Leopold Schefer
Der Hirtenknabe Nikolas
Der deutsche Kinderkreuzzug im Jahre 1212
Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2021
EAN 4064066116224
Inhaltsverzeichnis
Der Hirtenknabe Nikolas, oder der deutsche Kinderkreuzzug im Jahre 1212.
Erstes Capitel. Zwei Flüchtlinge und ein Verfolger.
Zweites Capitel. Die Frau Rath.
Viertes Capitel. Der Saal der Hanse.
Sechstes Capitel. Die französischen Kreuzzugskinder.
Siebentes Capitel. Der Kinderherzog Nikolas.
Achtes Capitel. Die Kinderpredigt.
Neuntes Capitel. Das Carneval.
Elftes Capitel. Raimund’s erster Bericht aus Koblenz.
Zwölftes Capitel. Zweiter Bericht aus Speier.
Dreizehntes Capitel. Der Mädchenbezauberer.
Fünfzehntes Capitel. Die mehr als tödtliche Wunde.
Sechzehntes Capitel. Trauer und Freude.
Siebzehntes Capitel. Heirathen.
Der
Hirtenknabe Nikolas,
oder
der deutsche Kinderkreuzzug
im Jahre 1212.
Nach den Chroniken erzählt
von
Leopold Schefer.
Leipzig:
F. A. Brockhaus.
1857.
Erstes Capitel.
Zwei Flüchtlinge und ein Verfolger.
Es ritten drei Reiter nach Köln, am linken Ufer des Rheins „zu Thal“. Das waren keine gemeinen Leute. Schon ihre Pferde waren nobel, schöne dauerhafte Limousins, und wenn auch deutlich angegriffen von einer langen Reise, doch lebhaft, ja heiter und vergnügt, als Franzosen. Der kräftige unverkennbare Deutsche auf dem Schimmel, im Mantel und Reise- und Wetterhut, nannte den sehr edel aussehenden Reiter auf dem Rappen, in spanischem Mantel und Barret — unverkennbar ein Jude — nur Doctor, wie er sich ihm genannt, und der Doctor nannte ihn wieder nur wie er sich ihm selber lächelnd genannt: „Herr Großhändler“, ob er gleich ein Patricierssohn aus Köln war, der zu seinem Bruder aus Frankreich nach Hause reiste, welcher Bruder also noch lebte, wenn es in diesen gefährlichen Zeiten noch wahr war. Der dritte Reiter auf einer Isabelle von neapolitanischem Gebäude schien ein junger fahrender Ritter in Waffen, der, seit er sich ihnen in Basel angeschlossen, nur wenige Worte gesprochen, weil ihn ein Schmerz in den schönen Zügen stand, die manchmal zu einer ersehnten Rache aufblitzten.
Der Reitknecht mit dem Packpferde mußte, um nichts von ihren Gesprächen zu hören, immer über dem Winde reiten — bei Nordwind voraus, bei Mittagswind hinterher.
Jetzt sprengte von Köln her ein schöner, sehr schöner junger Mann mit goldenen fliegenden Locken, in Putz, auf einem arabischen Pferde an ihnen in fröhlichem Sturme vorüber. Der Italiener hielt, so lang er ihn daherkommen sah, dann wandte er sein Pferd und jagte ihm nach, lange nach; aber er holte ihn nicht ein; er sah ihm mit Ingrimm nach, und kam dann verdrossen zurück zu den beiden Gefährten.
War er es nicht? frug ihn der Kölner ins Blaue.
O, er war es! erwiderte der Erhitzte. Ich weiß ihn da drinnen! Da wohnt er nun greifbar! Das war nur ein Spazierritt! Und wenn auch heute nicht . . . wenn auch das hundertste mal erst, gewiß, kommt ihm die Rache so gut wie dem Kaiser,1) der unser schönes Mailand verbrannt und „von der Erde weggetilgt“ —. So mag er glauben. Auch ein schöner Glaube!
Nichts Böses ohne Gutes! sprach der Handelsherr dazu; — ich will es vor den Thoren der Stadt nur gestehen: ich bin ein geborener Kölner, und meine liebe, liebe schöne Vaterstadt bekommt aus Mailand nun die heiligen Drei Könige in ihren Schreinen oder Särgen; und Köln wird noch heiliger als es schon ist durch seine todten 11,000 Jungfrauen; es wird ein zweites Neu-Rom, wie es einst schon ein altes heidnisches Neu-Rom war, was es gar sehr der lieben Agrippina zu danken; und wie der Vesuv im heißen Unteritalien mit dem Hekla droben im kalten Norden unterirdisch geheim zusammenhängt, und beide als ein Paar Brüder abwechselnd reden und sich antworten mit Donner und Blitz und das Land umher segnen mit heiliger Wärme und Fruchtbarkeit, so die beiden theuern Städte, die auch ihre Würde erkennen und ihren Werth für sich und im Lande zu schätzen wissen, meine ich.
Das Ding von dem unterirdischen und überirdischen Feuer ist wirklich wahr und sichtbar, sprach der spanische Jude, der Doctor. Als ich aus Cordova ausritt nach meiner lieben Vaterstadt Amsterdam, da stand die Gerste schon hoch; ja man konnte schon die ersten kleinen grünen Feigen zur Noth essen, und die immer gelüsternen Weiber aßen schon als Leckerbissen die grünen