5. Das tierische Lautmaterial im Vergleich zum menschlichen: Affektlaute, Signale, Melodisches
Zunächst einiges über das Lautmaterial: Die Laute der Tiere sind einmal ein Zugang zu ihrem spezifischen Charakter: Das Gurren der Taube, der Schrei der Möwe, das Zwitschern der Amsel sagen uns etwas von ihrer Eigenart. Die Laute führen uns zugleich in das aktuelle Seelenleben ein: Aus ihnen sprechen Zorn, Angst, Schmerz – die ganze Skala der tierischen Affekte. Daneben haben wir Laute ganz anderer Art: Lock- und Warnungsrufe u. dgl. – kurze Signale, durch die sich die Tiere untereinander verständigen, die man darum auch gern als »Sprache der Tiere« bezeichnet. Diese Signallaute der Tiere sind in verschiedener Hinsicht bedeutsam: Sie geben uns Einblick in eine Societät der Tiere, ein Gemeinschaftsleben. Sie machen ferner den Charakter des Absichtlichen, Willkürlichen aus, so daß hier eine Annäherung an die menschliche Freiheit gegeben scheint. Und es liegt darin ein Sinn, der verstanden wird, und damit anscheinend ein Anfang von Vernunft. Schließlich verdienen auch die modulierten Laute, wie vor allem der Gesang der Vögel, Beachtung als Gebilde, die eine planmäßige Gestaltung zu verraten scheinen. All diese Phänomene sind besonders wichtig für die prinzipielle Abgrenzung von Tierischem und Menschlichem.
Der unwillkürliche Ausdruck der Eigenart und der aktuellen seelischen Verfassung scheint etwas Tieren und Menschen Gemeinsames zu sein und zugleich eine Brücke des Verständnisses, die uns eine Art Gemeinschaftsleben mit den Tieren ermöglicht: Wir bekommen Einblick in ihr Seelenleben und fühlen es mit; und auch sie werden von dem, was in uns vorgeht, affiziert, ähnlich wie kleine Kinder von der seelischen Verfassung ihrer Umgebung mit erfaßt werden, ehe sie sie verstehen können. Mit diesen Phänomenen bleiben wir noch ganz im Bereich des Unwillkürlich-Triebhaften oder Instinktiven, das als das spezifisch Tierische erscheint. Das Tier lebt in seiner Seele, es wird in seiner Seele bewegt, und diese Bewegung bricht sich unwillkürlich und unaufhaltsam nach außen Bahn, das Seelische äußert sich durch den Leib in sinnenfälliger Weise. Es liegt noch nichts darin, was aussieht wie eine Lösung von sich selbst, ein Begreifen seiner selbst, die Aufrichtung eines personal-geistigen Ich. Liegt etwas dergleichen vor in den »Signalen« der Tiere? Können wir darin ernstlich eine »Sprache« sehen? Was zunächst rein dem lautlichen Material nach die menschliche Sprache von bloßen Affektlauten scheidet, ist die Kontinuität der Rede, die Formung des Materials zu festen, gegliederten (»artikulierten«) Gestalten und eine dieser Formung entsprechende Gesetzlichkeit des Rhythmus und der Tongebung. Nehmen wir das volle Sprachphänomen, so werden die gegliederten Gestalten zu Trägern fester Bedeutungen, der Fluß der Rede zu einem Sinnzusammenhang; dazu kommt das Sprechen als Formen des sprachlichen Ausdrucks in Anpassung an einen lebendig vollzogenen Sinnzusammenhang und als freie Verwendung des sprachlichen Ausdrucks zum Zweck der Verständigung. Stellen wir menschliche Signale – wie Pfiffe oder die Signalrufe der Schiffer – dem gegenüber, so fehlt die Kontinuität, es fehlt die Artikulation, vor allem aber das, was diesen beiden zugrunde liegt: ein sich in den sprachlichen Ausdruck hinein formender Sinnzusammenhang. Die Signale haben eine Bedeutung, aber sie sind ihr äußerlich angeheftet. Gerade das erhöht freilich den Charakter des Willkürlichen, Absichtlichen im Vergleich zur Sprache. Und so müssen wir zusehen, wie es damit bei den tierischen Signallauten steht. Auch hier liegt kein innerer Zusammenhang zwischen dem Signal und dem, was es bedeutet, vor – etwa zwischen dem Warnungsruf und dem Erfassen der Gefahr – wie zwischen Wortlaut und Bedeutung im lebendig ausgedrückten Sprechen. Es liegt ein objektiver Zweckzusammenhang vor: Im Unterschied zu menschlichen Signalen erscheinen die Tiere von Natur aus auf ein bestimmtes Signalsystem festgelegt – die Gemse hat keine Möglichkeit, dieses oder jenes Signal zu wählen, wie sich Banditen auf einen bestimmten Warnungspfiff einigen. Der objektive Zweckzusammenhang erweckt nur den Anschein von Absicht und Willkür, wo eine gesetzmäßige Reaktion vorliegt. Mit dem Mangel eines inneren Sinnzusammenhangs entfällt der Vernunftcharakter, mit der Unmöglichkeit einer Wahl der Freiheitscharakter der tierischen Verständigungsmittel, damit aber der Charakter der Sprache.
6. Struktur der Seele: Aktuelles seelisches Leben (äußere und innere Sinne; Gefühle und Triebe; Gesinnungen); Potenzen und Seele
Versuchen wir es nun, auf Grund des Einblicks, den wir in das Innere gewonnen haben, die Grundstruktur der Tierseele zu zeichnen. Das Äußerste sind die wechselnden sinnlichen Eindrücke, die von außen empfangen werden. Wir dürfen sie uns nicht nach Analogie unserer Wahrnehmungen denken, in denen Dinge als scharf von uns abgehobene und in sich stehende »Gegen-stände« erfaßt werden und die als Grundlage einer rationalen Erkenntnis dienen können. Es ist wohl eher an das dumpfe Betroffensein zu denken, wie wir es bei verminderter Wachheit und Bewußtheit kennen, ein Empfindungsmaterial, das nicht in die Form dinglicher Qualitäten eingegangen ist. Solche Erwägungen sind aber analogisierende Konstruktion. Die »Welt des Tieres«, der Gehalt seiner Eindrücke ist uns nicht gegeben, wie sein »Inneres« in seinen Affektlauten – so wenig, wie die Wahrnehmungsinhalte anderer Menschen uns gegeben sind. Und es fehlt hier die Möglichkeit, durch sprachliche Verständigung die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der eigenen und fremden Wahrnehmungswelten festzustellen. Wir sind nicht einmal berechtigt, dieselben Arten von Sinneseindrücken (»5 Sinne«) in derselben scharfen Abgrenzung wie bei uns anzunehmen.
Zu den verschiedenen Species äußerer sinnlicher Daten kommt die Empfindungsgegebenheit des eigenen Leibes, das, was man als »innere Sinnlichkeit« bezeichnen kann. Diese Innerlichkeit ist aber nicht die einzige. In nahem Zusammenhang damit steht die innere Befindlichkeit, die durch äußere Eindrücke ausgelöst wird: das, was man als Gefühlsempfindungen bezeichnet und unter die polaren Grundkategorien von Lust und Unlust ordnet. Erst hier ist die Umschlagstelle vom Reiz zu den Reaktionen, dem Getrieben-, Gezogen- und Abgestoßenwerden (von Thomas als appetitus ist gleich Streben bezeichnet). Thomas macht noch auf ein anderes »inneres Sein« aufmerksam: ein Verharren der einmal aufgenommenen