»Und was erhoffen Sie sich nun von mir?« wollte Dr. Daniel wissen, obwohl er sich die Antwort bereits denken konnte.
Dr. Scheibler atmete tief durch. »Professor Thiersch hält große Stücke auf Sie, und da dachte ich…«
Dr. Daniel nickte. »Ich weiß genau, was Sie dachten, aber ich fürchte, Sie unterliegen da einem großen Irrtum. Mein Einfluß auf Professor Thiersch ist nicht so groß, wie Sie zu denken scheinen. Und gerade in Ihrem Fall halte ich ein weiteres Gespräch mit ihm für völlig aussichtslos. Professor Thiersch hat seine Prinzipien, und von denen weicht er nun mal nicht ab.«
Niedergeschlagen sackte Dr. Scheibler in sich zusammen. Dr. Daniel war seine letzte Hoffnung gewesen.
»Dann muß ich München eben doch verlassen«, murmelte er. »Vielleicht habe ich in einer anderen Stadt mehr Glück.«
Unwillkürlich empfand Dr. Daniel Mitleid mit dem jungen Arzt. »Hängen Sie denn wirklich so sehr an dieser Stadt?«
Mit einem verlegenen Lächeln sah Dr. Scheibler ihn an. »Ich weiß schon, es klingt kindisch, aber… hier in München habe ich mich zum ersten Mal seit dem Tod meiner Eltern wieder zu Hause gefühlt. Ich habe so etwas lange nicht erlebt, und deshalb… es würde mir wirklich schwerfallen, diese Stadt zu verlassen.«
Mit einem leisen Seufzer stand Dr. Daniel auf. »Also schön, versuchen wir’s.« Er trat zum Telefon und wählte die Nummer der Thiersch-Klinik in München.
»Heute ist Samstag«, gab Dr. Scheibler zu bedenken.
Dr. Daniel blickte lächelnd zurück. »Kennen Sie Ihren Chefarzt so schlecht? Meines Wissens ist er auch am Wochenende oft in seiner Klinik anzutreffen.«
Doch diesmal hatte Dr. Daniel Pech. Professor Thiersch war weder in der Klinik noch zu Hause. Und bei einem erneuten Anruf in der
Thiersch-Klinik gelang es ihm nur, den Oberarzt zu erreichen.
»Herr Kollege«, erklärte Dr. Heller überrascht. »Sie wollen mir doch wohl nicht das Wochenende vermiesen, indem Sie mir einen schwierigen Fall aufhalsen?«
»Nein, das Wochenende vermiese ich Ihnen bestimmt nicht«, versprach Dr. Daniel. »Aber einen schwierigen Fall habe ich tatsächlich hier bei mir. Es geht um Dr. Scheibler. Er ist im Moment bei mir, und es geht ihm nicht besonders gut.«
»Das kann ich mir vorstellen«, meinte Dr. Heller. »Er bekommt nirgends eine Stellung, stimmt’s?«
»Richtig.« Dr. Daniel zögerte einen Moment. »Was ist Ihre Meinung, Herr Kollege? Hat es Sinn, mit Professor Thiersch noch zu sprechen?«
»Nein«, antwortete Dr. Heller, ohne auch nur eine Sekunde zu überlegen. »Ich habe mir den Mund fusslig geredet. Dr. Scheibler ist bei dem Professor unten durch, wie man so schön sagt. Er hat nicht die geringste Chance, wieder hier an der Klinik aufgenommen zu werden.«
Dr. Daniel nickte. »Das dachte ich mir schon. Aber jedenfalls danke für die Auskunft. Und noch ein ruhiges Wochenende ohne viele Notfälle.«
»Danke, Herr Kollege«, erwiderte Dr. Heller, verabschiedete sich und beendete das Gespräch.
Auch Dr. Daniel legte den Hörer auf die Gabel, dann drehte er sich zu Dr. Scheibler um.
»Wie ich schon sagte – es ist aussichtslos. Dr. Heller ist derselben Meinung wie ich.« Dr. Daniel überlegte einen Moment. »Aber wir können noch etwas anderes versuchen. Kommen Sie, Herr Scheibler, fahren wir nach München.«
*
Dr. Georg Sommer, seit vielen Jahren Dr. Daniels bester Freund, staunte nicht schlecht, als er an diesem Samstagvormittag unverhoften Besuch bekam.
»Meine Güte, Robert, warum kannst du dich denn nie vorher anmelden!« erklärte er kopfschüttelnd.
»Weil ich dir nicht lange zur Last fallen will«, antwortete Dr. Daniel lächelnd, dann wies er auf seinen Begleiter. »Darf ich vorstellen? Dr. Gerrit Scheibler – Dr. Georg Sommer.«
Die beiden Männer schüttelten einander die Hand, dann bat Dr. Sommer seine Gäste herein.
»Nicht erschrecken, Margit«, warnte Dr. Daniel die Frau seines Freundes, die einen kurzen Blick aus der Küche warf. »Wir bleiben nicht zum Mittagessen.«
Margit Sommer strahlte über das ganze Gesicht. »Das Essen würde aber reichen. Du weißt doch, wie üppig ich immer koche.«
»Ja, und meine Schwester wird mich vierteilen, wenn ich hier esse und dann satt nach Hause komme, während sie sich vermutlich an der bayerischen Küche versucht.«
»Und wie gelingt’s?« wollte Margit wissen.
Dr. Daniel küßte seine Fingerspitzen. »Hervorragend!«
»Jetzt sind aber genug Küchengeheimnisse ausgetauscht worden«, warf Dr. Sommer dazwischen. »Darf ich euch etwas zu trinken anbieten?«
»Höchstens ein Mineralwasser«, meinte Dr. Daniel. »Wir sind beide Autofahrer.«
Sie setzten sich in das weitläufige Wohnzimmer, dann rückte Dr. Daniel sofort mit seinem Anliegen heraus.
»Hör zu, Schorsch, Dr. Scheibler ist Arzt, und soweit ich informiert bin, sogar ein sehr guter Arzt«, erklärte er.
Dr. Sommer zuckte die Schultern. »Tut mir leid, Robert, mein Team ist komplett. Ich brauche wirklich niemanden.« Und dann kam ihm plötzlich eine vage Erinnerung. »Moment mal… Scheibler…«
»Ja, ich bin derjenige, von dem Sie bestimmt schon gehört haben«, fiel Dr. Scheibler ihm ins Wort, dann stand er abrupt auf. »Es ist doch sowieso alles aussichtslos. Ein einziger Fehler wird mir ein Leben lang nachgetragen werden.«
»Herr Scheibler…«, begann Dr. Daniel besänftigend, doch der junge Arzt hob abwehrend beide Hände. »Lassen Sie’s gut sein, Herr Daniel. Sie haben getan, was Sie konnten.«
Damit verließ er Dr. Sommers Haus, bestieg sein Auto und fuhr weg.
»Oho, ich fürchte, da bin ich in ein Fettnäpfchen getreten«, meinte Dr. Sommer und strich sich ein wenig verlegen über das etwas licht gewordene, graumelierte Haar. »Ich wollte ihm nicht wehtun, aber…«
»Ich weiß, Schorsch. Das Schlimme ist nur, daß der Junge seit Wochen eine Absage nach der anderen bekommt. Was er sich in der Thiersch-Klinik geleistet hat, muß sich in ganz München und Umgebung herumgesprochen haben. Dabei ist er wirklich ein guter Arzt, und daß er so ehrgeizig ist…« Dr. Daniel zuckte die Schultern. »Im Grunde ist das ja kein Fehler.«
»Wenn man aufgrund dieses Ehrgeizes den Oberarzt der Klinik absägen will, dann schon«, wandte Dr. Sommer ein. »Wenn du eine Klinik hättest – würdest du ihn dann einstellen?«
In diesem Moment fiel bei Dr. Daniel der sprichwörtliche Groschen.
»Die Waldsee-Klinik!« stieß er hervor. »Daß ich daran nicht gedacht habe!«
Verständnislos starrte Dr. Sommer ihn an.
»Waldsee-Klinik?« wiederholte er gedehnt. »Wo soll die denn sein?«
Dr. Daniel lächelte. »Bei uns in Steinhausen.«
Dr. Sommer schüttelte den Kopf, als könnte er danach klarer sehen. »In Steinhausen? Seit wann habt ihr in Steinhausen eine Klinik? Ich dachte, ihr könntet sie nicht finanzieren.«
Dr. Daniel machte ein zerknirschtes Gesicht. »Ich muß Abbitte leisten, Schorsch. In dem ganzen Trubel habe ich völlig vergessen, es dir zu sagen: Rainer Bergmann hat uns vor fast einem halben Jahr das Grundstück für den Bau zur Verfügung gestellt und die Finanzierung gesichert.«
»Du bist ein Scheusal, Robert!« hielt Dr. Sommer ihm vor. »Als du nicht wußtest, wie du diese Klinik finanzieren sollst, bist du zu mir gekommen, aber jetzt, da die Klinik steht, hältst du es nicht mal für nötig, mich zu informieren.«
»Bitte,