Er war ein großer, schwerfällig wirkender junger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren. Er hatte eine gewichtige, würdige Haltung und übertrieben korrekte Manieren. Er saß noch nicht lange, da sagte er der Dame des Hauses schon Artigkeiten über ihre Töchter; meinte, er habe zwar viel von deren Schönheit gehört, aber das Gerücht werde in diesem Fall der Wahrheit bei Weitem nicht gerecht; und fügte hinzu, er könne gar nicht daran zweifeln, dass Mrs. Bennet binnen kurzem schon das Vergnügen haben werde, sie alle gut verheiratet zu sehen. Dieses Kompliment war zwar nicht nach dem Geschmack der Mehrzahl seiner Zuhörer, doch Mrs. Bennet, die keine Kostverächterin war, antwortete sehr herzlich: »Sie sind wirklich sehr freundlich; und hoffentlich haben Sie recht mit Ihren Worten, andernfalls wird es ja den Ärmsten schlecht genug ergehen in Anbetracht einer gewissen Angelegenheit.«
»Sie spielen auf die Vererbung ihres Besitztums an?«
»Ach ja, Sie haben meinen Gedanken erraten. Sie müssen doch selbst zugeben, dass diese Regelung für meine Töchter höchst besorgniserregend ist. Nicht, dass ich Ihnen etwas vorwerfen möchte, ich weiß, die Welt ist voller Ungerechtigkeit; aber kein Mensch kann je seines Besitzes unter solchen Umständen froh werden.«
»Ich versichere Ihnen, gnädige Frau, dass ich das vollste Verständnis für Ihre Sorge um meine schönen Cousinen aufbringe, und ich hätte noch vieles zu diesem Thema zu sagen, würde mir nicht meine Scheu davor, naseweis und voreilig zu sprechen, eine gewisse Zurückhaltung auferlegen. Und den jungen Damen möchte ich meine tiefempfundene Zusicherung geben, dass ich in der Absicht hierher gekommen bin, ihnen meine unbegrenzte Bewunderung zu Füßen zu leben. Ich will nicht zu viel sagen noch nicht; aber wer weiß, wenn wir uns längere Zeit kennengelernt haben…«
Der Gong, der zum Essen rief, unterbrach ihn; und die fünf Schwestern konnten endlich ihr unterdrücktes belustigtes Lächeln zeigen.
Aber Mr. Collins bewunderte nicht bloß sie. Die große Halle, durch die sie schritten, das Esszimmer mit allen seinen Möbeln wurden eingehend betrachtet und in gebührender Weise bestaunt. Mrs. Bennet hätte all die schönen Lobsprüche und Schmeicheleien weitaus besser genossen, wenn sie sich von dem Gedanken hätte freimachen können, dass er sich ja nur über seinen künftigen Besitz so wohlwollend auslasse. Auch das Essen entging seiner Lobpreisung nicht; und in seinem Eifer beging er den Fehler, zu fragen, welche von seinen schönen Cousinen wohl ihre Kunst an diesen ausgezeichneten Speisen bewiesen habe. Wie grundverkehrt seine Höflichkeit angebracht war, verriet eine gewisse Schärfe in Mrs. Bennets Stimme, als sie ihn darüber aufklärte, dass sie über ausreichendes Hauspersonal verfüge und dass ihre Töchter in der Küche gar nichts zu suchen hätten. Er bat sogleich um Entschuldigung für die unwissentliche Kränkung. Worauf ihm in einem milderen Tonfall bedeutet wurde, man fühle sich wirklich in keiner Weise verletzt. Seine Entschuldigungsrede nahm nichtsdestoweniger eine gute Viertelstunde in Anspruch.
14. KAPITEL
Während des Essens hatte Mr. Bennet kaum einmal sein Schweigen gebrochen; aber nachdem abgeräumt worden war, hielt er die Zeit für gekommen, auch etwas zur Unterhaltung beizusteuern, und brachte daher das Gespräch auf ein Thema, das, wie er annahm, seinen Gast zu rhetorischen Glanzleistungen hinreißen musste. Er warf leicht hin, Mr. Collins scheine ganz ungewöhnlich glücklich in der Wahl seiner Gönnerin gewesen zu sein; Lady Catherine de Bourghs Willfährigkeit gegenüber seinen Wünschen, ihre Rücksichtnahme auf sein Wohlergehen seien doch überaus bemerkenswert. Er hätte keinen besseren Gesprächsstoff finden können: Mr. Collins setzte seine ganze Beredsamkeit zu ihrem Lobe ein. Seine feierliche Würde wurde noch feierlicher und würdiger, und mit einem Gesicht, als ob er den Schleier von den letzten Dingen zu heben im Begriff war, gab er seiner Begeisterung Ausdruck: Er habe in seinem ganzen Leben noch nie eine solche Behandlung von einer so hochgestellten Dame erfahren. Diese Güte und die freundliche Herablassung, die Lady Catherine ihm entgegenbringe! – Sie habe sich auf das gnädigste über die beiden Predigten ausgesprochen, die er vor ihr zu halten bereits die Ehre gehabt habe. Schon zweimal sei er zum Essen auf Rosings geladen gewesen, und erst am vergangenen Sonnabend habe sie ihn hinübergebeten, um die Quadrille vollzählig zu machen. Es sei ihm wohl zu Ohren gekommen, dass viele Menschen Lady Catherine für hochfahrend hielten, aber er könne nur von ihrer großen Liebenswürdigkeit Zeugnis ablegen. Sie spreche zu ihm nicht anders als zu den anderen vornehmen Herren ihrer Bekanntschaft; sie habe nicht den geringsten Widerspruch dagegen erhoben, dass er sich in der Gesellschaft der Nachbarschaft bewege oder dass er hin und wieder auf ein, zwei Wochen seine Gemeinde verlasse, um zu seinen Verwandten auf Besuch zu fahren. Sie habe ihm sogar in einer höchst freundschaftlichen Weise bedeutet, dass sie es gern sähe, wenn er bald heirate, vorausgesetzt, dass er seine Wahl mit Sorgfalt treffe; und sie habe ihn sogar einmal in seinem bescheidenen Pfarrhause mit ihrem Besuch beehrt, in dessen Verlauf sie sich vollkommen mit allen Änderungen, die er getroffen hatte, einverstanden erklärte, und sie habe selbst noch weitere Vorschläge vorgebracht, nämlich einige Borde in den Schränken der oberen Zimmer anzubringen.
»Sehr freundlich und äußerst liebenswürdig«, meinte Mrs. Bennet, »sie muss eine ungewöhnlich angenehme Dame sein. Zu schade, dass nicht alle vornehmen Damen ihr ähnlich sind. Wohnt sie in Ihrer Nähe?«
»Nur ein schmaler Weg trennt den Garten, in dem mein bescheidenes Häuschen steht, von Rosings Park, dem Besitztum Lady Catherines.«
»Sagten Sie nicht, sie sei verwitwet? Wie groß ist ihre Familie?«
»Sie hat eine einzige Tochter, die Erbin von Rosings und eines beträchtlichen Vermögens.«
»Ach«, seufzte Mrs. Bennet und schüttelte den Kopf, »dann ist sie allerdings bedeutend besser gestellt als viele andere Kinder. Und wie ist das junge Fräulein? Sieht sie gut aus?«
»Das junge Fräulein ist eine ganz reizende junge Dame. Lady Catherine selbst meint, dass Miss de Bourgh den schönsten ihrer Altersgenossinnen überlegen sei. Denn außer Schönheit zeigt ihr Gesicht auch noch die unverkennbaren Zeichen ihrer vornehmen Herkunft. Leider kränkelt sie leicht, wodurch es ihr unmöglich gemacht wird, die Vollkommenheit in den verschiedenen