeugte sich kühl; er hatte sich schon denken können, wer die Besucher waren.
»Wir kommen auf den Rat unserer Väter,« fuhr Stangerson fort, »und werben um die Hand Ihrer Tochter für denjenigen von uns beiden, welcher Ihnen und ihr am meisten zusagt. Da ich nur vier Frauen habe und Bruder Drebber hier deren sieben besitzt, so scheint mir, daß ich den nächsten Anspruch habe.«
»Bewahre, Bruder Stangerson,« rief der andere; »es handelt sich nicht darum, wie viele Frauen man hat, sondern wie viele man ernähren kann. Mein Vater hat mir jetzt die Fabriken übergeben, und ich bin reicher als du.«
»Aber ich habe bessere Aussichten,« erwiderte jener eifrig. »Wenn der Herr meinen Vater zu sich nimmt, bekomme ich die Lohgerberei und die Lederfabrik. Auch bin ich älter als du und mein Ansehen in der Kirche ist größer.«
»Das Mädchen soll zwischen uns entscheiden,« entgegnete der junge Drebber, sich wohlgefällig im Spiegel betrachtend; »wir wollen es ihr ganz überlassen.«
Während dieses Zwiegesprächs stand John Ferrier schäumend vor Wut an der Thür. Es zuckte ihm in allen Fingern, seine Reitpeitsche auf den Rücken der beiden Bewerber niedersausen zu lassen.
»Hört einmal,« sagte er endlich, auf sie zuschreitend, »wenn meine Tochter euch rufen läßt, mögt ihr kommen; bis dahin