»Bevor wir die Frage weiterverfolgen, wäre es vielleicht richtiger, uns über die Wichtigkeit der Bitte und über den Grad der Freundschaft, die unser allgemeiner Fall haben soll, zu einigen.«
»Ja, eben!« rief Bingley, »und dazu noch über die Größe, den Umfang und wer weiß noch was der beiden Menschen; das spielt dabei mehr mit, als Sie denken mögen, Miss Bennet. Ich kann Ihnen versichern, wenn Darcy nicht eine so lange Latte wäre im Vergleich zu mir, ich würde nicht halb so viel auf ihn hören. Bei gewissen Gelegenheiten und zu gewissen Zeiten kann man sich nichts Schrecklicheres vorstellen als Darcy; besonders in seinem eigenen Hause und an Sonntagabenden, wenn er nicht weiß, was er anfangen soll.«
Mr. Darcy lächelte; aber Elisabeth glaubte zu bemerken, dass er sich gekränkt fühlte, und unterdrückte daher ihr Lachen.
Caroline machte kein Hehl daraus, dass sie sich für Darcy ärgerte, und schalt ihren Bruder weidlich wegen des Unsinns, den er eben dahergeredet habe.
»Ich durchschaue dich, Bingley«, sagte jetzt Darcy, »du magst solche Diskussionen nicht.«
»Schon möglich. Sie endigen allzu leicht in Streitereien. Ich wäre auf jeden Fall sehr dankbar, wenn du und Miss Bennet mit der Fortsetzung warten würdet, bis ich aus dem Zimmer bin. Dann könnt ihr weiter über mich reden, so viel ihr Lust habt.«
»Ich füge mich gern Ihrem Wunsch«, meinte Elisabeth, »und Ihnen, Mr. Darcy, schlage ich vor, schreiben Sie lieber Ihren Brief fertig!«
Darcy folgte ihrem Rat und konnte den Brief ohne weitere Unterbrechungen beenden.
Als er damit fertig war, bat er die Damen um etwas Musik. Caroline ließ sich nicht lange bitten; nachdem sie Elisabeth höflich aufgefordert hatte, doch anzufangen, was diese ebenso höflich und entschieden aufrichtig ablehnte, nahm sie am Klavier Platz, und Mrs. Hurst sang zu ihrer Begleitung.
Während Elisabeth neben ihr stand und in den Noten blätterte, die auf dem Klavier lagen, fiel es ihr plötzlich auf, dass Darcys Augen immer häufiger auf ihr ruhten. Den Gedanken, dass ein Mann wie Darcy sie bewundern könne, hielt sie für widersinnig. Aber noch seltsamer wäre es ja, überlegte sie, wenn er sie aus Abneigung immer wieder ansähe. Sie nahm schließlich als einzig mögliche Erklärung an, dass sie seine Aufmerksamkeit wohl deshalb erweckt habe, weil irgendetwas an ihr, mit Darcys Maßen gemessen, ganz besonders unvollkommen und tadelnswert sei. Diese Annahme bereitete ihr keinen großen Kummer. Sie selbst mochte ihn viel zu wenig, als dass ihr an seiner Meinung sonderlich gelegen war.
Nach einigen italienischen Liedern stimmte Caroline einen schottischen Tanz an. Gleich darauf trat Darcy zu Elisabeth und sagte: »Wollen wir die Gelegenheit, einen Schottischen zu tanzen, ungenutzt vorübergehen lassen?«
Elisabeth lächelte, antwortete aber nicht. Er wiederholte seine Frage, offenbar erstaunt über ihr Schweigen.
»Oh, ich verstand Sie schon das erste Mal«, erwiderte sie, »aber ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Sie erwarteten doch sicherlich, dass ich ›ja‹ sagen würde, damit Sie einen Grund mehr haben, mich zu kritisieren. Aber mir macht es nun einmal Spaß, solche Erwartungen zu enttäuschen und den anderen um sein spöttisches Vergnügen zu bringen. Ich kann Ihnen daher nur sagen, dass ich nicht die geringste Lust zu einem Schottischen habe – und jetzt kritisieren Sie, wenn Sie es wünschen!«
»Wie könnte ich so etwas wünschen!«
Auf diese Antwort war Elisabeth nicht gefasst gewesen. Eigentlich hatte sie sogar erwartet, ihn verletzt zu sehen. Aber Darcy war so sehr in ihren Bann geraten wie bisher noch bei keiner Frau.
Caroline sah oder ahnte vielmehr genug, um eifersüchtig zu werden, und ihr Wunsch, Elisabeth los zu sein, verlieh den Worten, mit denen sie ihrer lieben Freundin Jane recht baldige Genesung wünschte, einen Ton wärmster Aufrichtigkeit.
Von Zeit zu Zeit versuchte sie, Darcy zu einer abfälligen Äußerung über Elisabeth zu reizen, indem sie von seiner anscheinend bevorstehenden Heirat mit ihr sprach und ihm das Glück ausmalte, das er in dieser Verbindung finden würde.
»Ich kann nur hoffen«, sagte sie, als sie einmal am folgenden Tag im Garten spazieren gingen, »dass Sie Ihrer Schwiegermutter, sobald Sie Ihr ersehntes Ziel erreicht haben, auf eine taktvolle Weise beibringen können, wie viel angenehmer sie einem ist, wenn sie schweigt; wer weiß, vielleicht bringen Sie es sogar fertig, die beiden jüngeren Mädchen von ihrem Offiziersfieber zu heilen. Und wenn ich Ihnen auch noch diesen diskreten Rat geben darf, lassen Sie sich’s angelegen sein, das gewisse kleine Etwas in Schranken zu halten, das Ihre Auserwählte an sich hat und das sie bedauerlicherweise so eingebildet und hochmütig erscheinen lässt.«
»Damit haben sich doch gewiss Ihre Ratschläge für mein häusliches Glück nicht erschöpft?«
»Oh nein! Sie dürfen z. B. auch nicht vergessen, Porträts von Ihrem zukünftigen Onkel und Ihrer Tante Philips in der Ahnengalerie von Pemberley aufzuhängen. Am passendsten vielleicht gleich neben dem Bild Ihres Großonkels, des Richters. Sie verstehen – Mr. Philips übt ja den gleichen Beruf aus, wenn auch – sagen wir, in einer anderen Branche. Was Ihre Elisabeth anbetrifft, so hat es natürlich keinen Sinn, ein Bild von ihr in Auftrag zu geben; denn welcher Künstler könnte wohl solch wunderbaren Augen gerecht werden?«
»Sie haben recht, ihren Ausdruck auf der Leinwand festzuhalten, wäre tatsächlich nicht leicht; aber Farbe und Form und die ungewöhnlich feinen Wimpern und Brauen würde man schon wiedergeben können.«
In diesem Augenblick kamen ihnen aus einem Seitenweg Mrs. Hurst und Elisabeth entgegen.
»Ich wusste nicht, dass ihr auch spazieren geht«, rief Caroline etwas verlegen aus, da sie fürchtete, ihre Unterhaltung könne gehört worden sein.
»Ihr habt uns ganz abscheulich behandelt«, erwiderte ihre Schwester. »Warum gebt ihr uns nicht Bescheid, statt uns einfach davonzulaufen?«
Und damit hängte sie sich in Darcys freien Arm ein. Da auf dem Weg nur drei Menschen nebeneinander gehen konnten, musste Elisabeth hinter ihnen zurückbleiben. Darcy empfand das Unhöfliche in Mrs. Hursts Betragen und sagte: »Der Weg hier ist nicht breit genug für uns alle vier. Gehen wir doch lieber in der Allee