»Es genügt, Herr Zeuge«, unterbrach ihn der Vorsitzende. »Wir haben genug von den Squaws gehört.«
»Diesmal bitte ich, den Zeugen nicht zu stören!« protestierte Frona und sah dabei ganz sorglos aus. »Jetzt scheint mir das Thema wichtig zu sein.«
»Immer das Unterbrechen!« knurrte Bishop. »So ’n Vorsitzenden habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Und Sie können mir schon glauben, dass ich in ein paar Weltteilen mit dem Gericht so die eine oder andere kleine Bekanntschaft gemacht hab’. Ich könnte schon lange fertig sein, aber immer fährt mir da irgend so ein Grünschnabel dazwischen. Ich bitte auch um Verzeihung, Herr Vorsitzender, natürlich will ich Ihrer Würde nicht zu nahe treten. Also da hatte mein Gregory ja wohl eine Wut auf mich, wegen der väterlichen Züchtigung, wenn ich so sagen darf. Und außerdem hat er vielleicht gedacht, eine hübsche Squaw im Boot ist besser als so ’n borstiger Jung’ mit ’m Fußsack am Kinn. Auf einmal krieg’ ich da von hinten eines mit dem Gewehrkolben über das Köpfchen, rein die Squaw ins Kanu, mich liegengelassen und los … Wie das Yukonland damals war, das wisst ihr ja, Jungs! Stellt euch da mal einen vor, ohne Ausrüstung, mutterseelenallein, 1000 Meilen tief in der Wildnis. Ist das ein Wunder, dass ich nicht gut auf den werten Herrn zu sprechen bin? Gerettet habe ich mich ja, sonst könnte ich euch das alles nicht erzählen. Aber eine Vergnügungsreise war es nicht, und dass ich nicht verhungert und erfroren bin, das begreife ich selbst noch nicht ganz. Und nu hab’ ich ja denn hier auch so ’n Buch in der Hand, das hat mir die Frau von Peter Whipple verkauft, und das ist ein sehr interessantes Buch, wenns auch auf russisch geschrieben ist, und wenn ich auch kein Russisch lesen kann. Aber wenn hier einer Russisch lesen könnte, dann wär’ das schön. Denn da steht auch so einiges drin, was den feinen Herrn ins richtige Licht setzt.«
»Courbertin! Der kann Russisch!« tönte eine Stimme aus der Menge. Man machte dem Franzosen Platz. Trotz seinem Zögern wurde er in die vorderste Reihe geschoben.
»Sie können die Sprache?«
»Sehr sleckt! Ick ’abe vergessen!«
»Nur los! Wir kritisieren nicht.«
Del gab dem Baron das Buch und schlug das vergilbte Titelblatt auf.
»Großartig, dass wir Sie haben, Herr Baron. Nu man tau!«
Courbertin begann zögernd: »Dieses Buch, geschrieben von Pater Jakonsk, ist ein kurzer Bericht über sein Leben im Benediktinerkloster zu Obidorski und eine ausführliche Beschreibung seiner wunderbaren Abenteuer unter den Hirschmännern in Ostsibirien.«
»Sagen Sie uns, wann das hübsche kleine Buch gedruckt worden ist, Herr Baron?« verlangte Del.
»Warschau, 1807.«
Der Goldtaschengräber triumphierte: »Aufpassen; Jungs! Nasen gespitzt! 1807!«
Der Baron las die Einleitung: »Es war alles Tamerlans Schuld«, begann er. Bei diesen Worten wurde Frona leichenblass, sie kroch förmlich in sich zusammen. Einmal sandte sie ihrem Vater einen verstohlenen Blick zu, als bäte sie um Verzeihung. St. Vincent starrte sie an, sie fühlte es, aber sie gab ihm keinen Blick zurück. Alles, was er sah, war ein weißes, völlig ausdrucksloses Gesicht.
»Als Tamerlan mit Feuer und Schwert durch Ostasien zog«, ging die Vorlesung weiter, »wurden Staaten vernichtet, Städte zerstört und Stämme wie Staub in alle Winde zerstreut. Ein ungeheures Volk wurde zum Lande hinausgejagt …«
»Überspringen Sie ein paar Seiten«, verlangte Bill Brown, »wir können nicht die ganze Nacht hier sitzenbleiben.«
»Die Bevölkerung der Küste bestand aus Eskimos, das sind heitere und gutartige Menschen«, buchstabierte Courbertin. Plötzlich wurde sein Vortrag flüssiger, unwillkürlich sprach er wie auswendig vor sich hin:
»… sie nennen sich selber Ukilions, das heißt Meeresleute. Ich kaufte ihnen Hunde und Proviant ab, wir kamen gut miteinander aus. Aber die Ukilions waren einem Binnenlandstamm untertan, den Tschautschuins, das heißt in unserer Sprache ›Hirschmenschen‹. Die Tschautschuins sind ein wildes, unbezwingbares Volk, grausam und boshaft, wie nur Mongolen werden können. Kaum hatte ich die Küste hinter mir, da überfielen sie mich …«
Ein paar Seiten später erklärte Bill Brown: »Danke, das genügt. Wollen Sie uns noch einmal sagen, wann das Buch erschienen ist?«
»Warschau, 1807.«
In der Versammlung war kaum ein Mann, der den ganzen Bericht von St. Vincents Sklavenzeit, seinem Aufstieg unter den Hirschmännern und seiner Flucht nicht schon oft gehört hatte oder mindestens vom Hörensagen kannte. Aus dem Flüstern und Kopfschütteln, mit dem der Anfang von Courbertins Vorlesungen aufgenommen worden war, wurde langsam heiteres Lachen, und zuletzt konnte man glauben, in einem Theater zu sein, auf dessen Bühne die lustigste Posse vorgeführt wurde. Die Männer schlugen sich auf die Schenkel, stießen einander in die Seiten, und zuletzt wurde ihr Lachen ein Gebrüll fassungsloser Heiterkeit.
»Willst du lieber nichts mehr mit der Geschichte zu tun haben?« fragte Welse leise seine Tochter. Ihr Gesicht hing voll von Tränen, aber sie schüttelte den Kopf.
»Ich muss ihn trotz allem verteidigen, Vater. Es ist meine Pflicht.«
*
St. Vincent war erstaunlich tapfer, als er endlich das Wort bekam, um sich zu verteidigen. Vielleicht hatte er nach diesem ungeheuren Ausbruch von Lachen das Gefühl, ganz ernst sei die Verhandlung nicht mehr. Jedenfalls sprach er klar und männlich und fasste sich kurz. Sein Bericht widersprach in keinem Punkt dem, was La Flitche und John vorgebracht hatten. Auch die Geschichte mit dem Waschzuber stellte er genau so dar, wie die schwedischen Zeugen es getan hatten. Er gab zu, dass Bella mit seiner Waffe getötet worden war, und behauptete, er habe sie Borg schon einige Tage zuvor geliehen. Die Anklage Bellas sei unbegreiflich, ganz sicher war die arme Frau verwirrt. Sicher sei sie nicht mit einer bewussten Lüge auf den Lippen gestorben. Er wolle der Toten keinen Stein ins Grab nachwerfen. Über die Aussage Del Bishops wolle er sich gar nicht äußern. Das sei kindisches, boshaftes Geschwätz eines Burschen, den man als Großmaul und Raufbold kannte. Der Mann sei mit ihm nach Alaska gekommen, alles andere sei Erfindung, zu töricht, um vor ernsten Männern darauf zu antworten. Ein Zeuge, der den Vorsitzenden zum Boxen herausfordert und bedroht, sei kein Zeuge.
Jetzt erhob sich Bill Brown: »Sie wollen, Angeklagter, mit zwei geheimnisvollen Männern einen furchtbaren Kampf bestanden haben?«
»Jawohl.«
»Wie kommt es