Lagarre ging mit seinen Soldaten zu dem Wald. Er traf Turume. Turume fragte ihn: "Wer bist du?" Lagarre sagte: "Ich bin der Sohn Dingas." Turume fragte: "Wie heißt der Vater deines Vaters?" Lagarre sagte: "Ich weiß es nicht." Turume sagte: "Ich kenne dich nicht, aber ich kenne Dinga. Ich kenne nicht Kiridjo, aber ich kenne Kiridjotamani, den Vater Kiridjos. Ich bin sehr alt, aber es gibt etwas, das ist noch siebenundzwanzig Jahre älter als ich es bin." Lagarre fragte: "Was ist das?" Turume sagte: "Das ist Koliko, ein Honge (Geier)." Lagarre fragte: "Wo wohnt Koliko?" Turume zeigte es ihm.
Lagarre machte sich mit seinen Leuten zu Koliko auf. Er fragte: "Zeig mir die Tabele meines Vaters." Koliko fragte: "Wer bist du?" Lagarre sagte: "Ich bin der Sohn Dingas." Koliko sagte: "Ich kenne dich nicht, aber ich kenne Dinga, ich kenne nicht Dinga, aber ich kenne Kiridjo. Ich kenne nicht Kiridjo, aber ich kenne Kiridiotamani. Ich weiß, wo die Tabele ist, aber ich bin zu schwach und zu alt, um sie zu zeigen oder zu holen. Sieh, vor Alter sind mir die Federn ausgefallen, und ich kann nicht einmal mehr von meinem Aste fliegen." Lagarre fragte: "Wie ist das zu machen?" Koliko sagte: "Du mußt sorgen, daß ich wieder Kraft erhalte. Du mußt mir viel bringen. Bleibe sieben Tage bei mir. Laß alle Morgen ein junges Pferd und auch einen jungen Esel schlachten und mir von beiden Herz und Leber reichen. Morgens und abends mußt du mich nähren. Wenn du diese Bedingung sieben Tage lang erfüllst, dann werde ich wieder Kräfte und Federn haben und ich werde dir die Tabele deines Großvaters bringen können." Lagarre blieb sieben Tage dort. Jeden Morgen ließ er ein junges Pferd und einen jungen Esel schlachten und Koliko Herz und Leber reichen. Er nährte ihn morgens und abends. Da wuchsen dem Honge Kräfte und Federn. Er konnte wieder fliegen. Er flog dahin, wo die Dschinn die Tabele am Himmel angebunden hatten. Er hatte aber nicht Kraft genug, die Schnur zu zerreißen, an der sie festgebunden war. Er kehrte zurück und sagte zu Lagarre: "Du mußt mir noch während dreier Tage je ein Pferd und einen Esel schlachten und mir Leber und Herz geben. Noch reichen meine Kräfte nicht, die Schnur zu zerreißen, an der die Tabele hängt, aber dann werde ich stark genug sein, sie loszumachen." Da schlachtete Lagarre noch drei Tage lang je ein junges Pferd und einen jungen Esel. So war Koliko am dritten Tage stark genug. Er flog gen Himmel und löste die Tabele los. Er brachte sie zu Lagarre.
Koliko sagte zu Lagarre: "Geh zurück. Zwei Tage lang darfst du die Tabele nicht rühren, am dritten aber schlage sie. Dann wirst du Wagadu finden." Lagarre machte sich auf. Zwei Tage ging er zurück. Dann schlug er die Tabele und sah vor seinen Augen Wagadu. Die Dschinn hatten es so lange versteckt gehalten.
Der Kampf mit dem Bida-Drachen
Koliko hatte noch zu Lagarre gesagt: "Wenn du nach Wagadu kommst, wirst du dort die große Schlange Bida sehen. Bida erhielt von deinem Großvater jedes Jahr zehn junge Mädchen. Dafür ließ es die Schlange jedes Jahr dreimal regnen. Es regnete Gold." Lagarre fragte: "Muß ich das auch geben?" Koliko sagte: "Bida wird mit dir handeln. Sie wird von dir zehn junge Mädchen verlangen. Schlag ihr das ab. Sag ihr, du wolltest ihr ein Mädchen geben und gib es ihr dann auch."
Lagarre kam nach Wagadu. Vor dem Tore der Stadt lag Bida in sieben großen Windungen. Lagarre fragte: "Wohin gehst du?" Bida sagte: "Wer ist dein Vater?" Lagarre sagte: "Mein Vater ist Dinga." Bida fragte: "Wer ist der Vater deines Vaters?" Lagarre sagte: "Ich kenne ihn nicht." Bida sagte: "Ich kenne dich nicht, aber ich kenne Dinga. Ich kenne Dinga nicht, aber ich kenne Kiridjo. Ich kenne Kiridjo nicht, aber ich kenne Kiridjotamani. Ich kenne Kiridjotamani nicht, aber ich kenne Wagana Sako. Dein Großvater gab mir jedes Jahr zehn Mädchen. Ich gab dafür drei Goldregen. Willst du das auch tun?" Lagarre sagte: "Nein." Bida fragte: "Willst du mir neun Mädchen jedes Jahr geben?" Lagarre sagte: "Nein." Bida fragte: "Willst du mir acht Mädchen jedes Jahr geben?" Lagarre sagte: "Nein." Bida fragte: "Willst du mir sieben Mädchen jedes Jahr geben?" Lagarre sagte: "Nein." Bida fragte: "Willst du mir sechs Mädchen jedes Jahr geben?" Lagarre sagte: "Nein." Bida fragte: "Willst du mir fünf Mädchen jedes Jahr geben?" Lagarre sagte: "Nein." Bida fragte: "Willst du mir vier Mädchen jedes Jahr geben?" Lagarre sagte: "Nein." Bida fragte: "Willst du mir drei Mädchen jedes Jahr geben?" Lagarre sagte: "Nein." Bida fragte: "Willst du mir zwei Mädchen jedes Jahr geben?" Lagarre sagte: "Nein." Bida fragte: "Willst du mir ein Mädchen jedes Jahr geben?" Lagarre sagte: "Ja, ich will dir jedes Jahr ein Mädchen geben, wenn du über Wagadu dreimal das Gold regnen lassen willst."
Bida sagte: "Dann bin ich auch damit zufrieden und werde dreimal im Jahre Gold über Wagadu regnen lassen."
Es waren in Wagadu vier angesehene Männer. Wagana Sako, Dajabe Sise, Damangile (der Ahnherr der Djaorafamilie, aus der die Familie der Vornehmen der Soninke stammt) und Mamadi Sefe Dekote (Sefe Dekote heißt "er spricht selten").
Wagana Sako war ein Mann, der außerordentlich eifersüchtig war. Deshalb hatte er eine mächtige Mauer um sein Gehöft gebaut, in der keine einzige Tür angebracht war. Man konnte nur auf eine Weise hinein gelangen, indem man mit dem Pferd Samba Ngarranja über die Mauer setzte. Samba Ngarranja war das einzige Pferd, mit dem man über die Mauer diesen Sprung ausführen konnte, und Wagana Sako bewachte dieses Pferd ebenso eifersüchtig wie seine Frau. Er erlaubte nicht, daß der Hengst jemals eine Stute deckte; denn er fürchtete, daß dann ein Fohlen geboren werden könnte, das Samba Ngarranja an Sprungkraft gleichkomme.
Mamadi Sefe Dekote kaufte sich eine Stute. Die verschloß er sorgfältig in seinem Hause vor den Augen Wagana Sakos. Mamadi Sefe Dekote, der der Onkel Wagana Sakos war, stahl diesem eines Tages den Hengst Samba Ngarranja und ließ die neugekaufte Stute decken. Dann brachte er ebenso heimlich Samba Ngarranja zurück. Seine Stute brachte nun ein ebenso gutes Pferd hervor und mit ihm konnte er den Sprung über die Mauer wagen. Es wurde drei Jahre alt, da war es stark und kräftig genug für den gewaltigen Sprung. Danach zogen die Wagadu-Leute in den Krieg. In der Nacht kehrte Mamadi Sefe Dekote heimlich mit seinem dreijährigen Hengst nach Wagadu zurück. Er sprang in mächtigem Satze über die Mauer und band sein Pferd an. Dann ging er zur Frau Wagana Sakos hinein. Er sprach mit ihr, er legte sich neben sie und barg sein Haupt in ihren Schoß.
Wagana Sako kehrte aber nach einiger Zeit auch aus dem Heerlager zurück, um in der gleichen Nacht seine Frau zu besuchen. Er setzte mit Samba Ngarranja über die Mauer. Wie war er aber erstaunt, daß schon ein anderes Pferd im Hofe angebunden war. Er brachte das eigene an eine andere Stelle und betrachtete dann das fremde Pferd. Dann hörte er im Haus seine Frau sprechen. Er stellte also seine Waffen an der Haustür nieder und lauschte. Drin sprachen Mamadi Sefe Dekote und die Frau Wagana Sakos wenig. Oben lief aber eine Maus im Dachwerk umher. Unten war eine Katze. Die Maus sah die Katze und fiel vor Schreck herab. Die Katze sprang auf sie. Mamadi Sefe Dekote faßte die Frau Wagana Sakos am Arm und sagte: "Sieh da gut hin! Sieh scharf hin!" Die Frau sagte: "Ja, ich sehe es." Mamadi Sefe Dekote sagte: " Sieh das an! Wie die Maus vor dieser Katze, so haben wir Furcht vor deinem Mann –" Wagana Sako hörte das draußen. Als er es hörte, mußte er gehen, denn jener unbekannte Mann hatte gesagt, daß er Furcht vor Wagana Sako habe. (Danach, wie es mir die umsitzenden Soninke erklären, scheint es damals als nicht ritterlich gegolten zu haben, mit jemand Händel auszufechten, der sagt, er habe Furcht vor ihm.) So nahm denn Wagana Sako seine Waffen, bestieg sein Pferd und setzte über die Mauer. Dann kehrte er in das Heerlager zurück. Später verließ auch Mamadi Sefe Dekote das Gehöft und traf im Morgengrauen bei den anderen ein.
Am anderen Tag wußte Wagana Sako nicht, wer nachts bei seiner Frau gewesen war. Mamadi Sefe Dekote ahnte aber nicht, daß Wagana Sako vor der Tür des Hauses seiner Frau gehockt und den heimlichen Besuch sowie das Zwiegespräch belauscht hatte. So konnten denn die beiden kein schlechtes Wort wechseln, und der Tag verlief ohne jeden Streit. Am Abend aber ergriff ein Epensänger (Djarre der Soninke, entspricht dem Dialli der Bammana) seine Niame (Gitarre) und sang. Nachher schnipste Wagana Sako an der Saite der Niame und sagte: "Vorige Nacht habe ich ein Wort gehört