Von einem mehr beiläufigen Standpunkt entsprach die besondere, etwas minutiöse, zu intensive Art, gewisse Worte, gewisse Adjektiva, die häufig in seiner Rede wiederkehrten, mit einem bestimmten Pathos auszusprechen, alle Silben deutlich hervortreten, und die letzte singen zu lassen, genau der besondern Auswahl der Stelle, an die er in der Prosa seine Lieblingsworte setzte, die er immer durch eine Art Spielraum gegen das Vorhergehende abgrenzte und in die Gesamtheit seines Satzes so hineinkomponierte, daß man gezwungen war, um keinen Fehler im Rhythmus zu machen, die ganze ›Quantität‹ dieser Worte hervorzuheben. Eine bestimmte Beleuchtung fand man aber in seiner Rede nicht wieder, die in seinen wie in den Büchern einiger anderer Autoren oft im geschriebenen Satze die Erscheinung der Worte modifiziert. Dieses Licht kommt gewiß aus großen Tiefen und seine Strahlen dringen in den Stunden, da wir, den andern offen im Gespräch, uns selbst in einem gewissen Maße verschlossen sind, nicht bis zu den gesprochenen Worten vor. In dieser Hinsicht gab es mehr Tonabstufungen, mehr Akzent in seinen Büchern als in seiner Rede, einen Akzent, unabhängig von der Schönheit des Stiles, von dem der Autor gewiß selbst nichts gemerkt hat, denn er ist von seiner intimsten Persönlichkeit nicht zu trennen. Dieser Akzent gab dort, wo Bergotte in seinen Büchern ganz natürlich war, oft ganz unbedeutenden Worten Rhythmus. Im Text ist dieser Akzent nicht notiert, nichts weist auf ihn hin, und er fügt sich den Sätzen doch ein, man kann sie nicht anders sprechen, er ist das Ephemerste und zugleich Tiefste des Schriftstellers, das, was für seine Natur zeugen wird und dartun, ob er trotz aller Härten, die er ausdrückte, sanft, trotz aller Sinnlichkeit gefühlvoll war.
Gewisse Besonderheiten des Ausdrucks, die schwach in Bergottes Gespräch zu spüren waren, gehörten nicht eigentlich ihm allein, ich habe sie später bei seinen Brüdern und Schwestern kennen gelernt und bei diesen erheblich betonter gefunden. Es war eine gewisse Heftigkeit und Rauheit in den letzten Worten eines heiteren Satzes, ein Schwachwerden und Verhauchen am Ende eines traurigen. Swann, der den Meister schon als Kind gekannt hatte, erzählte mir, daß man damals bei ihm ebensosehr wie bei seinen Geschwistern diesen Familientonfall zu hören bekam; da gab es bald Schreie ungeberdiger Lustigkeit, bald Murmeln träger Melancholie, und in dem Zimmer, in dem sie sich alle zusammen tummelten, spielte er besser als irgendeiner seinen Part in ihren abwechselnd ohrenbetäubenden und verwimmernden Konzerten. So eigenartig solch ein Stimmfall gewisser Wesen sein mag, er verflüchtigt sich und überlebt seine Träger nicht. Mit dem Ton der Familie Bergotte kam es anders. So schwer es sogar in den ›Meistersingern‹ zu begreifen ist, wie ein Künstler Musik erfinden kann, während er die Vögel zwitschern hört, – Bergotte hatte in seine Prosa diese Art, auf Worten zu verweilen, die im Freudenausbruch sich häufen oder in traurigen Seufzern vertropfen, übertragen und darin festgehalten. Es gibt in seinen Büchern Satzschlüsse, in denen die Klanghäufung sich verlängert wie in den letzten Akkorden einer Ouvertüre, die nicht enden kann und mehrere Male ihre letzten Takte wiederholt, bis endlich der Kapellmeister den Taktstock niederlegt. Darin habe ich später oft ein musikalisches Äquivalent zu den Stimm-Trompeten der Familie Bergotte gefunden. Bergotte selbst aber hörte unbewußt auf, sie in seiner Rede zu gebrauchen, seit er in seine Bücher sie übertragen hatte. Vom Tage an, da er zu schreiben begann, und erst recht später, als ich ihn kennen lernte, hatte seine Stimme das Instrumenthafte für immer verloren.
Die jungen Bergotte – der künftige Schriftsteller und seine Geschwister – waren gewiß andern jungen Leuten nicht überlegen; im Gegenteil, andere feinere und geistvollere fanden die Bergotte recht laut, geradezu etwas gewöhnlich und mit ihren typischen, halb preziösen, halb albernen Familienspäßen unerträglich. Aber das Genie, ja schon das Talent kommt weniger von einer Überlegenheit im Geistigen und einer Verfeinerung im Sozialen andern gegenüber als von der Fähigkeit, die vorhandenen Elemente umzuformen und zu übertragen. Um eine Flüssigkeit mit einer elektrischen Lampe zu wärmen, kommt es nicht darauf an, eine möglichst starke Lampe zu verwenden, sondern eine, deren Strom aufhören kann zu leuchten, sich ableiten läßt und statt des Lichtes Wärme gibt. Um im Flugzeug zu fahren, bedarf es nicht des stärksten Motors, sondern eines, der, wenn er nicht weiter auf der Erde läuft, sondern die bisher verfolgte Linie in einer Vertikale schneidet, imstande ist, seine horizontale Geschwindigkeit in aufsteigende Kraft zu verwandeln. Ebenso werden geniale Werke nicht von denen hervorgebracht, die im erlesensten Milieu leben, die glänzendste Konversation machen, die umfassendste Bildung besitzen, sondern von solchen, die die Macht haben, plötzlich aufzuhören für sich