»Hören Sie, Liebste. Ich will Ihnen von Männern, von ihren Gedanken und von ihrem Tun und Lassen erzählen. Glauben Sie nicht wie Ihre Landsleute, dass ich verrückt und eine Hexe mit bösem Blick bin. Haha! Wenn ich an die dumme Maggie Donahue denke, die ihrem Kind das Gesicht zudeckt, wenn wir uns treffen! Eine Hexe bin ich zwar gewesen, das ist wahr. Aber es waren Männer, die ich verhexte. Oh, ich bin klug, sehr klug, mein Kind. Ich will Ihnen erzählen, wie Frauen zu Männern und Männer zu Frauen sind, und ich kenne die besten sowohl wie die schlechtesten. Ich kenne das Tier, das in allen Männern lebt, und weiß, welche Männer es sind, die dummen Frauen, die nichts verstehen, das Herz brechen. Und alle Frauen sind dumm. Aber ich bin es nicht. La la, hören Sie. Ich bin eine alte Frau, und wie andere Frauen sage ich nicht, wie alt ich bin. Aber dennoch kann ich Männer fesseln. Ja, und wenn ich hundert Jahre alt und zahnlos wäre und meine Nase über das Kinn herabhinge, so würde ich doch noch Männer fesseln können. Keine jungen Männer. Die beherrschte ich, als ich selber jung war. Aber die alten, die für mein Alter taugen. Und es ist gut für mich, dass ich diese Macht habe. Ich habe weder Freunde noch Geld. Aber Klugheit besitze ich und Erinnerungen – Erinnerungen, die jetzt Asche sind, aber herrliche Asche, von Jubel funkelnde Asche. Alte Frauen wie ich hungern und frieren, oder sie kommen ins Armenhaus und in Armengräber. Aber ich nicht! Ich halte meinen Mann fest. Es ist zwar nur Barry Higgins – der alte Barry, schwerfällig wie ein Ochse, aber er ist ein Mann und sonderbar wie alle Männer. Allerdings hat er nur einen Arm.« Sie zuckte die Achseln. »Das hat auch sein Gutes. Er kann mich nicht schlagen, und alte Knochen sind empfindlich.
Liebe kleine Frau, Sie müssen lernen. Abwechslung! Das ist das Zauberwort. Das ist der goldene Schlüssel. Das ist das Spielzeug, das sie ergötzt. Wenn die Frau das nicht hat, dann wird der Mann ein Pascha. Hat sie es, so wird er ihr Sklave und nur der ihre. In einer Frau müssen viele Frauen stecken. Wenn Sie sich die Liebe Ihres Mannes bewahren wollen, müssen Sie alle Frauen für ihn verkörpern. Sie müssen immer neu sein, betaut vom Glanz der Neuheit, eine Blume, die sich nie so weit entfaltet, dass sie welkt. Sie müssen ein ganzer Blumengarten sein, immer neu, immer frisch, immer verschieden. Und in Ihrem Garten soll der Mann nie den letzten Strauß pflücken dürfen. Hören Sie, kleine Frau. Im Garten der Liebe lebt eine Schlange: der Gemeinplatz. Zertreten Sie ihr den Kopf; sonst vernichtet sie Ihren Garten. Vergessen Sie den Namen nicht: der Gemeinplatz. Werden Sie nie zu intim. Männer sind scheinbar plump, aber Frauen sind plumper als Männer. Widersprechen Sie mir nicht, kleine Frau. Sie sind noch ein Kind. Frauen sind weniger feinfühlig als Männer. Sollte ich das nicht wissen? Erzählen Sie nicht anderen Frauen ihre intimsten Liebesgeheimnisse mit ihren eigenen Männern? Das tun Männer nie. Können Sie das erklären? Es gibt nur eine Erklärung: In allem, was Liebe betrifft, sind Frauen weniger feinfühlig als Männer. Das ist ihr großer Fehler. Das ist es, was den Gemeinplatz schafft, und der Gemeinplatz ist es, der wie eine ekle Schlange die Liebe mit Schlamm beschmutzt und vernichtet.
Seien Sie feinfühlig, kleine Frau. Zeigen Sie sich nie ohne Schleier, ohne viele Schleier. Hüllen Sie sich in tausend Schleier ein, die von kostbaren Stoffen und von teuren Juwelen schimmern und funkeln. Lassen Sie sich nie den letzten Schleier entreißen. Verschanzen Sie sich gegen den morgigen Tag mit mehr Schleiern, neuen Schleiern, Schleiern ohne Zahl. Nur dürfen die vielen Schleier nicht nach vielen aussehen. Jeder Schleier muss wie das einzige sein, was zwischen Ihnen und Ihrem hungernden Liebhaber ist, der nicht weniger haben will als Sie ganz und gar. Jedes Mal muss es aussehen, als bekäme er alles, als zerreiße er den letzten Schleier, der Sie verbirgt. Das muss er glauben. Aber es darf nicht geschehen. Am nächsten Tag muss er wieder einen letzten Schleier finden, den er noch nicht gesehen hat.
Vergessen Sie das nicht, jeder Schleier muss wie der letzte und einzige sein; immer muss es aussehen, als gäben Sie alles preis, und immer müssen Sie noch etwas in Reserve haben, das Sie morgen und an den folgenden Tagen preisgeben können. Auf die Weise entsteht Abwechslung, Überraschung, sodass das Verlangen Ihres Mannes nie nachlässt, und dass seine Augen weiter nach dem Neuen in Ihnen spähen und nicht nach anderen Frauen sehen. Dass Sie und Ihre Schönheit frisch und neu in seinen Augen waren, das war das Mysterium, mit dem Sie Ihren Mann gewannen. Wenn ein Mann eine Blume gepflückt und all ihre Süße getrunken hat, dann sieht er sich nach anderen Blumen um. Sie müssen immer eine Blume sein, die beinahe und doch nie ganz gepflückt wird, ein Becher voller Süßigkeit, den er nie austrinkt, obwohl er ihn beständig leert.
Dumme Frauen – und sie sind alle dumm – glauben, wenn sie einen Mann erst gewannen, so haben sie für immer gesiegt. Dann setzen sie sich hin und werden fett und schlaff und tot und öde im Herzen. Ach, sie sind so dumm, so dumm! Aber Sie, Kindchen, die Sie Ihren ersten Sieg errungen haben, Sie müssen Ihr Liebesleben zu einer endlosen Reihe von Siegen machen. Jeden Tag müssen Sie Ihren Mann von neuem gewinnen. Und wenn Sie den letzten Sieg errungen haben, wenn Sie nicht mehr gewinnen können, dann ist es vorbei mit der Liebe. Ja, vorbei, und Ihr Mann wandert in fremde Gärten. Vergessen Sie das nicht: Liebe muss stets unbefriedigt sein, sie muss eine Begierde, scharf wie eine Messerschneide sein und nie gestillt werden. Sie müssen den Hunger Ihres Geliebten stillen, so gut, ach so gut! Ja, geben Sie, geben Sie, aber lassen Sie ihn hungrig von Ihnen gehen, dann kommt er wieder, um mehr zu erhalten.«
Frau Higgins erhob sich plötzlich und verließ das Zimmer. Saxon bemerkte unwillkürlich, dass immer noch Geschmeidigkeit und Anmut in diesem mageren und welken Körper wohnten. Sie beobachtete Frau Higgins, als sie wiederkam, und stellte fest, dass diese geschmeidige Anmut nicht nur Einbildung war.
»Heute habe ich Sie nicht einmal den ersten Buchstaben vom Alphabet der Liebe gelehrt«, sagte Frau Higgins, als sie sich wieder setzte.
Sie hielt in ihren Händen ein kleines Instrument aus feinem Holz von warmen braunen Farben. Es glich einer Guitarre, hatte aber nur vier Saiten. Sie ließ die Finger darüber hingleiten und begann, mit zarter, leiser Stimme eine Melodie in einer fremden Sprache mit vielen warmen Vokalen zu singen. Weich vibrierend stiegen Stimme und Saiten wie Wogen der Leidenschaft, erstarben in Flüstern und Kosen, verirrten sich in das Dunkel der Liebe oder schwollen wieder zu einem barbarischen, gebieterischen Liebesschrei, worin klagende Rufe und wahnsinnige Lockungen und Versprechungen sich mischten. Es bezauberte Saxon, sodass sie schließlich selber zu lauter zitternden Saiten wurde. Wie ein Traum erschien es ihr, und als Mercedes schließlich aufhörte, schwindelte es ihr.
»Wenn Ihr Mann Ihnen Ihr allerletztes Geheimnis entrissen hat und alles an Ihnen ihm bekannt und alt geworden ist, dann müssen Sie dieses Lied singen, das ich Ihnen jetzt vorgesungen habe, und sein Arm wird sich wieder