Der Papst beugte sich nach vorn. »Sie reden von Ihrer früheren Truppe, oder?«
»Spricht etwas dagegen? Fünf von uns sind immerhin noch übrig. Das sind mehr als genug für diesen Zweck.«
»Kimball, diese Männer …« Der Kardinal zeigte auf die drei eingekreisten Toten. »… waren Söldner, die Morde für jeden begingen, der ihnen das beste Angebot gemacht hat. Wollen Sie wirklich wieder in Ihr altes Milieu zurückkehren?«
»Sagen wir mal so: Ich möchte anhand dieser leisen Versuchung herausfinden, wie weit ich in meinem Leben tatsächlich gekommen bin. Mal schauen, ob ich vermisse, was ich war … oder zufrieden damit bin, was aus mir geworden ist.«
»Kimball …«
Der Ritter lenkte sofort ein, indem er eine Hand hochhob. »Bonasero, bitte. Dieser Mann …« Er zeigte auf McMullen. »… hat mir zwei Mal das Leben gerettet. Er soll augenscheinlich das nächste Opfer sein, was bedeutet, dass ich unbedingt zu ihm gelangen muss, bevor der Mörder ihn findet. Ich habe also nicht mehr viel Zeit.«
Papst Pius seufzte. »Das gefällt mir ganz und gar nicht Kimball«, sagte er. »Andererseits darf ich unter keinen Umständen wissentlich dulden, dass jemand in Lebensgefahr schwebt. Nichtsdestotrotz werde ich den SIV darauf ansetzen, Ihre Gefährten aus dem Urlaub zurückzurufen und sie schnellstmöglich nachreisen zu lassen, sobald sie gefunden wurden.«
»In Ordnung. Ich muss aber leider sofort aufbrechen und meine ehemaligen Kameraden zusammentrommeln. Dazu brauche ich lediglich die aktuellen biografischen Aufzeichnungen über diejenigen, die noch leben – und muss natürlich auch wissen, wo sie genau sind.«
»Der SIV wird diese Informationen bestimmt gesichtet haben, bis Sie reisefertig sind«, versprach ihm Vessucci.
Hayden stand auf. »Vielen Dank.«
»Und Kimball.« Auch der Papst erhob sich jetzt in seinem vollen Ornat. »Die Versuchung, die Sie erwähnt haben, dass Sie in alte Sitten zu verfallen drohen, führt Sie wieder zu Menschen, die sich für die dunkle Seite entschieden haben. Ich verlasse mich fest darauf, dass Sie standhaft bleiben.«
»Na ja, auf irgendjemand muss ja Verlass sein, oder?«
»Kimball.« Der Kardinal legte ihm jetzt sanft eine Hand auf die Schulter. »Seien Sie bitte vorsichtig. Etwas Unbekanntes zu bekämpfen, dass im Schatten agiert, um nicht gesehen zu werden, ist immer äußerst schwierig.«
»Wenn es aus Fleisch und Blut besteht, kann man es finden. Immerhin hat es auch mich gefunden, nicht wahr?«
»Passen Sie auf sich auf, Kimball«, ergänzte Papst Pius. »Und möge Gott Ihnen beistehen.«
Hayden nickte. Seinen Beistand brauche ich hierbei auf jeden Fall, dachte er, und zwar nicht nur wegen der Gefahr für sein Wohlergehen, sondern auch aufgrund des Risikos, seinen früheren Lebenswandel wieder anzunehmen. Würde er erneut in gleicher Weise wie ein Alkoholiker, der nur einen Tropfen brauchte, um den rechten Weg zu verlassen, wieder auf den Geschmack kommen, einen anderen Menschen zu töten, nur weil er dazu in der Lage war, oder konnte er standhaft bleiben und sich einen Mord nur als allerletzten Ausweg vorbehalten?
Nachdem er dem Kardinal zum Abschied auf die Schulter geklopft und den Fischerring des Papstes geküsst hatte, ging Kimball zu der wuchtigen Doppeltür des Gemachs zurück, wobei seine Schritte gespenstisch widerhallten.
Kapitel 9
Der Vatikan ordnete bei Alitalia Airlines einen umgehenden Flug von Rom nach Las Vegas im US-Bundesstaat Nevada an. Die Maschine sollte zum Auftanken in Boston zwischenlanden. In Haydens Gepäck befanden sich neben Kleidern in einem Geheimfach seines Koffers auch zwei KA-BAR-Kampfmesser. Bei sich trug er einen gefälschten Reisepass, den ihm die zuständige Behörde im Vatikan ausgestellt hatte, um seine Identität in den Vereinigten Staaten zu schützen, da deren Obrigkeit ihn als nunmehr toten Flüchtigen erachtete. Sollte nun herauskommen, dass er noch lebte und über verwerfliche Machenschaften der Regierung unter früheren Präsidenten im Bilde war – die Morde und Liquidierungen im Inneren, den erheblichen Aufwand zur Vertuschung politischer Verbrechen – würde Kimball höchstwahrscheinlich ins Visier irgendeines Agenten geraten und für immer verschwinden.
Kimball hatte sich in einer der Doppelsitzreihen am Gang in der ersten Klasse niedergelassen. Auf dem Platz neben ihm lag ein offener Dokumentenumschlag, und in den Händen hielt er die Lebensläufe der noch lebenden Mitglieder seiner alten Einheit. Er staunte immer noch darüber, wie rasch der SIV die detaillierten Informationen hatte besorgen können.
Als er kurz zur Seite und aus dem Fenster schaute, sah er den bewegten Wellengang des Atlantik unter der Maschine, die schäumenden Kämme und die weiße Gischt gegen das Meerblau, während der Jumbojet mit fünfhundert bis sechshundert Meilen pro Stunde nach Westen in Richtung USA flog.
Dann warf er einen Blick auf seine Uhr. Noch vier Stunden bis zur Landung in Boston, danach weitere sechs bis nach Las Vegas; die Zeit reichte gerade so aus, um die Fakten aus den Aufzeichnungen zusammenzutragen, die dick wie ein Buch waren.
Als er sich wieder der Mappe in seiner Hand widmete, verglich er ein altes Foto mit einem neuen des nächsten Opfers: Ian McMullen.
So wie er jetzt aussah, konnte man ihn zurecht als verwahrlost bezeichnen. Auf einem Bild, das laut Datumsangabe weniger als zwei Jahre zuvor gemacht worden war, wirkte der Exsoldat dreißig Jahre älter als in Wirklichkeit. Er war dem Alkohol mittlerweile offensichtlich vollkommen verfallen und zu einem Mann geworden, der seine Seele aufgegeben und weder Ziele noch Hoffnungen hatte.
Er zog seit Jahren von Obdach zu Obdach durch die Straßen von Las Vegas. Das Klima trocknete ihn in gleichem Maße aus, wie ihm seine Vergangenheit den Willen zum Weiterleben geraubt hatte.
Dem entgegen stand ein älteres Bild, auf dem man ihn mit hervorstechenden Zügen, kräftigem Hals und rotem Schnauzer sah, der ihn als Iren wie aus dem Bilderbuch zeigte. Auf dem aktuelleren Foto war sein Gesicht hingegen gänzlich eingefallen, er war ungepflegt und verwahrlost. Seine fettigen Haare klebten ungekämmt an seinem Kopf, und die Augen waren nicht mehr dunkelgrün, sondern gräulich eingetrübt.
Kimball erkannte darin einen Tagedieb ohne Aussicht darauf, zu seinem früheren Selbst zurückzufinden und wieder einen Elitesoldaten abzugeben, egal wie sehr er sich auch anstrengen würde. Dieser Kerl war von allen guten Geistern verlassen und in einem Kampf zerrieben worden, den er einfach nicht gewinnen, geschweige denn überhaupt austragen konnte. Und von jetzt auf gleich hatte sich die Zahl der Mitglieder von Kimballs Team von vier auf drei verringert.
Er legte das Foto in die Mappe zurück und nahm jetzt die Akte des voraussichtlichen Opfers nach McMullen zur Hand. Dieses hieß Victor Hawk, er gehörte als Apache einem Stamm der amerikanischen Ureinwohner an und lebte in New Mexico. Nach seinem Dienst für die Regierung war er offensichtlich zu seinen Verwandten zurückgekehrt, bezog Geld vom Staat und verbrachte seine Zeit mit Pferdezucht auf einer Ranch am Rande des Reservats.
Als Soldat war er äußerst brutal gewesen, spezialisiert auf geräuschlose Morde dank der sagenhaften Sachkenntnis seines Volks und seiner militärischen Ausbildung, die letzten Endes auch zu seinen Vorzügen als unsichtbarer Killer gehört hatten. Hawk war von seinen Kameraden »der Geist« genannt und als überlebensgroß angesehen worden, denn angeblich sahen seine Opfer zunächst nur den Dschungel und dann einen huschenden Schatten, bevor sie starben, weil ihnen der Apache die Kehle mit einem Messer aufgeschlitzt oder ein Würgeseil um ihren Hals gelegt hatte.
Da er jetzt einen beträchtlichen Wanst vor sich herschob und sein einst pechschwarzes Haar graumeliert war, bezweifelte Kimball, dass er nach all den Jahren noch kampftauglich war.
Nachdem er auch Hawks Fotos beiseitegelegt hatte, fasste er die Mappen der letzten beiden Männer nicht allzu hoffnungsfroh, sondern eher pessimistisch ins Auge. Jeff und Stanley Hardwick waren zwei leichtsinnige