Walther von der Vogelweide: Ein altdeutscher Dichter. Ludwig Uhland. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ludwig Uhland
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066114305
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(I 110b) Und allerdings ist es nicht selten die sittliche Beschaffenheit des Gemüths, hier des wohlgeordneten, dort des in sich zerfallenen, woraus Frohsinn oder Mißmuth entspringen.

      Ob Walther, ausser dem Unterricht in der Kunst des Gesanges, irgend einer Art von gelehrter Bildung genossen, ist nicht ersichtlich. Einige Hinweisungen auf Stellen der Schrift und zwei lateinische Segenssprüche, die er scherzhaft anbringt, können nichts entscheiden. Von den Helden, welche dazumal in romantischen Gedichten verherrlicht wurden, kömmt bei ihm blos Alexander vor[12]. Richard Löwenherz und Saladin, deren er erwähnt, waren durch nahe Ueberlieferung noch in frischem Angedenken. Nirgends eine sichre Spur, ob er des Lesens und Schreibens kundig war. Das Leben hat ihn erzogen, er hat gelernt, was er mit Augen sah, das Treiben der Menschen, die Ereignisse der Zeit waren seine Wissenschaft.

      Manches Lied, das über seine Lebensgeschichte vollständigeres Licht verbreiten könnte, mag verloren gegangen seyn. In denjenigen, die auf uns gekommen sind, erscheint er als ein Mann von gereiftem Alter, und in mehreren zeigt er sich am Ziel seiner Tage. Seine Gedichte tragen im Allgemeinen das Gepräge der Welterfahrenheit, des Ernstes, der Betrachtung. Bis zur eigenen Qual fühlt er sich zum Nachdenken hingezogen, und er spricht das bedeutsame Wort:

      Liessen mich Gedanken frei,

       So wüßte ich nicht um Ungemach.

       (I 114a)

      Er stellt sich uns in einem seiner Lieder dar, auf einem Steine sitzend, Bein über Bein geschlagen, den Ellenbogen darauf gestützt, Kinn und Wange in die Hand geschmiegt, und so über die Welt nachdenkend. Damit bezeichnet er treffend das Wesen seiner Dichtung, und sinnreich ist er in zwei Handschriften vor seinen Liedern in dieser Stellung abgebildet.

       Inhaltsverzeichnis

      Das Jahr 1198, in welchem der Dichter seinen fürstlichen Gönner in Oesterreich verlor, war auch ein Wendepunkt in der Geschichte der Zeit. In diesem Jahre wich der Friede, der in den letztern Jahren Kaiser Friedrichs I. und während der Regierung Heinrichs VI. in Deutschland geherrscht hatte, den langwierigen und verderblichen Kämpfen der Gegenkönige.

      Heinrich VI. war im Herbst 1197 zu Messina gestorben, sein dreijähriger Sohn Friedrich blieb, unter Vormundschaft des Pabstes, als König in Sicilien. Die deutschen Fürsten hatten ihn noch bei Lebzeiten seines Vaters als Nachfolger auf dem deutschen Throne anerkannt. Aber Innocenz III., der kurz nach des Kaisers Hintritt, im kräftigsten Alter, zum Oberhaupt der Kirche gewählt worden, wollte nicht wieder die Vereinigung der deutschen Krone mit der sicilischen dulden. Er fand diese Vereinigung gefährlich für die Kirche, und erklärte: da Friedrich noch nicht getauft gewesen, als man ihn zum römischen König erwählt, so brauche man sich hieran nicht zu kehren. Den Deutschen war nicht mit einem Kinde geholfen. In den sechsten Monat war das Reich verwaist.

      Philipp von Schwaben, des verstorbenen Heinrichs Bruder, hatte anfangs versucht, seinem unmündigen Neffen die Thronfolge zu erhalten, bald richtete er selbst sein Absehen auf die Krone. Auch diesem Hohenstaufen arbeitete der Pabst entgegen. Mit Berthold von Zähringen und Bernhard von Sachsen wurde von den Fürsten um das Reich unterhandelt. Nachher ordneten der Erzbischof von Köln und andre, mehrentheils geistliche Fürsten, von päbstlichem Einfluß geleitet, eine Gesandtschaft an Otto von Braunschweig ab, um ihn zum Throne zu berufen. Die Reichskleinode, auf deren Besitz man damals großen Werth legte, waren in Philipps Händen.

      Schon früher war ein falsches Gerücht von Kaiser Heinrichs Tode das Zeichen zu allgemeiner Auflösung der gesellschaftlichen Ordnung gewesen. Jetzt, nach des Kaisers wirklichem Hintritt, erreichte die Verwirrung den höchsten Grad. »Als ich aus Tuscien nach Deutschland zurückgekommen -- schreibt Philipp an Innocenz III.[13] -- fand ich das ganze Land in nicht geringerer Verwirrung, als irgend das Meer von allen Winden zerwühlt werden könnte.«

      Die ersten Lieder unsres Dichters, denen wir den Zeitpunkt ihrer Entstehung bestimmter nachweisen können, beziehen sich auf diese Ereignisse. Ernstes Nachdenken über die Zerrüttung des Vaterlands, Anklage des Pabstes, dessen Umtriebe den Zwiespalt herbeigeführt, Aufruf an Philipp, der Verwirrung ein Ende zu machen.

      Ich saß auf einem Steine,[14] Da deckte ich Bein mit Beine, Darauf setzte ich den Ellenbogen, Ich hatte in meiner Hand geschmogen Das Kinn und eine Wange; Da dachte ich mir viel bange, Wie man zur Welte sollte leben. Keinen Rath konnte ich mir geben, Wie man drei Ding' erwürbe, Der keines nicht verdürbe: Die zwei sind Ehre und fahrend Gut, Der jedes dem andern Schaden thut, Das dritte ist Gottes Hulde, Der zweien Uebergulde; Die wollte ich gerne in einen Schrein. Ja leider! möchte das nicht seyn, Daß Gut und weltlich' Ehre Und Gottes Huld je mehre Zusammen in ein Herze kommen. Steige und Wege sind eingenommen, Untreue ist in der Sasse, Gewalt fährt auf der Strasse, Friede und Recht sind beide wund, Die drei haben Geleites nicht, die zwei werden denn eh' gesund.

      geschmogen, geschmiegt. Uebergulde, was mehr als jene gilt. In der Sasse, seßhaft. Die drei, nemlich Gut (Reichthum), weltliche Ehre und Gottes Huld, haben kein sicheres Geleit, um zusammen zu kommen, bevor nicht die zwei, Friede und Recht, wiedergenesen sind und die Strasse frei machen.

      Ich sah mit meinen Augen

       Der Menschen Thun und Taugen.

       Da ich nun hörte, da ich sach,

       Was Jedes that, was Jedes sprach:

       Zu Rome hörte ich lügen

       Und zweene Könige trügen.

       Davon hub sich der meiste Streit,

       Der eh' ward oder immer seit.

       Da sich begannen zweien

       Die Pfaffen und die Laien,

       Das war eine Noth vor aller Noth,

       Leib und Seele lag da todt.

       Die Pfaffen stritten sehre,

       Doch ward der Laien mehre;

       Das Schwerdt legten sie da nieder

       Und griffen zu der Stole wieder,

       Sie bannten, die sie wollten,

       Und nicht den sie sollten.

       Da störte man manch Gotteshaus,

       Da hörte ich ferne in einer Klaus

       Viel starker Ungebäre;

       Da meinte ein Klausenere,

       Er klagete Gott sein bittres Leid:

       »O weh! der Pabest ist zu jung, hilf, Herre, deiner

       Christenheit!«

      seit, seitdem, nachher. zweien, entzweien. Pfaffen und Laien, geistliche und weltliche Fürsten, in der streitigen Königswahl. Ungebäre, ungebärdige Wehklage. Klausenere, der klagende Klausner, welcher mehrmals vorkömmt, bedeutet die vormalige strenge Frömmigkeit im Gegensatze zu der nunmehrigen Ausartung des geistlichen Standes.

      Ich hörte die Wasser diessen

       Und sah die Fische fließen,

       Ich sah was in der Welte was,

       Wald, Feld, Laub, Rohr und Gras.

       Was kriechet oder flieget,

       Oder Beine zur Erde bieget,

       Das sah ich und sage euch das:

       Der keines lebet ohne Haß;

       Das Wild und das Gewürme,

       Die streiten starke Stürme,

       Also thun die Vögel unter ihn'n,

       Nur daß sie haben einen Sinn

       (Sie wären anders zu nichte):

       Sie schaffen gut Gerichte,

       Sie setzen Könige und Recht