Kimball rührte sich nicht auf seinem Platz, sondern taxierte den kleinen Mann weiterhin, der sich seine Resthaare mehr schlecht als recht über die Glatze gekämmt hatte, was dem Ritter bei ausnahmslos jedem ihrer Treffen ein kleines Schmunzeln abtrotzte.
»Mr. Hayden …«
»Kimball«, unterbrach er ihn. »Ich möchte, dass Sie mich Kimball nennen.« Eigentlich wollte er das nicht, er ließ damit lediglich seine Muskeln spielen, um zu zeigen, dass er hier den Ton angab.
»Na gut, Kimball. Wenn Sie es so wünschen.«
Er zog eine Augenbraue hoch. »Ich wünsche es so.«
Monsignores Zigarette erlosch im Aschenbecher. Er hielt seine zusammengedrückten Finger ruhig, während sich bedingt durch ihrer beider Verstocktheit eine unüberbrückbare Kluft zwischen ihnen auftat.
»Und wie möchten Sie die heutige Sitzung einläuten?«, fragte Giammacio.
»Wie jede andere auch«, antwortete Kimball. »Indem ich deutlich mache, dass ich das hier für eine absolute Zeitverschwendung halte.«
»Warum erklären Sie das dann nicht dem Papst? Oder fehlt Ihnen dazu der Mut?«
Hayden lehnte sich ebenfalls zurück. Dass der Therapeut ihn kritisiert hatte, erstaunte ihn. Fürs Erste gab er klein bei. »Entschuldigen Sie bitte, Monsignore«, erwiderte er. »Ich schätze mal, Sie wären genauso gern woanders wie ich.«
»Wo ich gern wäre oder was ich will, spielt jetzt keine Rolle«, stellte Giammacio klar. »Es geht darum, dass wir endlich dahinterkommen, was Sie wollen, also hinter die Wahrheit dessen, was Glauben von Schicksalergebenheit unterscheidet … Sie unterscheiden sich gar nicht großartig von irgendjemand anderem, der zu mir kommt.«
Kimball schloss resignierend seine Augen. Sein einst so eiserner Wille wurde nach und nach immer schwächer, ein vielversprechendes Zeichen für den Monsignore.
Darum eröffnete der Geistliche nun das Gespräch mit dem Ritter. »Vor ein paar Monaten waren Sie an einem Einsatz zur Rettung des Papstes beteiligt, richtig?«
Kimball öffnete die Augen wieder und nickte.
»Und im Zuge der Auseinandersetzung mit den Gegnern mussten Sie diese töten, ja?«
Er nickte erneut, und senkte den Kopf ein klein wenig zur Bejahung.
Der Monsignore beugte sich ihm nun entgegen. »Jetzt leiden Sie unter einem inneren Konflikt, weil das, was Sie getan haben, den Lehren der Kirche in Bezug auf Mord widerspricht, stimmt's?«
Nun zögerte Kimball.
»Außerdem befürchten Sie, dass zwischen Ihrer Arbeit im Dienst der Regierung vor vielen Jahren und Ihrer jetzigen Tätigkeit für die Kirche kein Unterschied besteht. Sie denken, der Herr habe Sie bereits dafür verdammt und gebe Ihnen deshalb keine Chance mehr zur Erlösung, korrekt?«
Damit traf der Monsignore schon eher den richtigen Nerv.
Er griff zu seiner abgebrannten Zigarette und hielt sie zwischen zwei Fingern, während der Qualm weiterhin nach oben waberte. »Ich weiß, Sie sehnen sich nach Vergebung für Ihre früheren Taten«, fuhr er fort, »aber ich weiß auch, dass Sie diese unmöglich erlangen können, wenn Ihr Handeln nicht im Einklang mit dem steht, was die Kirche verlangt, nämlich dass Sie anderen zum Heilsbringer gereichen, wozu Sie jedoch – damit jene anderen überleben können – Morde begehen müssen. Deshalb stellen Sie sich die Frage: Wie soll ich Erlösung finden und in den Himmel kommen, wenn ich weiterhin töte? Das ist doch die Frage, die Sie beschäftigt, nicht wahr?«
Auch damit fand der Monsignore Anklang bei Hayden.
»Das ist doch die Frage, die Sie beschäftigt, nicht wahr?«, wiederholte er nachdrücklich.
Kimball nickte. Ja.
»Und warum hören Sie dann nicht einfach damit auf?«
Er blieb ruhig sitzen, während er an dem Geistlichen vorbei ins Leere starrte, wobei er sich gerade, wie man erkannte, etwas Vergangenes ins Gedächtnis rief. »Ich bin mir sicher, dass Ihnen das, was ich Ihnen jetzt sagen werde, bereits geläufig ist, weil Sie meine Akte gelesen haben.«
Die Unterhaltung kam jetzt kurz ins Stocken, als Kimball den Fokus wieder auf sein Gegenüber richtete, und zwar mit so gestochen scharfem Blick, dass Monsignore die Geheimnisse erkennen konnte, die sich tief in seinen Augen verbargen. Was er dort sah, waren ernste Reue und unterdrückter Zorn im steten Widerstreit, wobei mal die eine, mal die andere Emotion die Oberhand gewann.
»Vor mehreren Jahren«, hob Kimball an, »wurde ich für eine verdeckte Mission von der Regierung der Vereinigten Staaten im Irak stationiert. Ich sollte dort einen Top-Politiker der irakischen Regierung ausschalten …«
Der Monsignore drängte ihn nicht zum Weitersprechen. Er wartete lediglich darauf, dass Kimball das Erzähltempo selbst bestimmte.
Und in diesem Moment schien der Ritter plötzlich Schwierigkeiten damit zu haben, seine Gedanken in Worte zu fassen. Als er schließlich fortfuhr, richtete er seinen Blick an die Decke, als stünden dort seine Erinnerungen als Text, auf den er sich beziehen könne. »Im Irak begegnete ich zwei Jungen, die Ziegen hüteten«, erzählte er nun. »Sie sahen mich … also konnte ich nicht anders, als sie davon abzuhalten, mich auffliegen zu lassen.«
»Demnach haben Sie sie also getötet.« Das war keine Frage, sondern die Bestätigung dessen, was der Monsignore schon wusste.
»Als ich nachts, nachdem ich sie beerdigt hatte, zum Himmel hochschaute, sah ich unheimlich viele Sterne – das hatte ich bis dahin noch niemals getan – und überlegte, ob es über dieses Leben hinaus noch etwas gebe … ein Jenseits.« Kimball hob eine Hand, um auf die Umgebung zu verweisen. »Danach suchte ich nach Gottes Antlitz. Ich wollte unbedingt Zeichen oder Hinweise finden, dass er wirklich existiert. Aber das Einzige, was ich gesehen habe, waren die unterschiedlichen Sternbilder, und in diesem Moment dämmerte es mir, dass ich tatsächlich zu dem geworden war, was ich der Regierung zufolge sei, und was sie aus mir hatte machen wollen.« Eine Pause folgte. »Jemand ohne Gewissen, ohne Schuldbewusstsein oder überhaupt irgendwelche Gefühle. Alles Eigenschaften, auf die ich bis zu jenem Zeitpunkt sogar stolz gewesen war.«
»Womöglich ist Ihnen Gottes Antlitz zu diesem Zeitpunkt nicht sichtbar erschienen, sondern nur als Geistesbild, aber es hat bewirkt, dass Sie sich der Wahrheit über Ihre Person stellen konnten, indem Sie Ihr Gewissen entdeckten«, erklärte der Monsignore. »Gott ist schließlich nicht so beschaffen, wie wir ihn uns sichtbar vorstellen, sondern er ist anders. Es heißt, er habe viele Gesichter, aber nur eine Stimme. Was Sie betrifft, Kimball, so legte diese Epiphanie Zeugnis davon ab, dass Gott Sie in seine Arme geschlossen hat, erkennen Sie das nicht? Sie haben Ihn nicht gesehen, doch Ihre Seele hat ihn dennoch gehört.«
Hayden reagierte zunächst nicht.
»Manchmal, Kimball, erscheint uns Gott unter den seltsamsten Umständen. Durch die Ermordung der Kinder wurde Ihr wahres Wesen erleuchtet.«
»Dann erklären Sie mir doch mal Folgendes«, erwiderte er. »Wie kann Gott die Ermordung von Kindern billigen?«
Giammacio starrte ihn kurz an, bevor er antwortete: »Schämen Sie sich wegen dieser Tat? «
»Selbstverständlich.«
»Dann ist das Ihre Lösung! Gott vergibt denjenigen, die ihre Sünden wirklich bereuen, und aufgrund Ihrer wahren Zerknirschtheit umarmte er Sie auch in jener Nacht.«
Hayden biss sich auf die Unterlippe. Wie leicht sich eine so verwerfliche Tat wegerklären und rechtfertigen ließ, war einfach unerhört. Selbstmordattentäter legten genau die gleiche Denkweise an den Tag.
»Kimball?«
Er erwiderte Giammacios Blick still.
»Sind Sie der Ansicht, dass die Rettung des Papstes im Laufe Ihrer jüngsten Mission im Sinne der katholischen Gemeinschaft gewesen ist?«, fragte