Walther von der Vogelweide: Ein altdeutscher Dichter. Ludwig Uhland. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ludwig Uhland
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066114305
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Auf der andern Seite ist Manchen auch die leichteste Abweichung vom gegenwärtigen Sprachgebrauche unerträglich.

      So wenig ich nun hoffen durfte, zwischen diesen Klippen ohne Anstoß hindurch zu schiffen, so konnte ich doch jene Behandlungsweise nicht umgehen. Die Gedichte selbst in die Darstellung aufzunehmen, war mir wesentlich; mit der alten Schreibart aufgenommen, würden sie aber umständliche, den lebendigen Zusammenhang allzu sehr störende Erläuterungen erfordert haben. Um jedoch überall die Vergleichung zu erleichtern, ist bei jedem ganz oder theilweise ausgehobenen Liede nachgewiesen, wo dasselbe in der Urschrift zu lesen sey.

      Bei jener Uebertragung war es auch keineswegs auf eine Umarbeitung, am wenigsten auf anmaßliche Verschönerung, angelegt. Ueberall habe ich das Alterthümliche zu erhalten gesucht. Nur wenige, ganz veraltete Formen sind umgangen worden. Veraltete Worte habe ich vorzüglich dann vermieden, wenn sie den Eindruck des Ganzen zu stören drohten. Andre, besonders solche, die sich zur Wiedereinführung empfehlen, habe ich lieber erklärt, als mit neueren vertauscht. Manchen Lesern mag noch jetzt Mehreres zu fremdartig lauten. Es gehört jedoch keine sehr große Entäusserung dazu, hin und wieder einmal Arebeit, Gelaube, Pabest, unde, sicherlichen, meh, sach &c. statt Arbeit, Glaube, Pabst, und, sicherlich, mehr, sah &c. zu lesen oder auch einige unvollständige Reime zu dulden, z. B. schöne auf Krone, die sich aber in der alten Sprache vollkommen ausgleichen.

      Absichtlich wurden meist solche Stücke ausgehoben, welche an sich leichter verständlich sind, was glücklicher Weise gerade bei den besten größtentheils der Fall ist. Von andern sind Auszüge oder auch nur eine kurze Andeutung ihres Inhalts gegeben. Dabei darf ich nicht verhehlen, daß einige Stücke, auch nach Einsicht der verschiedenen Handschriften, mir noch räthselhaft geblieben sind. Die beigefügten Wort- und Sacherklärungen habe ich meist nur auf das Nöthigste beschränkt und mein Augenmerk darauf gerichtet, daß jedes Gedicht, so viel möglich, schon durch den Zusammenhang in den es gestellt ist, seine Erläuterung erhalte.

      Im Verlaufe meiner Darstellung mußte ich auf Verschiedenes stossen, was noch sehr einer genaueren Untersuchung bedarf, wie z. B. der Krieg zu Wartburg, Nithart &c. Aber eben weil diesen Gegenständen noch eigene, weitgreifende Forschung gewidmet werden muß, habe ich mich auf dieselben nur soweit eingelassen, als sie den meinigen unmittelbar berühren. Man wird sich ihnen noch von mehreren Seiten nähern müssen, bevor man sich ihrer völlig bemächtigt.

      Hauptquellen, die ich benützt habe, sind:

      1) Die Manessische Sammlung, nach Bodmers Ausgabe, welche im I. Thl. von S. 101-142 den reichsten Schatz von Gedichten Walthers enthält. Sie ist im Folgenden durch Man. bezeichnet und, weil sie am meisten zugänglich ist, auch da angeführt, wo Lesarten aus andern Handschriften gewählt wurden.

      2) Die Weingartner Handschrift von Minnesängern, (mit W. Hds. von mir bezeichnet,) wahrscheinlich älter als die Manessische, jetzt in der Königl. Privatbibliothek zu Stuttgart befindlich. Sie enthält von S. 140-170 112 Strophen unsres Dichters.

      3) Die Pfälzer Handschrift Nr. 357 (Pf. Hds. 357), aus dem Vatikan nach Heidelberg zurückgebracht. Von Bl. 5b bis 13b giebt sie unter Walthers Namen 151 Strophen. Weiterhin, von Bl. 40 an, folgt, von andrer Hand geschrieben, noch mehreres diesem Dichter Angehörige.

      4) Die Pfälzer Handschrift Nr. 350 (Pf. Hds. 350), mit 18 Strophen.

      Vermißt habe ich vorzüglich die Würzburger Liederhandschrift, jetzt zu Landshut, und die (verschollene?) Kolmarer, in welchen gleichfalls Gedichte von Walther enthalten sind.

      Gegenwärtiger Versuch ist eine Vorarbeit zu einer größeren Darstellung in diesem Fache. Um so erwünschter wird mir seyn, was dazu beiträgt, den Gegenstand desselben vollständiger aufzuklären.

      Walther von der Vogelweide

       Inhaltsverzeichnis

      Walther von der Vogelweide ist einer von den Meistern deutschen Gesangs, die einst, wie die Sage meldet, auf der Wartburg wettgesungen. Ebenso ist er Einer der Zwölfe, von denen spät noch die Singschule gefabelt, daß sie in den Tagen Otto's des Großen gleichzeitig und doch Keiner vom Andern wissend, gleichsam durch göttliche Schickung, die edle Singkunst erfunden und gestiftet haben.

      Wenn Einige, die auf ähnliche Weise mit ihm genannt werden, im Halbdunkel solcher Ueberlieferung zurückgeblieben sind und höchstens durch Vermuthung mit noch vorhandenen Dichterwerken in Verbindung gesetzt werden können, so ist dagegen kaum einer von den Dichtern des Mittelalters so mit seinem eigensten Leben in unsre Zeit herüber getreten, als eben dieser Walther von der Vogelweide.

      Nicht als ob die Geschichte seinen Wandel auf Erden in ihre Jahrbücher aufgenommen hätte oder als ob alte Urkunden von seinen Handlungen Zeugniß gäben, wie dieß bei andern seiner Kunstgenossen der Fall ist: seine zahlreichen Lieder sind es, die sein Andenken, und mehr als dieß, ein klares Bild seines äußern und innern Lebens, auf uns gebracht haben.

      Er hat nicht seine Persönlichkeit in der alten Heldensage des deutschen Volkes untergehen lassen, noch hat er seine Kunst den Ritter- und Zaubermähren vom heiligen Gral, von der Tafelrunde u. s. w. zugewendet, sondern er hat die Gegenwart ergriffen. Und hiebei hat er wieder nicht blos den Mai und die Minne gesungen, vielmehr ist er gerade der vielseitigste und umfassendste unsrer älteren Liederdichter, er behandelt die verschiedensten Richtungen und Zustände der menschlichen Seele, er betrachtet die Welt, er spiegelt in seinem besondern Leben das öffentliche, er knüpft seine eigenen Schicksale, wenn auch in sehr untergeordnetem Verhältniß, an die wichtigsten Personen und Ereignisse seiner Zeit.

      Diese Zeit war eine bedeutende, vielfach und stürmisch bewegte. Die Verwirrung des Reichs nach dem Tode Heinrichs VI., der verderbliche Streit der Gegenkönige Philipp und Otto, Friedrichs II. heranwachsende Größe, dessen Kämpfe gegen die päbstliche Allmacht, der Kreuzzüge wogendes Gedräng!

      Unscheinbar allerdings ist das Auftreten unsres Dichters auf der Bühne dieser Weltbegebenheiten. Schon darüber könnten wir verlegen seyn, wie wir ihn zuerst in die Welt einführen, denn sein Ursprung ist bis jetzt nicht mit Sicherheit erhoben.

      Im obern Thurgau stand, nach Stumpf's Schweizerchronik, ein altes Schloß: Vogelweide. Im benachbarten Sankt Gallen hat das patrizische Geschlecht der Vogelweider geblüht. Mit diesem Geschlecht und jenem Schlosse wird Walther von der Vogelweide in Beziehung gesetzt[1].

      In keinem deutschen Lande finden wir auch die ritterlichen Sänger so gedrängt beisammen, als in jenen nachbarlichen Gebirgsthälern, die von der Thur, der Sitter, der Steinach durchrauscht werden, und dort, wo der Rhein dem Bodensee zueilt. Der Truchseß von Singenberg, der Schenk Kunrad von Landegg, Göli, Graf Kraft von Toggenburg, Heinrich und Eberhard von Sar, Friedrich von Husen, Kunrad von Altstetten, Walther von Klingen, Heinrich von Frauenberg, Wernher von Tüfen, Heinrich von Rugge, der von Wengen, der Hardegger, der Taler, Rudolf von Ems u. A. m., von denen allen noch Lieder vorhanden sind, gehören theils mit Gewißheit, theils mit größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit, jener Gegend an[2].

      Mitten in jenen sangreichen Gauen lag das Stift Sankt Gallen, von dem der Anbau der Gegend und die Bildung ihrer Bewohner ausgegangen. Die dortigen Klosterbrüder waren im 9. und 10. Jahrhundert gepriesene Tonkünstler. Ihre geistlichen Lieder, wozu sie selbst die Singweise setzten, giengen in den allgemeinen Kirchengesang über. Eben so frühe wurde zu St. Gallen in deutscher Sprache gedichtet, und hinwieder das deutsche Heldenlied (Walther und Hiltegund) in lateinische Verse übertragen. Namentlich aber waren diese Mönche beschäftigt, die Söhne des benachbarten Adels überhaupt sowohl, als insbesondre in der Tonkunst, zu unterrichten[3]. Und eben in diesen Verhältnissen mochten Keime liegen,