»Du und Karina… ihr seht euch ziemlich oft, oder?« fragte Dr. Daniel vorsichtig.
»Es geht«, antwortete Dr. Metzler. »Sie zeigt sehr großes Interesse für die Waldsee-Klinik, und da sie demnächst ihr Medizinstudium beginnen will…« In diesem Moment dämmerte ihm der tiefere Sinn von Dr. Daniels Frage. »Augenblick mal, du denkst doch wohl nicht, daß zwischen Karina und mir…«
»Doch, Wolfgang, genau daran denke ich«, fiel Dr. Daniel ihm ins Wort.
»Du bist ja wohl verrückt!« hielt Dr. Metzler ihm vor. »Karina ist siebzehn Jahre jünger als ich! In ihren Augen bin ich vermutlich so etwas wie ein altersschwacher Großvater.«
»Täusch dich da nicht«, entgegnete Dr. Daniel. »Junge Mädchen sind ziemlich romantisch, und du…«
»Und ich bin der Traum ihrer schlaflosen Nächte«, vollendete Dr. Metzler mit einer Spur Sarkasmus, dann tippte er sich mit einem Finger an die Stirn. »Entschuldige, wenn ich das sage, aber ich glaube, deine Phantasie geht langsam mit dir durch.«
»Danke für die Blumen«, knurrte Dr. Daniel.
»Bitte, gern geschehen«, erklärte Dr. Metzler. »Aber ich glaube, wir sind ein wenig vom Thema abgekommen. Ursprünglich ging es doch um diesen Dr. Scheibler, den du der Waldsee-Klinik aufhalsen willst.«
»Hör mal, Wolfgang, der Junge hat einmal einen Fehler gemacht. Soll er dafür ein Leben lang büßen?«
»Fehler ist gut«, erwiderte Dr. Metzler ernst. »Er hat versucht, den Oberarzt aus seiner Position zu verdrängen, und das mit Mitteln…«
»Du bist ja wirklich glänzend informiert«, fiel Dr. Daniel ihm ins Wort. »Weißt du dann auch, warum er es getan hat?«
»Um selbst Oberarzt zu werden.«
»Richtig, aber auch, weil ihm die Patientin, um die es ging, leid getan hat.« Dr. Daniel sah seinen Freund an. »Ich möchte, daß Dr. Scheibler eine zweite Chance bekommt.«
»Warum gibt Professor Thiersch sie ihm nicht?« wollte Dr. Metzler wissen.
»Was soll die Frage, Wolfgang? Du kennst den Professor und weißt, daß er einen solchen Fehltritt niemals verzeiht.«
Dr. Metzler atmete tief durch, dann fuhr er mit einer Hand durch seine dichten, dunklen Locken.
»Du hat gewonnen, Robert«, erklärte er schließlich. »Ich werde mir den Burschen am Mittwoch anschauen, aber ich will ehrlich sein – ich habe ein ungutes Gefühl bei der Sache. Und wenn ich merke, daß dieser Scheibler Unfrieden zu stiften versucht, dann fliegt er.«
*
Die Nachmittagssprechstunde war gerade zu Ende, als Dr. Daniel unverhofften Besuch von Oliver Gerhardt bekam.
»Herr Doktor, was haben Sie mit meiner Frau gemacht?« stieß er hervor, kaum daß er die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Sie ist seit gestern wie umgewandelt.«
Dr. Daniel lächelte. »Hat sie Ihnen denn nichts erzählt?«
»Doch, daß Sie sie behandeln, aber… was ist das eigentlich für ein Medikament? Ein Beruhigungsmittel?«
Dr. Daniel schüttelte den Kopf. »Keine Angst, Herr Gerhardt, es ist nichts, was Ihrer Frau schaden könnte. Bitte, setzen Sie sich, dann werde ich Ihnen alles erklären.«
Doch Oliver war zu aufgeregt, um stillsitzen zu können, und so nahm er nur auf der Vorderkante des Sessels Platz – bereit, jederzeit wieder aufzuspringen.
»Ihr Urlaub scheint nicht sehr zufriedenstellend verlaufen zu sein«, begann Dr. Daniel.
Oliver senkte den Kopf. »Anfangs lief es ganz gut, obwohl ich bemerkte, daß Patricia nur für ihren Wunsch nach einem Baby lebte. Dann, auf Teneriffa, hatten wir tatsächlich ein paar Tage, in denen ich Patricias Liebe spürte… eine Liebe, die einmal nur mir galt. Doch das dauerte nicht lange… genau bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie ihre Tage wieder bekam. Plötzlich war es schlimmer als je zuvor. Sie steigerte sich in den Gedanken, unfruchtbar zu sein, dermaßen hinein, daß ich es einfach nicht mehr aushielt.« Er zuckte hilflos die Schultern. »Ich habe ihr gesagt, sie solle sich künstlich befruchten lassen, damit das Theater endlich aufhören würde.«
Dr. Daniel nickte. »So ähnlich habe ich es mir vorgestellt. Als Ihre Frau gestern zu mir in die Sprechstunde kam, befand sie sich in einem Stadium, wo nur noch ein Psychiater hätte helfen können, aber eine solche Belastung wollte ich weder ihr noch Ihnen zumuten. Psychiatrie hat nichts mit Verrücktsein zu tun, aber es wird leider immer noch so gesehen. Und dann kam mir die Idee mit dem Placebo-Effekt.«
Verständnislos sah Oliver ihn an. »Was für ein Effekt?«
»Es ist mehrfach passiert, daß kranke Menschen gesund wurden, obwohl die Medikamente, die sie bekamen, keinen Wirkstoff enthielten, der die Krankheit wirklich zu heilen vermochte«, erklärte Dr. Daniel. »Verstehen Sie, was ich meine?«
Oliver nickte. »Ja, davon habe ich schon gehört. Aber ich kann mir nicht vorstellen, wie das bei meiner Frau funktionieren soll. Sie ist ja nicht krank.«
»Nein, aber sie ist besessen von dem Gedanken, daß sie keinen Eisprung mehr hat und deshalb kein Kind bekommen kann. Sie bekommt jetzt zweimal wöchentlich von mir ein harmloses Vitaminpräparat gespritzt. Sie meint aber, daß es sich dabei um ein Medikament handelt, das den Eisprung fördert. Darüber hinaus habe ich behauptet, daß die Wirksamkeit des Medikaments noch gesteigert werden könnte, wenn Ihre Frau sich entspannt und sich ganz ihren Gefühlen hingibt.« Er lächelte. »Ich muß recht überzeugend gewesen sein, denn sie hat mir tatsächlich jedes Wort geglaubt.«
»Und sie verhält sich genauso, wie Sie es ihr gesagt haben«, fügte Oliver hinzu. »Meine Güte, ich hätte sie seit gestern fast nicht wiedererkannt. Anscheinend ist jetzt alle Last von ihr genommen, weil sie glaubt, die Spritzen würden das mit ihrem Eisprung regeln.«
Dr. Daniel nickte. »Genauso ist es.«
Oliver wurde wieder ernst. »Aber sie wird doch bald merken, daß sich nichts ändert… daß sie nach wie vor keinen Eisprung hat.«
»Wer sagt das?« fragte Dr. Daniel zurück. »Ich bin sicher, daß sich der Zyklus bei Ihrer Frau von ganz allein wieder einspielen wird, wenn sie erst aufhört, sich einen psychischen Zwang aufzuerlegen.«
Oliver senkte den Kopf. »Hoffentlich haben Sie recht, denn wenn Patricia merkt, daß sie trotz der Spritzen nicht schwanger wird, dann… dann wird alles noch viel schlimmer werden.«
*
Mit sehr gemischten Gefühlen sah Dr. Scheibler seinem Gespräch mit Dr. Daniel und dem künftigen Chefarzt der Steinhausener Klinik entgegen.
»Herr Scheibler, ich freue mich, daß Sie gekommen sind«, meinte Dr. Daniel, als er dem jungen Arzt die Tür geöffnet hatte. »Gehen wir nach oben. Dr. Metzler wird auch bald eintreffen.«
»Ich habe ein bißchen Angst«, gestand Dr. Scheibler. »Immerhin hat Ihr Freund auch abgelehnt, mich einzustellen, und ich glaube nicht, daß dieser Dr. Metzler anders reagiereen wird, wenn er erst erfährt, wer ich bin.«
»Das weiß er schon«, entgegnete Dr. Daniel. »Und was Dr. Sommer betrifft: Er sagte schon vorher, daß sein Team komplett wäre. Die Ablehnung hatte also im Grunde nichts mit Ihrer Person zu tun.«
Dr. Scheibler senkte den Kopf. »Danke, daß Sie mir Mut machen wollen.« Dann fiel ihm ein, daß er bei seinem letzten Besuch etwas vergessen hatte. »Ich sollte Sie am Freitag übrigens noch von einer Frau Gröber grüßen. Sie hat gesagt, Sie möchten sich mal wieder oben auf dem Hof sehen lassen.«
Dr. Daniel lächelte. Er erinnerte sich noch gut an die verzweifelte junge Frau,