Personen
Der alte Moser
Marie, seine Tochter Frau Richter, Mosers Schwägerin Katharina, ihre Tochter Doktor Schindler, Arzt Eduard Rainer, Forstadjunkt Der Oberst Irene, seine Frau Max und Albrecht, junge Offiziere Sebastian, Unteroffizier Ein wachthabender Soldat Soldaten, Kinder
Spielt etwa in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, in Österreich. Der erste und zweite Akt in Wien, der dritte in einem niederösterreichischen Dorfe.
Erster Akt
Einfaches, beinah ärmliches Zimmer im zweiten Stock eines alten Hauses der inneren Stadt. Blau gemalte Wände, zum Teil schadhaft. Rechts vorn Eingangstüre, eine zweite Türe links hinten. Im Hintergrund zwei Fenster mit ausgebauchtem Glas. Am Fenster rechts ein Sessel. Zwischen den Fenstern Kommode, darüber ein Spiegel in braunem Holzrahmen. Auf der Kommode stehen einige einfach gerahmte Familienbilder. Hinten links in der Ecke Ofen. Links seitlich großer Schrank. Weiter vorne an dir Wand ein länglicher Tisch, darauf einiges Hausgeräte: Kaffeemaschine, Flasche, Lampe usw. Vorne links ein Krankensessel, daneben ein ganz kleines Tischchen. Auf dem Tischchen zwei Medizinflaschen, kleine Zinntasse mit einem Teller, Löffel usw. Vorne rechts alter Tisch mit grünlicher verschlissener Decke. Alter Divan mit schwarzem Leder; ein Fauteuil gleicher Garnitur, zwei Holzsessel. Auf dem Tisch eine Tasse mit Photographieen und zwei Bücher mit schadhaftem Einband. An der Wand rechts neben dem Eingang ein Schlafdivan, darüber eine kleine Etagere mit wenigen Büchern. Weiter hinten rechts ein altes Pianino. An den Wänden hängen einige Familienporträts in alten Rahmen und zwei alte gebräunte Stahlstiche; diese letzteren vorn über dem Tische links. Auf dem Ofen eine Gipsfigur. Neben der Eingangstüre vorne rechts ein Kleiderständer mit einem Mantel, einem weichen Filzhut und einem Umhängtuch.
Erste Szene
Der Vater, Marie.
Der Vater auf dem Krankensessel halb ausgestreckt, in braunem Schlafrock, die Füße mit einem Plaid bedeckt. Er ist hager, hat einen kurzgeschnittenen Vollbart von grünlich-braungrauer Farbe, wie einstmals gefärbt; die dünnen Kopfhaare über den Scheitel gekämmt, das Gesicht böse, faltig, verwüstet. Er scheint zu schlafen.
Marie sitzt auf einem der Sessel rechts, den sie etwas näher zum Vater hingerückt hat. Sie ist schlank, hat eine hohe Stirn, dunkelblondes glattes Haar, einfaches, ziemlich helles blaues Kleid. Sie liest laut aus einer Zeitung vor. »Und mit einem Mal lodert im Süden unseres Reichs die Kriegsfackel in dunkelrotem Glanze auf. In der Nähe des Dorfes Feldberg, also auf österreichischem Boden, etwa drei Meilen von der Grenze hat das erste Gefecht stattgefunden, über dessen Verlauf verbürgte Nachrichten noch nicht in die Hauptstadt gelangt sind. Dies aber steht fest: daß gestern zum erstenmal wieder seit mehr als dreißig Jahren der Boden unseres Vaterlands das Blut unserer tapferen Soldaten getrunken hat . . .« Sie hält inne.
Der Vater wie aus dem Schlaf. Lies weiter.
Marie blättert. »Gestern haben die Infanterieregimenter Nr. 7 und Nr. 24 die Stadt verlassen, um in Eilmärschen die Grenze zu erreichen. Abends ist das Ulanenregiment Fürst von Bologna abgegangen. Heute rückt das Infanterieregiment Nr. 17 Herzog von Anhalt und das Kürassierregiment Nr. 11, die sogenannten »blauen Kürassiere« . . . Sie hält inne.
Der Vater schläft.
Marie legt die Zeitung auf den Tisch, steht auf, geht zum Fenster rechts, sieht durch die Scheiben hinaus.
Man hört das Vorbeimarschieren von Truppen und lautes Rufen, das manchmal beträchtlich anschwillt.
Der Vater erwacht. Marie! Wo bist du? Wendet mühselig den Kopf. Marie!
Marie auf dem Weg zurück. Hier bin ich.
Der Vater. Wo bist du?
Marie. Am Fenster stand ich.
Der Vater lauscht. Was ist das?
Marie. Soldaten ziehen vorbei.
Der Vater. Wie lang bist du am Fenster gestanden?
Marie. Kaum zwanzig Sekunden. Ich las dir eben erst aus dem Zeitungsblatt vor.
Der Vater. Zwanzig Sekunden? . . . Mir war doch, ich hätte geschlafen.
Marie. Nicht länger als eine halbe Minute.
Der Vater. Mir war, als hätte ich eine Stunde geschlafen. Es wird wohl auch eine Stunde gewesen sein . . .
Marie. Nein.
Der Vater. Eine halbe . . .
Marie. Wie ich sagte: Keine halbe Minute lang.
Der Vater. Keine halbe Minute . . . und so tief in die Nacht gesunken. – Wie spät ist's?
Marie. Es ist bald sieben Uhr.
Der Vater. Daß der Doktor noch nicht hier war . . .
Marie. Er muß bald da sein.
Der Vater. Was spracht ihr miteinander gestern abend? . . . Nun? . . . Was sagte er über meinen Zustand? . . . Was sagte er überhaupt? Rede!
Marie. Der Frühling wird dir wohltun, meint der Doktor.
Der Vater. Und sonst sagte er nichts?
Marie. Sonst nichts.
Der Vater. Es ist nicht wahr! Du standest ja gestern ich weiß nicht wie lange mit ihm im Stiegenhaus – hast ihn wohl mancherlei gefragt! . . . Nun, wie lange wird es noch währen? Wie lange noch wirst du dein junges Dasein vertrauern müssen an deines alten Vaters Krankenbett?
Marie. Du sollst bald aufs Land, meint der Doktor.
Der Vater. Aufs Land . . . wahrhaftig! . . . So?
Marie. Hat er dir's gestern nicht selbst geraten? . . . Aber nicht wieder so spät wie voriges Jahr, meint der Doktor, nicht im August erst, sondern gleich, – die schönen Tage nützen jetzt im Mai.
Der Vater. Aufs Land – in die Grünau – zur Tante Toni wieder?
Marie. Ich denke wohl.
Der Vater. Weht der Wind daher? . . . Hoho! Zur Tante Toni! Und wieder herumgelaufen im Wald und auf der Wiese mit der Base Katharina