»Das war ein herrlicher Tag!« antwortete Frona. »Aber morgen … Erst morgen werden wir unsere Kraft wirklich brauchen. Morgen früh beginnt der Schicksalstag.«
»Ich stehe zu euch«, versprach Corliss. »Ich wünsche diesem Burschen, der mir Ihr Herz gestohlen hat, nichts Gutes. Aber bis er von diesem Verdacht gereinigt ist, bis er frei ist, so lange will ich alles vergessen. Und ich bin auch stark genug, wirklich alles zu vergessen. Wenn ich nicht Angst vor großen Worten hätte, würde ich sagen: ich stehe zu euch bis zum Tod! Und darauf könnten Sie sich verlassen.«
»Wie Sie sind, Vance! Ich kann es Ihnen nie vergelten!«
»Vergelten? Liebe kann man nicht vergelten. Lieben heißt: dienen. So verstehe ich es.«
Bei diesen Worten schoss Frona alles durch den Kopf, was sie mit Vance erlebt, was sie von ihm erfahren, und jedes Wort, das sie von ihm gehört hatte.
»Wir müssen so echte, so gute Freunde sein und immer bleiben, Vance, dass nie wieder ein falscher Gedanke zwischen uns treten kann. Es gibt dumme Menschen, die nicht glauben wollen, dass es Freundschaft zwischen Mann und Frau gibt. Aber wie ich Sie liebe, wie ich Sie verehre, als Kameraden, als Mann, als Freund, davon wissen diese Menschen nichts!«
»Kameradschaft?« fragte er. »Jetzt sind Sie grausam, Frona. Denn Sie wissen doch, – dass ich Sie – liebe?«
»Ja«, sagte sie leise.
*
Sie waren eigentlich zum Sterben müde, Frona und Corliss; sie hatten an einem Tag erlebt, was den Inhalt eines Jahres bilden konnte. Mit ihren Muskeln wie mit ihrem Hirn, mit ihren Armen wie mit ihrem Herzen hatte die junge Frona bis zur Verzweiflung gerungen und gekämpft, fast ohne Pause, mit wenig Schlaf, mit wenig Nahrung. Aber in tiefer Nacht rief sie noch die Vertrauten zusammen, entwarf ihren Kriegsplan für den nächsten Tag und wies jedem seine Rolle zu. Wenn der Gerichtshof ein gerechtes Urteil sprach, war alles gut. Fällte er einen Fehlspruch, dann galt Gewalt gegen Justizmord und Flucht gegen ungerechte Verfolgung.
»Es ist abenteuerlich, mein Kind, vielleicht ist es Wahnsinn«, urteilte Jacob Welse. »Aber für den Augenblick schaffen wir dem armen Burschen Luft. Ich glaube auch, dass es gelingen wird. Wir werden dafür sorgen, dass er dann vor ein wirkliches Gericht kommt, denn die Gerechtigkeit darf nicht betrogen werden. Die Leute hier im Wald sollen nicht glauben, dass sie außerhalb des Gesetzes stehen.«
»Eine ’errlicke Staatscoup«, frohlockte der Baron, »’errlick! ’errlick! ’Ände och! Ick werden rufen – Skreckerlick streng! Und fürkterlick.«
»Aber wenn sie die Hände nicht hoch heben –?« fragte Jacob Welse.
»Dann schießen Sie, Courbertin!« rief Frona, hundertprozentig entschlossen. »Man darf nicht bluffen, wenn man ein Leben zu retten hat.«
»Ick ssießen, Mademoiselle! Ick ssießen und treffen!«
»Und Sie stehen mit dem Boot bereit, Vance! Sie warten den ganzen Tag, wir werden Ihnen keine Botschaft geben können. Wenn Gregory angestürzt kommt, springt er zu Ihnen ins Boot, und dann fort mit ihm, nach Dawson!«
Dann sackte sie ab, sie fiel vom Stuhl und blieb, ohne Decken, ohne Kissen, steif auf dem Boden liegen. Die Müdigkeit hatte sie plötzlich überfallen wie ein feindlicher Riese, sie konnte sich nicht wehren.
*
Jacob Welse wurde von den Goldgräbern mit aller Hochachtung empfangen, an die er gewöhnt war, und als er das Wort ergriff, herrschte tiefes Schweigen im Saale.
»Meine Herren«, verkündete er. »Diese Versammlung ist wider das Gesetz, und was Sie beschließen wollen, kann niemals ein Richterspruch sein. Es hat Zeiten gegeben, in denen dies Land ohne Regierung war und ohne Gesetze, und damals hatten wir das Recht, ja sogar die Pflicht, Übeltäter aus unseren Reihen zu stoßen oder selbst Gericht über sie zu halten. Heute aber haben wir eine Regierung. Dieser Mann gehört vor die Richter, die das Gesetz ihm zuweist, und wenn Sie ihn verurteilen, wenn Sie ihn hinrichten, begehen Sie ein Verbrechen, das man als Mord bezeichnen wird. Ich – und mir werden Sie glauben, dass meine Worte kein leerer Klang sind –, ich selbst werde der erste sein, der jeden, der sich hier das Amt eines Richters anmaßt oder gar das Amt eines Scharfrichters anmaßen möchte, der Strafe zuführen wird, die er verdient. Der Angeschuldigte ist in Haft zu nehmen … so weit reicht unsere Befugnis. Er ist in Haft zu halten, bis der Staat sich seiner bemächtigt. Ich habe gesprochen.«
»Ich beantrage Abstimmung über den Antrag des Herrn Jacob Welse«, sagte der Vorsitzende, ohne selbst Stellung zu nehmen.
»Das war kein Antrag, über den Sie abzustimmen haben!« unterbrach Welse mit furchtbarem Ernst. »Sie haben die Verhandlung aufzuheben und dieses rechtsbrecherische Verfahren zu schließen!«
»Sie haben gesprochen, Herr Welse. Jetzt sprechen wir!«
Damit hatte der Vorsitzende seine eigene Stellung gekennzeichnet, und im Augenblick wurde die Frage entschieden. Alle Hände flogen empor, als er die Versammlung fragte, ob sie sich befugt glaube, ein Urteil zu fällen. Mit allen Stimmen war Welses Antrag abgelehnt.
»Du siehst, ich bin verloren«, flüsterte St. Vincent Frona zu. »Für mich gibt es keine Hoffnung …«
Aber Welse riss zum zweiten Mal das Wort an sich und donnerte den Leuten zu, was er auf dem Herzen hatte: dass Lynchgericht mit dem Tode bestraft würde, dass ein ungeheurer Prozess und maßlose Katastrophen über die Beteiligten hereinbrechen würden … Schrecken über Schrecken, wie Klondike sie noch nicht erlebt hatte. Er fand einige Anhänger, aus der Verhandlung wurde ein Chaos wild diskutierender und drohender Menschen, und in diesem Tohuwabohu von Stimmen gelang es Frona, ihrem Schützling mitzuteilen, was sie sich am Abend zuvor zu seiner Rettung ausgedacht hatte.
»Sie werden alle ›Hände hoch‹ machen, wenn sie auf einmal in drei Revolvermündungen sehen! In diesem Augenblick kannst du fliehen. Das Boot liegt bereit … kümmere dich nicht um uns, nicht um meinen Vater, nicht um mich, Vincent! Sie werden die Hand nicht an uns legen! Und selbst wenn! In dieser Stunde bist du dir selbst der Nächste …«
»Das ist Wahnsinn«, hauchte er, grau das Gesicht und mit gesträubtem Haar.
»Aber es ist doch keine andere Rettung für dich!«
»Ich kann nicht, Frona.«
»Kämpfen sollst du, für dein Leben kämpfen!«
»Lass mich, lass mich.«
Die nächsten Zeugen, zwei Schweden,