Die neue rassistische Religiosität birgt beträchtliche Gefahren. Indem man die eine Rasse ins Helle stellt, rückt man alle anderen Rassen zwangsläufig ins Dunkle und macht deren Angehörige zu einem finsteren Popanz, auf den man die eigene Unzufriedenheit, Angst und Besorgnis projiziert. Die »Dunklen«, Träger allen Übels, erscheinen geradezu als Ursache dessen, was die »Hellen« bedrängt. Eine Verunstaltung und Perversion religiöser Transzendenz, nur dazu geschaffen, die Wirkkräfte von Hass und Ausgrenzung freizusetzen. Echte Spiritualität verbindet und führt im Namen des Höchsten zusammen; hier aber wird Parteilichkeit geübt, auseinandergerissen, eingeschränkt. Eine rigide Selbstgerechtigkeit zimmert sich da einen primitiven Dualismus auf geistigem Kellerniveau zurecht, demzufolge das Heil durch Vernichtung des Anderen gewonnen wird. Die politisch motivierte Projektion des religiösen Manichäismus auf Unterschiede zwischen Menschengruppen kann nur Unfrieden und Gewalt gebären. Wer die einen für grundsätzlich gut, die anderen für grundsätzlich böse erklärt, den einen als wesenhaftes Attribut das Licht, den anderen die Finsternis zuweist, vergeht sich an der Menschlichkeit, ja an der Menschheit selbst. Eine dergestalt erniedrigte Religion führt niemals zum Licht, sondern immer nur in die Finsternis. Das vorliegende Buch soll diese verhängnisvollen Glaubenslehren dokumentieren und auch begreiflich machen, warum sie trotz ihrer Abwegigkeit immer mehr Gefolgsleute finden. Vielleicht helfen diese Einblicke, so die Hoffnung des Autors, zu verhindern, dass noch einmal ein pseudoreligiöser Rassenfanatismus die Welt in Brand setzt.
1. Neonazismus in den USA
Der amerikanische Neonazismus darf nicht gleichgesetzt werden mit amerikanischem Nationalismus. Er entstand ja auch nicht auf amerikanischem Boden, sondern ist ein Import, ein exotischer gar. Die amerikanischen Neonazis erheben nicht die eigene Nation zum Idol, sondern paradoxerweise einen internationalen Faktor, nämlich die weiße Rasse. Die Weißen in Amerika, so predigen sie, sollten sich als Brüder aller Weißen auf der Welt verstehen, mit ihnen eine Bewegung bilden und sich global die Vorherrschaft sichern oder zurückerobern. Die Nation, der sie ihren Kampf weihen, ist die weiße Rasse schlechthin und weltweit, weshalb man von »rassischem Nationalismus« sprechen könnte. An ihrem großen Vorbild Adolf Hitler, in dem sie den verlorenen Erlöser der westlichen Welt sehen, fasziniert sie gewiss nicht seine Verklärung des Deutschtums, wohl aber ganz allgemein der Gedanke, dass es eine zum Herrschen bestimmte höherwertige Rasse gebe, der sich sämtliche anderen Völkerschaften unterzuordnen hätten; im englischsprachigen Bereich heißt solche Haltung »Supremazismus« (supremacism, von supremacy, »Überlegenheit«). Herrschen solle in dieser Welt nach dem großen Krieg aber nicht der Deutsche, sondern der Arier, eine pan-arische Bewegung müsse die Welt kontrollieren - dann freilich mit den USA, nicht Deutschland an der Spitze. Die Wurzeln des amerikanischen Neonazismus reichen zurück bis in die frühen 1950er-Jahre, in die Zeit des beginnenden Kalten Krieges. Zuerst hängte man sich an den kommunistenfeindlichen Diskurs in der amerikanischen Öffentlichkeit und verkündete, Hitler könne doch so übel nicht gewesen sein, schließlich habe er wenigstens versucht, die Sowjetunion zu vernichten. Bald stigmatisierte man denn auch die amerikanischen Juden und den Liberalismus mit den alten brachialen Mitteln der Nazi-Agitation als Helfershelfer des Kommunismus. Ihren eigentlichen propagandistischen »Dauerbrenner« bescherte der radikalen Rechten Amerikas aber erst die Bürgerrechtsbewegung der Schwarzen, die sich seit den frühen 60er-Jahren eine stetig wachsende Öffentlichkeit erkämpfte. Die offizielle Politik sah sich genötigt, die Diskriminierung der Schwarzen mehr und mehr abzubauen. Sie erhielten das Wahlrecht (auch in den Südstaaten) und wurden durch eine stattliche Reihe von Integrations- und Gleichstellungsprogrammen zusätzlich sozial gefördert. Grund genug für die amerikanischen Neonazis, ihr Heil im weißen Supremazismus zu suchen. Ähnlich wollten sie die in den 80er-Jahren einsetzende Massenimmigration aus Lateinamerika und anderen Dritte-Welt-Staaten nutzen, indem sie sich kurzerhand zur Fronttruppe im Kampf Amerikas ums Überleben als weiße Nation erklärten. Tatsächlich wird die Bevölkerung der USA ethnisch immer heterogener, und die Regierenden müssen das Kunststück vollbringen, in einer immer vielfältigeren multikulturellen Gesellschaft politischen Zusammenhalt zu stiften. An den Problemen, die dadurch entstehen, setzen die Rechtsradikalen mit ihren esoterischen Mystifikationen an. Diese suggerieren schlicht, die alte weiße Herrlichkeit lasse sich wiederherstellen. Sie sind nichts anderes als der Versuch, die religiösen Mythen des deutschen Nationalsozialismus auf amerikanische Verhältnisse anzuwenden. Die Reihe derer, welche die ideologische Feinarbeit bei dieser Adaptation leisteten, reicht von George Lincoln Rockwell (60er-Jahre) bis William Pierce (70er-/80er-Jahre), wobei die »Gedanken« des Letzteren bis in unser neues Jahrhundert herüberwirken.
Beginnen wir mit George Lincoln Rockwell, der sich in den 60er-Jahren zum »American Fuehrer« ausrief. Ihm gebührt der traurige Ruhm, die erste offen hitlerianische Rechtsformation der USA gegründet zu haben. Seine schon extravagante Hitler-Verehrung, seine hemmungslosen rassistischen Attacken gegen Juden und Schwarze und nicht zuletzt die Taktik der bewussten Überschreitung allgemein respektierter Grenzen, des kalkulierten Skandals, mit denen er Aufmerksamkeit für sich und seine Pläne zu erzwingen wusste, sichern ihm einen unbestreitbaren Platz in der Geschichte radikaler Politfolklore. Zuerst hatte Rockwell sein Glück mit rechtsextremen Gruppen traditionellen Zuschnitts versucht. Enttäuscht von deren Misserfolg, entschied er sich für einen anderen Stil. 1959 gründete Rockwell die American Nazi Party. Nicht nur der Parteiname schuf einen provokanten Bezug zu den braunen Vorbildern, sondern auch das öffentliche Erscheinungsbild. Ohne Scheu marschierte man in Sturmtruppen auf, schwang Hakenkreuzfahnen und erklärte, die Juden müssten wieder vergast werden. Rockwell sah sich vor einer steilen Karriere. Spätestens 1973, fantasierte er, sei er Präsident. Schwierigkeiten beim Regieren fürchte er nicht, ließ er verlauten, denn sowohl Senat als auch Repräsentantenhaus würden ihn unterstützen; bis dahin hätte seine Partei nämlich längst beide Kammern erobert. Was deren Programmatik betraf, so forderte Rockwell eine Politik, die den USA den Fortbestand als weiße Nation garantiere. Hinter dieser Zielvorstellung, resümiert in dem Schlagwort white survival (»weißes Überleben«), verbarg sich Brachiales, ja Mörderisches, nämlich die Rückumsiedlung der amerikanischen »Neger« nach Afrika und die Vernichtung der Juden. Sie seien die eigentlichen Feinde der USA, behauptete Rockwell; sie hätten die Aufhebung der Rassenschranken durchgesetzt und Amerika dem nationalen Zerfall und der kulturellen Degeneration preisgegeben.
Eine Mischung aus Clownerie und Provokation kennzeichnete Rockwells öffentliche Auftritte. Kurz nach Gründung seiner Partei demonstrierten er und die Seinen regelmäßig vor dem Weißen Haus und trugen Schilder mit aggressiven Sprüchen: »Vergast die jüdischen Sowjetspione«, hieß es da, oder »Kommunismus ist Judenkram«, oder »Nur ein Land des Nahen Ostens hat eine Kommunistische Partei: Israel«. Man quälte sich gar einen matten Reim auf Präsident Eisenhowers Spitznamen ab: »Save Ike from the kikes« (›Rettet Ike vor den Itzigs’). 1961 fuhr Rockwell mit einem Propagandagefährt durch die Südstaaten, das er hate bus (»Hassbus«) taufte – ein hämischer Konter auf die gegen die Rassentrennung protestierenden »Freiheitsfahrten« (freedom rides) der Bürgerrechtler – und das ringsum mit Parolen bemalt war, etwa »Ja, wir wollen keine Rassenvermischung« oder »Wir hassen den Judäo-Kommunismus«. Nicht überall fanden Rockwell und seine Neonazis Beifall; in New Orleans etwa wurden sie gar verhaftet. Man kehrte zurück nach Washington und kurvte dort wieder in einem Bus herum, diesmal mit dem Slogan: »Rockwell