Gesammelte Werke von Sir Arthur Conan Doyle: 52 Krimis & Historische Romane in einem Band. Arthur Conan Doyle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Arthur Conan Doyle
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075836083
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habe nun nichts mehr zu wünschen und zu hoffen auf der Welt.

      »Ihre Verfolgung ließ sich nicht leicht ins Werk setzen, denn sie waren reich und ich arm. Mit leeren Taschen kam ich in London an und sah ein, daß ich irgend etwas ergreifen mußte, um meinen Unterhalt zu erwerben. Da ich mit Wagen und Pferden gut umzugehen verstehe, begab ich mich nach einem Droschkenbureau und fand bald Beschäftigung, Wöchentlich mußte ich eine bestimmte Summe abliefern; den Ueberschuß durfte ich behalten, er war zwar nur gering, aber ich hatte gelernt, mich mit wenigem zu begnügen. Um mich in dem Straßenlabyrinth zurechtzufinden, schaffte ich mir eine Karte an, die ich zu Rate zog. Anfänglich machte das große Schwierigkeiten, aber sobald mir einmal die hauptsächlichsten Hotels und Bahnhöfe geläufig waren, half mein guter Ortssinn alle Hindernisse zu überwinden.

      »Es währte lange, bevor ich die Spur meiner Feinde entdeckte, doch ließ ich in meinen Erkundigungen nicht nach, bis ich wußte, wo ich sie zu suchen hatte. Sie waren in Camberwell, auf dem jenseitigen Flußufer, in einem Logierhaus abgestiegen. Nun ich ihren Aufenthaltsort kannte, heftete ich mich an ihre Fersen – es gab für sie kein Entrinnen mehr. Daß sie mich wiedererkennen würden, fürchtete ich nicht; ich hatte mir den Bart wachsen lassen, und mein Aussehen war völlig verändert; nur eine günstige Gelegenheit, um mein Vorhaben auszuführen, wollte ich abwarten.

      »Ich folgte ihnen auf Schritt und Tritt, manchmal zu Fuß, meistens aber mit meiner Droschke, weil ich dann sicher war, sie einzuholen. Nur am frühen Morgen oder spät am Abend konnte ich noch dem Dienst nachgehen, und kam bald in Rückstand bei meinen Brotherren. Das kümmerte mich jedoch wenig, denn ich trachtete nur danach, mir die Leute nicht entgehen zu lassen.

      »Sie mochten wohl ahnen, daß ihnen Gefahr drohe, und waren schlau genug, die äußerste Vorsicht zu beobachten. Nie gingen sie nach Einbruch der Dunkelheit aus, und stets traf man sie zusammen. Zwei Wochen lang fuhr ich täglich hinter ihnen her, aber ich bekam niemals den einen ohne den andern zu sehen. Drebber war fast immer betrunken, aber dafür hielt Stangerson unablässig die Augen offen. Hatte sich auch, trotz meiner Ausdauer und Wachsamkeit, bisher keine Gelegenheit zur Ausführung meines Planes geboten, so verlor ich doch den Mut nicht, denn eine innere Stimme sagte mir, daß die Stunde der Vergeltung nicht mehr fern sei. Was ich am meisten fürchtete, war, daß mich mein Herzleiden an der Vollendung des Werkes hindern könne.

      »Eines Abends fuhr ich, wie ich öfters that, in der Straße auf und ab, in der sie wohnten, und sah, daß eine Droschke vor der Thür ihres Hauses hielt. Bald darauf wurden Koffer herausgebracht, Drebber und Stangerson erschienen auf der Schwelle, stiegen ein, und der Wagen rollte mit ihnen fort. Ich folgte in großer Eile und Bestürzung, um sie nicht aus den Augen zu verlieren. Als ich sie am Eustoner Bahnhof aussteigen sah, rief ich einen Knaben herbei, um mein Pferd zu halten, und betrat gleich nach ihnen den Bahnsteig. Sie kamen jedoch zu spät, der Zug nach Liverpool, den sie benützen wollten, war bereits abgefahren und bis zu dem nächsten hatte es noch mehrere Stunden Zeit, wie ihnen der Schaffner auf ihre Frage mitteilte. Stangerson schien hierüber sehr ungehalten, während Drebbers Miene eher Befriedigung verriet. Es gelang mir, ihnen in dem Gedränge so nahe zu kommen, daß ich jedes Wort ihres Gesprächs verstand. Drebber sagte, er habe noch eine kleine Angelegenheit zu ordnen, sein Gefährte möge hier auf seine Rückkehr warten. Als Stangerson Einspruch erhob, weil sie beschlossen hätten, beisammen zu bleiben, entgegnete Drebber, sein Geschäft sei delikater Natur, er müsse es allein besorgen. Stangersons Antwort konnte ich nicht verstehen, aber sie versetzte den andern in Wut; mit einem wilden Fluche fuhr er auf und schrie, er möge nicht vergessen, daß er nur ein bezahlter Diener sei, und ihm nichts zu befehlen habe. Der Sekretär gab nun den vergeblichen Widerstand auf und äußerte nur noch, daß Drebber ihn in Hallidays Privathotel aufsuchen möge, falls er auch noch den letzten Zug versäume. Jener versicherte jedoch, er werde vor elf Uhr wieder da sein, und verließ den Bahnhof.

      »Nun endlich war der Augenblick gekommen, auf den ich so lange geharrt hatte: die Bösewichte waren in meine Hand gegeben. Vereint konnten sie einander schützen, getrennt hatte ich Gewalt über sie. Doch wollte ich nichts übereilen und ging mit der größten Besonnenheit zu Werke. Die Rache gewährt nur Befriedigung, wenn unser Feind sich selbst bewußt wird, wessen Hand es ist, die den Streich gegen ihn führt, und weshalb ihn die Vergeltung trifft. Mir lag bei meinem Plan vor allem daran, dem Schändlichen keinen Zweifel zu lassen, daß er die Strafe für seine alte Schuld erleide. Einige Tage zuvor hatte ein Herr, der sich nach der Brixtonstraße fahren ließ, um dort verschiedene Häuser zu besichtigen, den Schlüssel zu einem derselben zufällig in meiner Droschke vergessen. Er forderte ihn mir zwar noch am selben Abend ab und erhielt ihn auch zurück, aber ich hatte doch Zeit gehabt, einen Abdruck davon zu nehmen, nach welchem ich einen Schlüssel zu meinem Gebrauch anfertigen ließ. So verschaffte ich mir den Zugang zu einem Platz in dieser großen Stadt, an dem ich sicher war, ungestört zu bleiben. Es galt jetzt nur noch, die schwierige Aufgabe zu lösen, Drebber nach diesem Hause zu bringen.

      »Er ging die Straße hinunter und trat bald in diese bald in jene Schenke; in der letzten, welche er aufsuchte, blieb er wohl eine halbe Stunde. Als er wieder zum Vorschein kam, schwankte er unsicher hin und her und ich sah ihn in eine Droschke steigen. Natürlich fuhr ich dicht hinter ihm drein, über die Waterloo-Brücke und durch endlose Straßen, bis wir uns schließlich zu meiner Verwunderung wieder vor dem Logierhaus befanden, welches er vor kurzem verlassen hatte. Was ihn dorthin zurückführen könne, begriff ich nicht. Während er ausstieg, seine Droschke fortschickte und in das Haus trat, fuhr ich noch etwa hundert Schritt weiter und wartete. Eine Viertelstunde verging, da wurden plötzlich im Innern des Hauses zornige Stimmen laut, die Thür ward aufgestoßen und ich sah einen jungen, mir unbekannten Menschen; der Drebber am Kragen gepackt hatte. Mit einem kräftigen Stoß schleuderte er ihn die Stufen hinunter, bis in die Mitte der Straße. ›Warte, du Hund,‹ rief er und hob drohend den Stock, den er in der Hand hielt, ›ich will dich lehren, ein rechtschaffenes Mädchen zu beschimpfen!‹ – Er war in so heftigem Zorn, daß Drebber es wohl geraten fand, sich davonzumachen, so rasch ihn seine Beine tragen wollten. Er lief geradeswegs auf meine Droschke zu, die an der Straßenecke hielt. ›Nach Hallidays Hotel!‹ rief er und sprang hinein.

      »Als ich ihn glücklich im Wagen hatte, pochte mein Herz vor Freude so laut, als wollte es zerspringen. Ich zwang mich, ruhig zu bleiben, fuhr langsam weiter und überlegte, was nun zu thun sei. Einen Augenblick schwankte ich, ob ich ihn nicht zur Stadt hinausfahren und in irgend einer abgelegenen Gegend die letzte Unterredung mit ihm halten solle; fast war ich schon dazu entschlossen, als er selbst die Frage entschied. Wir kamen an einer Schenke vorbei und der Trunkenbold konnte dem Verlangen, einzukehren, nicht widerstehen; er befahl mir zu warten, und kam erst wieder heraus, als die Wirtschaft geschlossen wurde. Sein Zustand war jetzt derart, daß er keinen Widerstand mehr zu leisten vermochte.

      »Glauben Sie aber nicht, daß meine Absicht war, ihn mit kaltem Blute umzubringen. Längst hatte ich beschlossen, ihm noch eine Möglichkeit der Rettung zu gönnen, wenn er auf meinen Plan eingehen wollte. Während meines Wanderlebens in Amerika hatte ich auch eine Zeitlang den Aufseherposten in einem Laboratorium bekleidet. Eines Tages zeigte der Professor bei seiner Vorlesung über die Gifte, den Studenten ein Alkaloid, wie er es nannte, welches er aus einem südafrikanischen Pfeilgift bereitet hatte, und von dem, wie er sagte, selbst die kleinste Dosis unmittelbar den Tod nach sich ziehe. Ich merkte mir das Fläschchen und sobald ich allein war, entnahm ich demselben einige Tropfen der Flüssigkeit. Na ich mich auch auf das Apothekerhandwerk verstand, fertigte ich mir eine Anzahl Pillen an, von denen einige vergiftet, die andern ganz unschädlich waren. Eine Pille von jeder Sorte that ich in eine Schachtel, mit der Absicht, am Tage der Rechenschaft meinem Feinde die Wahl zwischen beiden zu lassen und selbst diejenige zu verschlucken, welche er übrig ließ. Es war so gut ein Zweikampf auf Tod und Leben wie jeder andere, nur würde er in der Stille vor sich gehen. Seit jener Zeit trug ich die Pillenschachteln stets bei mir, und jetzt war der Augenblick gekommen, da sie ihren Zweck erfüllen sollten.

      »Mitternacht war längst vorüber, ein heftiger Wind hatte sich erhoben und der Regen fiel in Strömen. Obgleich von Nässe und Kälte durchfröstelt, jubelte ich doch innerlich vor Freude. Zwanzig Jahre lang hatte ich vergebens danach getrachtet, Wiedervergeltung zu üben, jetzt endlich sollte mein heißes Verlangen Befriedigung finden. Aus dem Dunkel tauchte vor meinem Geist John Ferriers